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Alles im Fluss. Im Wasser schwimmen Biber, Fischotter, Aale und Brassen. Und manchmal kreist oben am Himmel ein Seeadler.

© Katja Gartz

Mecklenburg-Vorpommern: Immer am Schilf entlang

Die Vorpommersche Flusslandschaft bekam den Europäischen Tourismuspreis. Die stille Natur ist wie geschaffen für Paddeltouren

Am frühen Morgen fährt Ingo Ernst mit seinem Transporter samt Anhänger auf das Gelände der Kanustation Anklam. Er steigt aus, schaut nach, ob jemand im Büro ist, und sammelt anschließend die Ausrüstung für die nächsten Gäste zusammen: Kanus, Paddel, Schwimmwesten und ausreichend wasserdichte Säcke für das Tourengepäck. Nach wenigen Handgriffen sitzt alles festgezurrt auf dem Anhänger, noch ein Schluck Kaffee im Büro und es kann losgehen.

Als sechs Gäste nach dem Frühstück vom Gutshaus Liepen zum Bootssteg gehen, liegen die Kanus schon im Wasser. Tourenbetreuer Ingo Ernst gibt eine kurze Einweisung und erklärt die Route. Nach und nach klettern die Lübecker, Berliner und eine Wienerin in die Boote und stechen in See. Die ersten Meter legen sie auf einem schmalen Kanal zurück, vorbei an üppigen gelb und weiß blühenden Seerosen. Dann ist die Sicht frei: Vor ihnen erstreckt sich der Fluss Peene in seiner stillen Pracht. An den Ufern wiegt sich Schilf im Wind, ein Seeadler mit weißem Kopf und braunem Gefieder schwingt sich majestätisch in die Luft. „Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so schön ist“, sagt Christian Boldt aus Lübeck, der bisher die Ostseeküste, aber nicht deren Hinterland erkundet hat.

Nach einer Stunde erreichen die Kanufahrer den ersten Rastplatz am Stolper Fährkrug. Das Gasthaus in einem denkmalgeschützten, über 300 Jahre alten Reetdachhaus mit großem Biergarten ist der passende Ort für eine Pause. Schon jetzt zeigt die Umgebung ihre Wirkung. „Unglaublich, wie schnell man den Alltag hier hinter sich lässt“, sagt der 40-Jährige aus Norddeutschland. Die Großstadt und der Stress im Job sind weit weg.

„Von Gästen höre ich häufig, dass sie sich nach nur einer Woche an der Peene wie nach vier Wochen Urlaub fühlen“, erzählt Frank Götz schmunzelnd. Er managt das 2005 gegründete „Netzwerk Abenteuer Flusslandschaft“, einen Zusammenschluss aus Tourenanbietern, Bootsverleihern, Gutshäusern und Restaurants. Die Region soll bekannter und urlauberfreundlicher werden. Der hochgewachsene begeisterte Kanufahrer mit langem Zopf kennt alle Gewässer der Region. Von den großen Seen der Mecklenburgischen Schweiz, dem Malchiner und dem Kummerower See, schlängelt sich die Peene rund 120 Kilometer durch ein 40 000 Hektar großes Naturschutzgebiet bis hin zur Insel Usedom.

Die Peene, die wegen ihrer Ursprünglichkeit auch „Amazonas des Nordens“ genannt wird, ist der letzte unverbaute und nahezu unberührte Fluss Europas. Im Wasser tummeln sich Hechte, Aale, Welse und Brassen. Eisvögel und Seeadler fliegen darüber, Biber bauen ihre Burgen. Viele seltene Pflanzen und Tiere finden hier ideale Lebensbedingungen. 150 Brutvogelarten gibt es in dieser Landschaft. „Wer mit dem Kanu unterwegs ist, kommt dieser Natur wirklich nahe“, sagt Götz. Der 48-jährige Usedomer entdeckte das Peenetal vor neun Jahren, als er mit seinem Sohn eine Paddeltour in der Kanustation Anklam startete. Er kam wieder und ist schließlich geblieben.

