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Staunen über den Superstar. Die Pillnitzer Kamelie ist neun Meter hoch. Ihren Umfang von rund 35 Metern können Besucher auf einem Gerüst umrunden.

© Franz Lerchenmüller

Sachsen: Die Blume der Kurtisane

90 Arten in allen Schattierungen Weiß und Rot: Sachsen feiert die Geschichte seiner Kamelien.

„Suppengrün“ war ihr Schutzengel. Suppengrün war der Spitzname des Königsbrücker Gärtners Siegfried Jähne, und als es in den 1970er Jahren hieß, die beiden sperrigen, alten Kamelien im Gewächshaus müssten endlich Platz machen für Tomaten und Petersilie, stellte Suppengrün sich, trotz seines Namens, quer und erklärte: Nur über meine Leiche. So kam es, dass „Schneeweißchen“ und „Rosenrot“ ihren seit etwa 1825 angestammten Platz in der abgelegenen Ecke des Schlosshofes behielten.

Dass „Camelia japonica Alba Plena“ und „Camelia japonica Althaeiflora“ weiterhin jedes Jahr von Februar an vor Blüten geradezu explodieren dürfen, verdanken sie freilich auch den rührigen Frauen und Männern vom Heimatverein. Die nahmen sich nach der Wende der arg vernachlässigten Schönen an und restaurierten das Glashaus, und als sie ihr Werk am 16. Januar 2000 der Öffentlichkeit vorstellten, reichte die Schlange der Besucher 400 Meter weit bis zum Markt.

Inzwischen sind 27 Kameliensträucher und zahlreiche Pflanzen in Töpfen dazugekommen, ein Blütenrausch in allen Schattierungen zwischen Weiß und Rot begrüßt jedes Jahr den Frühling, und die beiden Schülerinnen Lea Kirschner und Sophia Rinke verkleiden sich fürs Foto als junge Kameliendamen. Die Gäste kommen nach wie vor in Scharen, und Suppengrün, inzwischen verstorben, ist in Königsbrück so etwas wie ein kleiner Held.

Wie alt sie tatsächlich ist, weiß niemand

Sachsen war im 19. Jahrhundert das Zentrum des Kamelienanbaus in Deutschland. Spuren davon finden sich bis heute im Land. In Sachsen stehen die ältesten und die größten Kamelien nördlich der Alpen. Dazu die ältesten zusammenstehenden und die ältesten Gefüllten – und die Schönsten sowieso.

Dumas’ Kameliendame
Dumas’ Kameliendame

© Franz Lerchenmüller

Der Superstar unter all diesen Berühmtheiten ist zweifellos die Pillnitzer Kamelie. Neun Meter Höhe, 13 Meter Durchmesser, 35 Meter Umfang lauten ihre attraktiven Maße. Aber der Clou ist zweifellos der 16-eckige Glaszylinder, der sie im Winter vor Frösten schützt. Auf einem Gerüst rundum kann der Besucher sich den Baum von oben und unten und allen Seiten besehen. Kommt dann der Frühling mit Macht, wird es der Seniorin zu warm, und man fährt das ganze Haus einfach auf Schienen beiseite und die Pflanze steht im Freien.

Wie alt sie tatsächlich ist, weiß niemand. Fest steht, dass sie 1801 ausgepflanzt wurde. Das macht sie auf jeden Fall zur ältesten nördlich der Alpen. Denn in Portugal und Italien gibt es ähnlich betagte Exemplare – aber im Grunde interessieren ein paar Jahre hin oder her niemanden. Viel wichtiger ist, dass Wolfgang Friebel, der freundliche Gartenmeister im Schlosspark von Pillnitz, erklären kann, warum die Kamelie gerade in Sachsen solchen Erfolg hatte. Es stecken, wie so oft im Königreich, die Adligen dahinter. Seit August dem Starken liebten sie alles Fernöstliche – wovon die Fassadenmalereien im Chinoiserie-Stil an dem Pillnitzer Palais anschaulich zeugen.

Nur sauer macht lustig

Fast genauso schätzten sie exotische Gewächse. Die Kamelie ist eine Pflanze aus der Familie der Teestrauchgewächse. Sie gelangte wohl im 18. Jahrhundert durch Seefahrer, Kaufleute oder Missionare von China oder Japan aus nach England und nahm zwischen 1770 und 1790 ihren Weg nach Deutschland. In Sachsen fand sie erfahrene Gärtner und pflanzenverrückte Sammler vor, aber auch ein Klima ohne allzu heftige Fröste und weitgehend kalkfreies Wasser. Denn für die Kamelie gilt: Nur sauer macht lustig, Kalk dagegen killt.

