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Vogelperspektive: Rothenburg ob der Tauber mit Franziskanerkirche.

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Taubertal: Über alte Brücken darfst du fahren

Es fing damit an, dass uns die Grundlagen fehlten: das Kartenmaterial, ohne das eine Radreise ungemütlich werden kann. Egal! Fernradstrecken sind heute bestens markiert, vor allem, wenn sie an Flüssen entlang führen. Wie soll man sich denn verfahren, wenn der Wasserlauf die Richtung vorgibt? Der Fernradweg „Liebliches Taubertal“ beginnt knackig – und wird dann gemütlich.

Es fing damit an, dass uns die Grundlagen fehlten: das Kartenmaterial, ohne das eine Radreise ungemütlich werden kann. In Miltenberg waren am Sonnabend nachmittag alle Geschäfte geschlossen. Und an der Tankstelle hatte man nie etwas von einem Radweg „Liebliches Taubertal“ gehört. Egal! Fernradstrecken sind heute bestens markiert, vor allem, wenn sie an Flüssen entlang führen. Wie soll man sich denn verfahren, wenn der Wasserlauf die Richtung vorgibt?

Zum Warmfahren geht es ohnehin noch ein ganzes Stück am Main entlang. Wir müssen einfach nur den Karawanen folgen, die auf dem ersten Fünf-Sterne- Fernradweg der Republik strampeln. Breit, braun und träge dümpelt er nebendran dahin, der Moenus der Römer. Unnötig zu erwähnen, dass man nirgendwo eine Fahrradkarte kaufen kann.

Auch in schönen Wertheim nicht, in dem wir nach Süden abbiegen. Das Tal der Tauber begrüßt uns mit einem knackigen Anstieg, dem leider weitere folgen sollten. Der Schweiß rinnt uns von der Stirn, die Lunge pfeift. Dass es irgendwann mal steil werden würde, hatten wir ja geahnt. Aber gleich so früh, keine zehn Minuten von der Mündung entfernt? Der Mainradweg hatte uns da ziemlich verwöhnt. Immerhin wissen wir jetzt, warum uns am Abzweig niemand ins „liebliche Taubertal“ gefolgt ist.

Als wir aus dem Wald herausfahren, sehen wir jedoch, dass das werbewirksame Prädikat nicht völlig aus der Luft gegriffen ist: Vor uns dämmert eine offene Landschaft in der Frühlingssonne – mit herrlich grünen Hängen, auf denen blühende Apfelbäume stehen. Dazwischen alte Trockenmauern aus Buntsandstein – ein farbenfrohes Gesamtkunstwerk aus Menschenhand. Leider nervt die Autostraße, die sich jenseits des flaschengrünen Flüsschens durch die Talsohle schlängelt. An schönen Wochenenden wimmelt es hier von Motorradfahrern, die die liebliche Landschaft offenbar nur bei höchsten Drehzahlen genießen können.

An die Tauber haben uns auch die Aufzeichnungen des Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl gelockt. Sein 1865 niedergeschriebener „Gang durchs Taubertal“ gibt auch dem Reisenden des 21. Jahrhunderts wichtige Anhaltspunkte. Besonders inspirierend ist sein Hinweis auf die „altertümliche Billigkeit der Wirtshäuser“. Sie erlaube es einem, „mit einer ziemlich leichten Barschaft des Geldbeutels“ durchzukommen. Der Nordosten Baden- Württembergs eine Niedrigpreiszone? Wir sind gespannt.

In Berlin fährt es sich da an manchen Stellen etwas ungemütlicher: Die unbeliebtesten Radstrecken der Hauptstadt:

Einstweilen halten wir nach den „poetischen Reliquien“ Ausschau, von denen Riehl geschwärmt hatte – markante Funktionsbauten von annodazumal, die opulente Eulschirbenmühle etwa oder die nicht weniger opulente, hoch am Berg thronende Gamburg. An sehenswerten Spuren vergangener Zeiten herrscht zwischen Wertheim und Rothenburg kein Mangel. Schließlich führte im Mittelalter die Handelsstraße von Frankfurt am Main nach Augsburg durchs Tal. Kein Wunder, dass im kleinen Bronnbach ein Zisterzienserkloster aus dem12. Jahrhundert steht. Die monumentale Anlage besticht durch ihre spätromanische Basilika und die weitläufigen Wirtschaftsgebäude aus dem Barock, zu denen glücklicherweise auch ein gemütliches Gasthaus gehört.