Mittlerweile heimst das „Netzwerk Abenteuer Flusslandschaft“ beachtliche Erfolge ein. Für das Angebot der achttägigen Kanureise „Auf dem Amazonas des Nordens“ wurde es im Juni mit dem Eden-Award und die Vorpommer’sche Flusslandschaft unter 25 Bewerbern als beste wassertouristische Region Deutschlands ausgezeichnet. Der Name des Preises „Eden“ steht für „European Destination of Excellence“. Im Rahmen eines von der Europäischen Kommission initiierten Wettbewerbs für herausragende und nachhaltige Reiseziele wurde der Preis vom Deutschen Tourismusverband und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie verliehen.

„Diese traumhafte Landschaft musste erst wach geküsst werden“, sagt Bernd Fischer, der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich gab es vor zehn Jahren noch nicht mal einen Rastplatz an der Peene. Heute gibt es alle fünf Kilometer Möglichkeiten für Ausstieg – und Stärkung. Ausgesuchte Orte für ein Picknick sind es, und manchmal hält man auch direkt vor einem Gasthof.

Das „Netzwerk Abenteuer Flusslandschaft“ hat in den vergangenen fünf Jahren durch nachhaltigen Tourismus zudem 25 Arbeitsplätze geschaffen. Und dafür mussten nicht mal Fördergelder fließen. Die Mitwirkenden ermutigt der Eden-Award, das Netzwerk weiterzuentwickeln.

Die sechs Großstädter entdecken die Wasserlandschaft der Peene paddelnd weiter. Gegenverkehr gibt es kaum. Nur ab und zu nähert sich ein Kanu oder eines der insgesamt drei Ausflugsschiffe, die in der Gegend unterwegs sind. Für Motorbootfahrer ist die Peene mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von zwölf Stundenkilometern uninteressant. Nur ein weißer Katamaran mit zehn Personen an Bord, der gar nicht schneller fahren kann, gleitet fast lautlos durch das Wasser. Es ist eines von drei mit Solarenergie betriebenen Booten, die ebenfalls Gäste durch die Wasserlandschaft führen.

Das erste hat der Inhaber des Gutshofs Liepen, Stefan Fütterer, selbst ausgebaut. „Etwa zehn Tage habe ich gebastelt, dann war die Batterie für den Elektromotor und die Solargeneratoren auf dem Dach so eingebaut, dass es fahren konnte“, berichtet der ehemalige Gründer und Mitarbeiter des Berliner Solarenergieunternehmens Solon. Der 42-Jährige hat sich vor sieben Jahren mit seiner Partnerin im Nachbardorf von Liepen auf einem Hof niedergelassen. Der erneuerbaren Energie bleibt er auch an der Peene verpflichtet. Auf dem Dach eines Nebengebäudes vom Gutshof Liepen wurden Solaranlagen montiert. Ein weiteres umweltfreundlich betriebenes Boot, oder eher eine schicke Jacht mit Fünf-Sterne-Ausstattung, kommt in Kürze dazu. Wassertouristen können dann sogar übernachten auf der Peene.

Vor der Rückfahrt nach Liepen steuern die Kanufahrer ihre letzte Station Menzlin an, wo Geschichtliches zu entdecken ist. Neben den Slawen siedelten und handelten dort einst auch die Wikinger. Reste ihrer Burgen sowie alte Gräber in Schiffsform zeugen noch heute davon. Jahrhunderte später, von 1720 bis 1815, wurde die Peene zum Grenzfluss zwischen Schweden und Preußen. In der alten Windmühle der nahe gelegenen Hansestadt Anklam wurde einst nach schwedisch-pommerschen Gesetzen Recht gesprochen.

Langsam geht am Horizont über der Peene die Sonne unter. Ein Kuckuck ruft, die ersten Biber wagen sich aus der Schilfdeckung und schwimmen auf Nahrungssuche zur rund 80 Meter entfernten anderen Uferseite.

Nach einem zarten Stück rosa gebratener Rehkeule im Restaurant des Gutshofs Liepen, wartet auf die kleine Reisegruppe ein besonderes Wellnesserlebnis: ein Bad unter freiem Himmel im Hof, in sogenannten Dutchtubs. Das sind runde, 700 Liter Wasser fassende Badewannen, in denen jeweils bis zu vier Menschen Platz finden. Das Wasser wird mittels eines kleinen Holzofens erwärmt. Zur Entspannung kann man sich noch ein kühles Bier reichen lassen. Das Konzept stimmt.

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