Bald wurde sie zur Modepflanze des 19. Jahrhunderts. Man verband die Eleganz der Ballsäle und Theaterlogen mit ihr, aber auch das Knistern seidener Morgenröcke und die Schwüle der Boudoirs. Immer neue Blütenvariationen ließen sich erzeugen. Der Adel sammelte, züchtete und glühte im Kamelienfieber. Annette von Droste-Hülshoff dichtete „Gar weite Wege hast du gemacht, Camelia, staubige Schöne, In deinem Kelche die Flöte wacht...“

Bis in die Provinz drang sie vor, auch nach Roßwein im Sächsischen Berg- und Heideland. Da stellte sich ein Graf Einsiedel 1797 im Wolfstal eine Orangerie hin und leistete sich auch ein paar Kamelien. Während aus dem Gut nach und nach eine Baumschule, ein Erholungsheim und eine Gaststätte wurde, standen die Büsche halb vergessen in einem Winkel herum. Ihr „Suppengrün“ hieß Emil Heller. Der alte Hausmeister trieb selbst in den harten Wintern nach dem Zweiten Weltkrieg noch genügend Bruchholz für den Ofen auf, um dem schlimmsten Frost zu trotzen.

"Frau Minna Seidel" fühlt sich wohl

Am Ende waren es auch hier die Mitglieder des Heimatvereins, die ab 2000 das Glashaus in Schuss brachten, es liebevoll mit japanischen Schirmen und Lampions dekorierten und neben die „größte gefüllte Kamelie nördlich der Alpen“ weitere Sorten pflanzten. Stadtgärtner Ingo Kirschstein hob die Erde bis in zweieinhalb Meter Tiefe aus, um den bösen Kalk zu entfernen und jetzt fühlt sich selbst die zickige „Frau Minna Seidel“ wieder richtig wohl. Was aber wäre wohl, Herr Gärtner, wenn, warum auch immer, doch einmal der botanische Gau...?“ „... wenn mir also die über 200-jährige Alba plena einginge? Dann bräuchte ich mich für den Rest meines Lebens in Roßwein nicht mehr blicken lassen.“

Eine schöner als die andere
Eine schöner als die andere

© Franz Lerchenmüller

Der Vatikan der Kamelienfreunde aber ist Pirna-Zuschendorf, ihr Papst heißt Matthias Riedel und Anfang März wird es Zeit für die jährliche Wallfahrt. Als nach der Wende die Staatlichen Gärtnereien aufgelöst und ihr Grund als Bauland verhökert wurde, fuhren er und seine Mitstreiter herum und sammelten die Restbestände der weltberühmten Seidlschen Kameliengärtnerei ein.

Jacob Friedrich Seidel hatte Mitte des 19. Jahrhunderts 1100 Sorten im Angebot und exportierte bis nach Russland. Dazu fanden sie Hortensien und Azaleen und zwei Gewächshäuser der Königlichen Hofgärtnerei in Pillnitz von 1915. Die bauten sie in Zuschendorf wieder auf und schon 1993 wurde die dortige Kameliensammlung unter Denkmalschutz gestellt.

So schön, so zart, so perfekt

„Die Kamelie“, sagt der Gärtner, der stets ganz in Grün unterwegs ist, „ist die Schauspielerin unter den Blumen.“ Und wer die jährliche Blütenschau im Schloss besucht, versteht, was er meint. Denn die Schöne kommt in vielfältigster Gestalt daher.

Mal erinnert sie an einen Hibiskus, eine Pompondahlie oder einen Weihnachtskaktus. Dann wieder gibt sie sich als Päonie, als Hundsrose oder Apfelblüte. Sie ist zartrosa wie die Morgendämmerung, weiß wie frischgefallener Schnee und tiefrot wie eine Herzkirsche – die Vielfalt bei 60 000 Sorten ist schier unendlich. Und manchmal prunkt sie auch mit einem runden Kissen aus mehr als 200 goldgelben Staubgefäßen – japanische Samurai züchteten diese Higo-Kamelien.

Tausend Blüten aus ganz Deutschland schwimmen in Glasvasen, in Teeschalen oder auf Steinzeug. Sie treiben in einem Bächlein vorbei, doppeln sich in Spiegeln und schmücken nicht zuletzt das Haar von Marguerite Gautier, Alexandre Dumas’ berühmter „Kameliendame“. In frischem Rot leuchtet die Blüte und lässt den Teint der todkranken Kurtisane noch wächserner erscheinen. Kein Wunder, dass gerade die „Rose des Winters“, die nur in der Kälte blüht, zum Symbol der unerfüllten, unglücklichen Liebe wurde: so schön, so zart, so perfekt – aber kein Duft, keine Seele, kein Feuer. Die Schöne ist und bleibt unnahbar.

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