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England: Shakespeare mit Scones

In Stratford-upon-Avon schlägt das englische Theaterherz.

Der Taxifahrer kennt das Ziel, bevor wir eingestiegen sind. Natürlich wollen wir zu Shakespeare. Wir sind mit dem Zug gerade in Stratford-upon-Avon angekommen, ein kleines Städtchen 35 Kilometer südwestlich von Birmingham in der Grafschaft Warwickshire. Alle Besucher wollen zu ihm. Denn hier ist er geboren, der größte Dramatiker der Welt.

An einem Sonnabendvormittag geht es mit dem schwarzen Taxi hinein ins Zentrum, wo sich Einheimische und Touristen mischen. Die Bevölkerung der Umgebung kauft ein auf dem kleinen Wochenmarkt. Die Fußgängerzone lockt Passanten mit Süßwarenläden und Cafés, in deren Auslagen sich mit Sahne gefüllte Scones türmen.

Die Touristen zieht es zu den Sehenswürdigkeiten. Die ganze Stadt steht im Zeichen ihres berühmtesten Sohnes. Ein Straßenkünstler, kostümiert und den typischen Spitzbart angeklebt, hofft auf ein bisschen Kleingeld. Der Buchladen hat seine Schaufenster mit dem Konterfei des Dichters dekoriert. Die mächtige, gotische Holy Trinity Church ist Shakespeares letzte Ruhestätte. Immer liegen Blumen an diesem Ort. Ein beliebtes Fotomotiv ist auch die ironische Inschrift auf dem Grabstein: „Guter Freund, im Namen Jesu grabe nicht / den Staub auf, der hier eingeschlossen ist. / Gesegnet sei derjenige, der diese Steine achtet, / und verflucht der, der meine Gebeine bewegt“.

Fünf Häuser gehören zum vom Shakespeare Birthplace Trust betriebenen Erbe und können besichtigt werden: das Geburtshaus, das Elternhaus der Mutter und der Frau, das Haus, in dem die Schwester mit dem stadtbekannten Arzt John Hall wohnte und jenes inzwischen bis auf die Grundmauern zerstörte Anwesen, das Shakespeare erwarb, als er als erfolgreicher und wohlhabender Schriftsteller aus London in die Heimat zurückkehrte.

Nach wie vor wird hier nach Gegenständen aus der Zeit des großen Dichters gegraben. Alles ist genehm, was die Lebensumstände Shakespeares – vor rund 400 Jahren – greifbarer macht. Denn gemessen am weltweiten Bekanntheitsgrad liegt noch viel Biografisches im Dunkeln, sagt Emily Oliver. Sie lebt seit vier Jahren in Stratford, und schreibt am Shakespeare Institute, das zur Universität von Birmingham gehört, ihre Doktorarbeit – natürlich über Shakespeare.

Gelegentlich führt die 27-Jährige auch Besucher durch die Stadt. Wir bleiben stehen vor Shakespeares Geburtshaus, ein eher unscheinbares Gebäude in der Fußgängerzone. „Nicht über die Farbe wundern“, sagt Emily. Während die anderen Fachwerkhäuser der Stadt, all die urigen Kneipen und verwinkelten Boutiquen, herausgeputzt und weißgetüncht wurden, ist diese Fassade in lehmigem Grau gehalten. „Das entspricht aber dem Originalzustand“, sagt Emily. Sie schleust uns ins angeschlossene Besuchzentrum, das mit theatralischen Multimediashows offensichtlich versucht, eine geheimnisvolle Zeitreise ins elisabethanische Zeitalter zu inszenieren. Shakespeare gehört noch mehr als Goethe in Deutschland zum nationalen Kulturgut, sogar Grundschulkinder werden häppchenweise an seine Geschichten herangeführt, sagt Emily.

Beschaulicher und romantischer ist unser Ausflug zum reetgedeckten Cottage, in dem seine Frau Anne Hathaway aufgewachsen ist. Ein wenig außerhalb von Stratford gelegen, streift eine Katze durch den hübschen Garten mit Obstbäumen, in einer Laube erklingen Shakespeares Sonette. Shakespeare war 18 Jahre alt, als er die acht Jahre ältere Bauerstochter Anne heiratete, mittellos und ohne Ausbildung. Aber nachdem Anne bereits schwanger gewesen sein soll, blieb dem jungen Paar im späten 16. Jahrhundert nichts anderes übrig. Konnte ja keiner ahnen, dass er einmal so erfolgreich werden sollte.

Doch was ist mit dem Gerücht, dass Shakespeare womöglich gar nicht der Autor der meisten seiner Werke gewesen sein soll? Erst im vergangenen Jahr hatte Hollywood-Regisseur Roland Emmerich mit seinem Film „Anonymus“ die Debatte angeheizt. Emily Oliver kennt natürlich diese Thesen. „Sie stammen von ziemlich arroganten Menschen, aus der Überzeugung heraus, dass jemand aus der Mittelschicht wie Shakespeare gar nicht fähig ist, so etwas zu schreiben“, sagt die junge Expertin. Shakespeares Vater war Lederhändler.

Ähnlich denkt auch eine andere Shakespeare-Kennerin: „Diese Argumentation ist snobistisch“, schnaubt Deborah Shaw von der Royal Shakespeare Company. Für sie zählt, dass seine Werke universal sind. Das wird sich auch beim World Shakespeare Festival zeigen, dass die Britin leitet. Noch bis September werden in Stratford aber auch im Londoner Globe Theater und weiteren englischen Städten alle 38 Dramen aufgeführt – von Gruppen aus der ganzen Welt. Aus Bagdad kommt eine Romeo-und-Julia-Produktion, eine brasilianische Company gastiert mit einer zirzensischen Version von Richard III. und die amerikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Toni Morrison und der renommierte Regisseur Peter Sellars nehmen sich der Desdemona, einer Figur aus dem Stück „Othello“ an. Aus Deutschland ist die Shakespeare Company aus Bremen zu Gast. Es wird ein Fest zu Ehren Shakespeares.

Auch unabhängig vom Festival schlägt in Stratford das englische Theaterherz. Am gemächlich dahintreibenden Fluss Avon, der von Schwänen und eifrigen Ruderern bevölkert ist, liegt der Hauptsitz der Royal Shakespeare Company. Hier werden die Stücke des Dichters Abend für Abend lebendig gehalten. Die Chefin der Company ist übrigens die Queen höchstpersönlich. Erst vor Kurzem wurde der Art-Deco-Bau aus den späten zwanziger Jahren komplett umgebaut, ein Aussichtsturm mit herrlichem Blick über die Dächer und umliegenden Hügel angebaut und die Bühne in den Zuschauerraum verlegt, so wie es zu Shakespeares Zeiten üblich war.

Das Publikum war und ist heute wieder nah dran, wenn gemeuchelt und gekämpft wird in den Königsdramen, geflirtet und geblödelt in den Verwechslungskomödien. Danach geht es noch in eine Kneipe um die Ecke, in der auch Schauspieler nach ihrem Auftritt gern einkehren – wie zahlreiche Fotos an der Bar verraten. Eigentlich heißt die Gaststätte „Black Swan“, unter den Einheimischen hat sich aber „Dirty Duck“ eingebürgert. Dem zu Späßen aufgelegten Shakespeare hätte das sicher gefallen.

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