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Neuer Glanz. In der Stadtkirche St. Marien kann der restaurierte Altar von Lucas Cranach dem Älteren wieder bewundert werden.

© Marlis Heinz

Wittenberg: Im Zeichen der Schlange

In Wittenberg glänzen die Cranachs schon ein Jahr vor dem 500. Geburtstag des Jüngeren.

Die Stadt der Reformation ist derzeit die Stadt der Restaurierung. Das halbe Zentrum von Wittenberg ist eingetütet, zugerüstet und mit Kränen gespickt. Am Hauptbahnhof wird gebaut. Die Stadtkirche ist verhüllt. Im Augusteum, wo derzeit große Ausstellungsräume entstehen, sind die dunklen Holzbalken an den Decken und die silbernen Rohre der Klimaanlagen in den Fußböden gleichzeitig präsent. Auch von der berühmten Schlosskirche ragt nur die kupfergrüne Kuppel aus Plastikfolien.

Der rund um den Turm angebrachte Schriftzug „Ein feste Burg ist unser Gott“ ist hinter der Hülle verschwunden. Allerdings hat niemand gewagt, die seitliche Eingangstür zu verhängen – die sogenannte Thesentür. An die, das heißt deren hölzerne Vorgängerin, hatte Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen wider den Ablasshandel genagelt. Höchstwahrscheinlich – relativieren die Historiker. Aber die Szene ist zu anschaulich, als dass Stadtführer und Touristiker den Konjunktiv gelten lassen. Die heutzutage bronzene Denkmal-Tür lugt also aus der Verhüllung heraus, geschützt von einem Drahtgitter, in das Fotografen objektivgroße Löcher gebogen haben.

2017 wird das 500-jährige Jubiläum der Reformation begangen, festgemacht am Thesenanschlag zu Wittenberg. Wer da noch nicht im Bilde ist, den informiert ein riesiges Plakat am Kirchturm: Luther schaut auf Baustelle und Info-Center herab. „Am Anfang war das Wort“, wird die Bibel zitiert und das runde Jubiläum angekündigt. Da dem eine Luther-Dekade vorausgeht, ist jedem der zehn Jahre vor 2017 ein Thema gewidmet. 2015 gehört dazu auch schon ein Jubiläum: der 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Jüngeren. Ihm und seiner Zeit gilt die vom 26. Juni bis 1. November 2015 stattfindende Landesausstellung von Sachsen-Anhalt im Augusteum sowie an Korrespondenzstandorten in Wittenberg, Dessau und Wörlitz. Das wird die erste Exposition, die ausschließlich Lucas Cranach dem Jüngeren gewidmet ist.

Fragezeichen rund um die Autorenschaft

Cranach der Jüngere ist – logischerweise – jünger als der Ältere. Die beiden sind Vater und Sohn. Doch dann wird die Sache knifflig: Der Ältere hieß früher ganz anders, nämlich Maler, und hat sich dann nach seiner Geburtsstadt Kronach umbenannt in „Lucas aus Crana“. Die Cranachs waren auch nicht nur Maler und porträtierten die berühmtesten Männer ihrer Zeit. Sie verdienten ihr Geld als Designer im weitesten Sinne und fabrizierten Möbel, Fassaden, Bücher und Tapeten. Sie waren zudem Unternehmer mit vielen Standbeinen, agierten als Apotheker und Gastwirte, Verleger und Besitzer ansehnlicher Immobilien. Und Bürgermeister von Wittenberg waren sie auch.

Die meisten Fragezeichen setzt bis heute die Autorenschaft der aus der Cranach-Werkstatt stammenden Arbeiten. Bis zum Jahr 1537, als der jüngere Lucas an die Stelle seines verstorbenen Bruders in die väterliche Werkstatt eintrat, war auch klar, wer sich hinter dem Signum der geflügelten Schlange verbarg – der ältere Lucas. Aber dann kooperierten Vater und Sohn und beschäftigten zudem noch zehn bis dreißig Gesellen in ihrer höchst effektiv gemanagten Manufaktur. Und so trifft man kaum Kunsthistoriker, die bei Werken dieser bis 1550 reichenden Epoche in Sachen Urheberschaft ihre Hand ins Feuer legen möchten. Fremdenführer retten sich meist in die Lobpreisung „Ein echter Cranach!“.