Im Kurort Bad Mergentheim sind dann der großzügige Marktplatz und das Residenzschloss des Deutschen Ritterordens zu bestaunen, dazu die Fresken aus dem 13. Jahrhundert in der Marienkirche. Das Gotteshaus mit der weltberühmten Stuppacher Madonna liegt allerdings sieben Kilometer entfernt. Matthias Grünewald, dem neben Albrecht Dürer wichtigsten Maler der deutschen Renaissance, hat das farbenfrohe Tafelbild gemalt. Bis November kann man sich den Umweg jedoch sparen. Die Madonna ist aushäusig. Sie wird aufwendig restauriert.

Um zu erkennen, dass man eine Sakrallandschaft durchquert, muss man keine einzige Kirchentüre öffnen. Entlang der Route stehen jede Menge Feldkreuze und Bildstöcke am Wegesrand, und auf jedem alten Flussübergang wacht ein Brückenheiliger, selbst dort, wo vor 500 Jahren die Reformation Einzug gehalten hatte.

Die konfessionelle Unübersichtlichkeit des Taubertals geht auf das frühe 16. Jahrhundert zurück. Nach der Devise „cuius regio, eius religio“ mussten die Untertanen damals den Glauben ihrer jeweiligen Landesherren annehmen. So sind die Bewohner des unteren, heute zu Baden Württemberg gehörenden Tals evangelisch, während man in den fränkischen, also zu Bayern gehörenden Orten katholisch geblieben ist. Die religiösen Unterschiede lassen sich allerdings auch im Landschaftsbild ablesen. Dass man fränkisches Terrain betritt, merkt man daran, dass die Dichte der religiösen Wegzeichen noch einmal zunimmt. Im gegenreformatorisch geprägten Städtchen Röttingen ist zudem an jedem dritten Wohnhaus eine Marienfigur in die Hauswand eingemauert, meist hinter einer Glasscheibe. Die Franken sind nun mal tief religiös, noch heute.

Kurz vor Röttingen machen wir an einer sechsbögigen Steinbrücke Halt. Sie ist schmal genug, dass immer nur ein Auto darüber fahren kann, hat aber große Ausbuchtungen, in denen es sich Fußgänger und Radfahrer gemütlich machen können. Gebaut wurde sie 1716 vom berühmten Barockbaumeister Balthasar Neumann, wenige Jahre bevor er sich der Großbaustelle der Würzburger Residenz widmete.

Wie lief es denn überhaupt ohne GPS und dem klassischen Bikeline-Führer?

Bad Mergentheim - Pitorresk.
Bad Mergentheim - Pitorresk.

© picture-alliance/ dpa

Bald nehmen die mit Weinreben bepflanzten Flächen ab, zugunsten von Wiesen und Weiden. Die Landschaft sieht nun aus, als ob sie der Flurbereinigung der 70er Jahre vollständig entgangen wäre: Überall Gebüsch- und Steinreihen zwischen den Feldern und Wiesenstücken – eine kleinräumige alte Kulturlandschaft, die im Zeitalter moderner Agrarindustrien wahrlich Seltenheitswert hat.

Kurz darauf mündet der Radweg in die Trasse einer aufgelassenen Bahnstrecke. Sogleich hat man das Gefühl, der Natur noch ein Stück näher gerückt zu sein. Denn der Weg hat nun eine gut befahrbare Splittauflage – eine mehr als willkommene Abwechslung zu den monotonen Asphaltbahnen, auf denen wir seit fast hundert Kilometern unterwegs sind. Endlich rauscht es mal unter den Reifen, endlich verliert sich der Eindruck, von der Landschaft wie durch eine Glasscheibe getrennt zu sein.

