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Anziehend. Der Ort liegt sechs Kilometer östlich von Nizza.

© p-a/ Robert Hardin

Jean Cocteau in Frankreich: An der Küste der Poesie

Vor fünzig Jahren starb Jean Cocteau. Sein Zimmer im Hotel Welcome in Villefranche-sur-Mer gibt es noch, auch die Kapelle, die er für die Fischer bemalte.

Die Ozeanriesen mit den Tagestouristen wirken wie Fremdkörper am Cap Ferrat. Vor allem in Villefranche-sur-Mer, einem Fischerdorf in einer der schönsten Buchten der Côte d’Azur. Villefranche, steil in die Küste hineingebaut, sieht nicht aus wie geleckt oder von Promis „verwohnt“ wie so viele Orte entlang der Küste.

Einerseits lebt die 5800-Seelen-Gemeinde von ihrer familiären Atmosphäre. Andererseits besitzt sie ein Pfund, mit dem sie wuchern und das sie gegen die große Konkurrenz aus Cannes oder Nizza verteidigen muss: Die Bucht von Villefranche ist mit 350 Hektar der fünftgrößte natürliche Hafen des Landes. Hier können die Kreuzfahrtschiffe aus Übersee gefahrlos ankern.

„Europa in zehn Tagen“, das ist zwar nicht gerade die Philosophie, der sich Villefranche verschrieben hat. Aber rund 200 000 Japaner und Amerikaner pro Jahr kann sich die Gemeinde einfach nicht entgehen lassen. Zwischen 60 und 70 Prozent von ihnen machen Tagesausflüge zu den Touristenmagneten Cannes, Nizza und Monaco; andere bleiben lieber ganz an Bord. Etwa jeder Fünfte immerhin bleibt im Städtchen.

Wer es aber ernst meint mit Villefranche, kommt immer wieder hierher. So wie Jean Cocteau, an dessen 50. Todestag (11. Oktober) in diesem Jahr erinnert wurde. Der französische Maler, Dichter, Romancier, Filmregisseur, Ballett- und Theaterautor (1889–1963) liebte den Hafen und sein mal gemächliches, mal geschäftiges Treiben. Seit seinen wilden 20er Jahren, als er hier seine Opiumsucht kurierte und, wie er sich ausdrückte, mit seinen Pariser Freunden durch die Ortschaft spukte, ist er immer wieder zurückgekehrt. Er malte die Fischer, lebte mit ihnen und schrieb über sie. Die „beste Zeit“ seines Lebens habe er in Villefranche verbracht, verriet er.

„Hotel Welcome“, Zimmer 22. Wer in dem umgebauten Konvent aus dem 17. Jahrhundert nicht einschlafen kann, muss keineswegs betrübt sein. Man kann – wie einst Cocteau – vom Balkon dem Wogen der Wellen zusehen oder dem sanften Quietschen des Landestegs lauschen. Nummer 22, das war Cocteaus Zimmer, der Balkon seine „Opernloge“. Szenen seiner Filme hängen an den Wänden, über dem Bett prangt ein Zitat des Meisters: „De temps en temps il faut se reposer de ne rien faire“ (Von Zeit zu Zeit muss man sich mal vom Nichtstun erholen).

Dabei fand der Vielschreiber und Exzentriker Cocteau hier im Gegenteil den idealen Nährboden für seine Kreativität. Hier entstand auch eines seiner Hauptwerke, „Das Testament des Orpheus“.

„Orphee“ – so nannte er nach dem Krieg im Übrigen auch seine drei aufeinander folgenden Boote, die in Villefranche vor Anker lagen. Die Mitglieder der „Prud’hommie des Pêcheurs“, der Fischerbruderschaft von Villefranche, bestärkten ihn in den fünfziger Jahren in seiner Idee, die kleine Petrus-Kapelle unten an der Hafenmole mit Fresken auszumalen.

Das romanische Gotteshaus aus dem 14. Jahrhundert zu Ehren des Schutzpatrons der Fischer war damals in einem traurigen Zustand – ein vernachlässigter Abstellraum für Netze und anderes Fischerzubehör. Als Zeichen seiner fast brüderlichen Verbundenheit hat Cocteau sie 1957 komplett ausgemalt, so befremdlich wie faszinierend: mit populären religiösen Szenen, etwa aus dem Leben des Apostels oder mit einer Hommage an die Zigeunerwallfahrt nach Les Saintes Maries de la Mer, die aussehen wie Felsmalereien in einer Grotte im Meer.

Vielleicht aus Sorge um seinen Ruf als Ketzer fiel die Selbstinterpretation des Künstlers für seine Aktion allerdings eher vorsichtig aus: „Ich habe die Poesie betreten, wie man in eine Religion eintritt. Daher ist die Kapelle von Villefranche religiös.“ Bis heute ein Segen für die Fischerbruderschaft des Ortes, die das Kleinod verwaltet. Der Erlös aus den Eintrittsgeldern wird benutzt, um die mageren Renten der alten Fischer aufzubessern. Drinnen herrscht strengstes Fotoverbot. Die Tourismusbeauftragten der Stadt würden das gern aufheben. Den Fischern ist es gleichgültig. Es ist ihre Kapelle. (KNA)

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