Eines der berühmtestes Werke der gemeinsamen Schaffenszeit von Vater und Sohn ist der Wittenberger Altar in der Stadtkirche St. Marien. Die Kirche wird als Projekt „Cranachs Kirche – Originale am originalen Ort“ einen Teil der Landesausstellung präsentieren. Noch wird das Gebäude äußerlich saniert, noch riecht es auch im Inneren nach den vor wenigen Tagen abgeschlossenen Arbeiten. Doch die Konservierung des berühmten Reformationsaltars und der zehn Epitaphien an den Wänden ist vollendet. Die Bilder sind in alter Leuchtkraft auferstanden, durften schon mal am Reformationstag angeschaut werden.

Schwämmchen und Speichel

"Unser Ziel war das Erhalten. Wir haben nichts hinzugefügt", sagt Kirchenkonservatorin Bettina Seyderhelm.
"Unser Ziel war das Erhalten. Wir haben nichts hinzugefügt", sagt Kirchenkonservatorin Bettina Seyderhelm.

© Marlis Heinz

Kirchenkonservatorin Bettina Seyderhelm kann über die vierjährige Arbeit der Restauratoren viel erzählen: „Unser Ziel war ausschließlich die Konservierung dort, wo Bildteile verloren gingen. Wir haben nichts hinzugefügt.“ Auch Spuren von Überarbeitungen aus den vergangenen rund 470 Jahren, beispielsweise Übermalungen oder auf der Rückseite eingeritzte Namen, blieben teilweise erhalten. „Aber immer wieder standen wir vor der Frage, was bewahrenswert ist und was nicht, welche spätere Veränderung entfernt werden sollte und welche nicht.

Mitunter traten unter breiten Pinselstrichen die weit feineren Gesichtszüge, Bärte und Haare, Konturen und Farbschattierungen der Entstehungszeit zutage. Das wichtigste jedoch war die Reinigung der Kunstwerke. Auf den Farben befanden sich mehrere Firnisschichten.“ Und Seyderhelm verrät auch das Geheimmittel der Restauratoren: winzige Schwämmchen und Speichel.

Wer aufmerksam sucht, wird auch auf manchen Bildern die geflügelte Schlange finden; nicht auf allen, der Auftraggeber bestimmte, ob der Künstler sein Logo hinterlassen durfte. Eher sorgenvoll schaut Frau Seyderhelm jedoch auf die Gütesiegel: „Das sind die Stellen, an denen wir den meisten Schmutz entfernen mussten – weil seit Jahrhunderten die Betrachter drauftippen.“ Zumindest während der Landesausstellung sollen die Zeiger dann etwas auf Abstand gehalten werden.

„Mit Luther lässt sich Geld machen“

Und woanders gibt es ihn ja, den Cranach zum Anfassen. Beispielsweise im großen Cranach-Hof, wo Andreas Metschke seine historische Druckerstube betreibt. An seinem Regal hängen zwei Gewänder, die er überstreift, wenn er den Cranach gibt. „Eines wenn ich drucke“, erläutert er, „und das andere, wenn ich Aktzeichnungen mache, so wie die Cranachs damals.“ Von Metschke sind allerdings nicht nur Drucksachen, sondern auch Auskünfte zu bekommen. Über Technisches, darüber was Cranach alles für Luther druckte und über all das, was Familie Cranach und Familie Luther verband. Und so vermutet er auch: „Die Cranachs wussten rechtzeitig: Der Luther ist ein Mann, mit dem sich Geld machen lässt.“

Trotz aller Bauarbeiten gibt es in Wittenberg also schon jetzt reichlich Reformation zu erleben. Ganz neu ist die die zwei Meter große Weltkugel auf dem Marktplatz, in deren Inneren eine Uhr den Countdown bis zur Eröffnung der Reformationsausstellung im Mai 2017 vermerkt. Seit der Renaissance nahezu unverändert steht das Haus von Philipp Melanchthon. Es wurde im vergangenen Jahr nach Restaurierung und Erweiterung wiedereröffnet und birgt eine Ausstellung über den Reformator und dessen Familie. Kindern erzählt Magdalena, Melanchthons zehnjährige Tochter, was es mit der Reformation auf sich hat.

Das Gebäude der Schwarzen Klosters, dem heutigen Lutherhaus, in dem Luther zunächst als Mönch, später mit Familie und immer reichlich Gästen lebte, ist mit 1000 Originalen das größte reformationsgeschichtliche Museum. Auf dem Hof steht das Denkmal der Katharina, der energischen, geschäftstüchtigen Ehefrau des Kirchenmannes. In ihrem Rücken das Baugeschehen am Augusteum, eilt sie in großen Schritten aufs Lutherhaus zu. Vermutlich hätte „Herr Käthe“, wie ihr Mann sie respektvoll nannte, den Umbau nebenan und die Vorbereitung der Ausstellung, nicht ohne ihr Zutun geschehen lassen.

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