In Creglingen ruft die Pflicht. Hier wartet der berühmteste Altar von Tilman Riemenschneider. Allerdings nur bis 18 Uhr. Denn dann schließt die etwas außerhalb liegende Herrgottskirche. Riemenschneider gehörte zu den gefragtesten Holzschnitzern der Deutschen Renaissance. Seine Figuren sind so filigran gearbeitet, dass er auf die damals übliche Bemalung verzichten konnte.

Auf den letzten zwanzig Kilometern wird es noch mal anstrengend. Zum Glück bleibt der Radweg aber mal eine ganze Zeit lang auf der Höhe. Der Blick fällt in die noch enger gewordene Talsohle und hinüber auf den von vertikalen Steinwällen gegliederten Gegenhang. Schade, dass die Tage dieser kleinräumig geprägten Landwirtschaft gezählt sind. Selbst aus der Ferne ist zu erkennen, mit welcher Macht die Natur zurückkehrt. Manche Wiesenparzelle ist bereits mit Gebüsch und Bäumchen überwuchert.

Hier oben erscheinen auch die Dörfchen selbst als „poetische Reliquien“. Einheitlich mit roten Dachziegeln gedeckt, sind sie von den Segnungen der modernen Zeit verschont geblieben – von Großparkplätzen, wuchernden Gewerbegebieten und trostlosen Neubausiedlungen. Alles sieht organisch gewachsen aus, alles passt sich dem markanten Landschaftsprofil an. Immer wieder rollt man an alten Steinbogenbrücken, rustikalen Mühlen und Wassermauern vorbei. Fluss und Radweg kommen sich jetzt endlich ganz nah, die Geräusche der Zivilisation gehen im Rauschen des Wassers unter. Ein weiterer Augenschmaus ist die gedeckte Holzbrücke direkt unterhalb von Rothenburg.

Dann heißt es einen Moment lang schieben. Sofort wird einem klar, warum das intakteste mittelalterliche Städtchen Deutschlands den Beinamen „ob der Tauber“ trägt. Oben freilich öffnet sich eine komplett andere Welt – denn die steingepflasterten Gassen sind voll mit Japanern und Koreanern, für die das romantische Ensemble fester Bestandteil einer Europareise ist. Lebensmittelgeschäfte findet man innerhalb der intakten Ringmauer keine, bei Souvenir- und Modeläden hat man aber die freie Auswahl.

Für uns ist die Reise hier zu Ende. Zwar könnte man von hier aus dem neuen Verbindungsstück zum Altmühlradweg folgen und bis zur Donau weiter radeln. Der Anstieg zur europäischen Wasserscheide heben wir uns lieber für das nächste mal auf. Wir haben ja auch keine Karte.

Genau! Wie lief es denn überhaupt ohne GPS und dem klassischen Bikeline-Führer? Unproblematisch, denn der unlängst mit fünf Sternen ausgezeichnete Taubertal-Radweg ist tatsächlich bestens markiert. Nur rund um die Stadtzentren mussten wir immer wieder ein paar Ehrenrunden drehen. Und die anderen Aspekte – die Lieblichkeit, das Preisniveau, die körperlichen Anstrengungen?

Anstrengend war es eigentlich nur auf den ersten Kilometern und auf der Schlussetappe. Von hohen Preisen konnte nicht einmal in Rothenburg die Rede sein! Und lieblich war es ohne jeden Zweifel – abgesehen vom Ausbauformat des Radweges. Nahezu ununterbrochen auf mindestens drei Meter breiten Wirtschaftssträßchen zu radeln, passt nun wirklich nicht zu dem hübschen Etikett, das die Touristiker ihrem Tal verliehen haben. Hier hätten wir etwas mehr Sinn für die Lieblichkeit erwartet, mit der man wirbt.

Gerhard Fitzthum

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