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Trutzig. Penshurst Place in Kent wurde im 14. Jahrhundert erbaut. Wie das Herrenhaus sind auch die Parkanlagen wahrhaft feudal.

© Robert Bird/Alamy Stock Photo

Herrenhäuser in England: In den Gemächern der Hofdamen

Die Aristokratie liebte den Süden Englands. Nun darf das Volk ihre Paläste besichtigen – und picknicken im Park.

Zwei Hofdamen tuscheln in einer Ecke, neben ihnen steht ein elegant gekleideter Höfling. Doch die Gestalten aus der Tudorzeit geben ihre Geheimnisse nicht preis: Ihre üppigen Gewänder sind auf Puppen gespannt. Die Krypta unter der zweitältesten Großen Halle Englands, wo einst Vorräte gelagert und Schätze vor Feuer und Feind verborgen wurden, ist heute Aufbewahrungsort für Requisiten und Kostüme – Erinnerungen an diverse Dreharbeiten in Penshurst Place.

Der Film „Die Schwester der Königin“ mit Scarlett Johansson als Mary Boleyn entstand zu Teilen in dem historischen Haus; auch im Sommer 2014 tauchte die BBC-Verfilmung des Bestsellers „Wölfe“ den Bau aus dem 14. Jahrhundert in Scheinwerferlicht. Die englische Romanautorin Hilary Mantel erzählt darin die Geschichte des Gattinnenverschleißers Heinrich VIII. aus dem Blickwinkel seines Beraters Thomas Cromwell.

Penshurst Place war auch hier eines von mehreren historischen Häusern, die die feudalen Anwesen Heinrichs und seiner Vasallen darstellten.

Von einem Tag auf den nächsten raffte den Besitzer die Pest dahin

Das Haus, seit dem 16. Jahrhundert im Eigentum der Familie Sidney, hat die Zeit erstaunlich unberührt überstanden. Auch die von Hecken eingefassten Rosen- und Magnoliengärten und der Obsthain haben sich kaum verändert, seit Heinrichs Tochter Elizabeth I. zu Besuch war.

Heute spielen und flanieren hier die Besucher. Im Frühling fotografieren sie ihre K

inder zwischen Fluten blühender Narzissen, bis in den Herbst liegen sie, von keinem Verbotsschild aufgehalten, auf Rasenflächen und nutzen die Gärten, die zu den ältesten erhaltenen Englands gehören, als wären es ihre eigenen.

Sir John de Pulteney, ein reicher Händler aus London, ließ Penshurst Place 1341 erbauen. Er beauftragte die besten Handwerker seiner Zeit, um die von zwei Flügeln eingefasste Große Halle mit hohen Fenstern und einer aufwendig aus Kastanienholz geschnitzten Decke zum Schmuckstück zu machen.

Weil Pulteney seinem König Edward III. viel Geld geliehen hatte, durfte er sich frei unter dessen Baumeistern bedienen. Doch er sollte sich nur acht Jahre lang an seinem Landhaus erfreuen; von einem Tag auf den nächsten raffte ihn die Pest dahin.

Vorsichtshalber ließ der König den Gastgeber köpfen

Nachdem das Anwesen an die Herzöge von Buckingham fiel, war es dem dritten Herzog beschieden, wesentliche Eigenschaften des noch jungen Heinrich VIII. kennenzulernen: Misstrauen, gepaart mit tödlicher Konsequenz. Anlässlich eines Besuchs seines Königs im Jahr 1519 investierte Buckingham ein Vermögen in dessen Bewirtung. Doch solcher Reichtum, dazu ein hoher Titel, das mochte bedeuten, dass Buckingham sich Hoffnungen auf Heinrichs Thron machte.

Vorsichtshalber ließ der König ihn köpfen, Penshurst Place fiel an die Krone. Heinrich nutzte den Ort als Jagdsitz und überließ ihn später seiner vierten Ex-Frau Anna von Kleve. Heinrichs einziger Sohn Edward schenkte es seinem Tutor Sir William Sidney. Das Haus blieb über eine Nichte in der Familie. Bis heute.

Historische Bausubstanz, Gärten von der Größe mehrerer Fußballfelder und Weide- und Ackerland der herrschaftlichen Anwesen können zwar einiges einbringen, erfordern zugleich aber auch viel Geld für ihre Erhaltung.

Daher sind viele – anders als Penshurst Place – nicht mehr in Privatbesitz, sondern gehören dem National Trust, einer gemeinnützigen Organisation, die das historische Erbe bewahrt. Mancher Aristokrat bewohnt so noch einen Teil des Anwesens seiner Väter, ohne bei jeder Dachdeckerrechnung den Bankrott fürchten zu müssen.

Zugleich macht der National Trust Schlösser, Adelssitze und Dichterklausen der Öffentlichkeit zugänglich und beschert das Volk überdies mit Shops, in denen von Marmelade aus Bio-Früchten über Vogelnistkästen bis zu Fußmatten und Gartenhandschuhen alles zu kaufen ist, was das Landleben schöner macht – stets zum Wohl der über 350 historischen Häuser, Gärten und Monumente, in deren Erhalt aller Gewinn fließt.

Noch heute ist die Landschaft um Standen ein Idyll

In die liebliche Hügellandschaft der South Downs (von Altenglisch dun, Hügel), bauten die Beales ihr Traumhaus.
In die liebliche Hügellandschaft der South Downs (von Altenglisch dun, Hügel), bauten die Beales ihr Traumhaus.

© imago/UIG

Besonders viele finden sich im Süden Englands, wo einflussreiche Persönlichkeiten immer schon die Nähe zur Hauptstadt zu schätzen wussten und eine Landschaft aus Hügeln, Wiesen und gepflegten Dörfern Augen und Gemüt beruhigt. Dass dieses Bild sich im Lauf der Zeit nicht dramatisch verändert hat, bedeutet heute auch, dass sich der Verkehr des 21. Jahrhunderts über uralte Routen durch die Herzen kleiner Marktstädte pflügt und sich der Verkehr zu Stoßzeiten vor Kreisverkehren kilometerweit zurückstaut.

Doch der Lohn solcher Mühen ist reich. Pendler kehren in ein Idyll blühender Gärten und historischer Schenken zurück, Reisende haben es nie weit zum nächsten sehenswerten Herrenhaus.

Ein schmales Sträßchen führt nach Standen, dem bei East Grinstead gelegenen Landhaus von James Beale und seiner Frau Margaret. Der Mann hatte sein Vermögen als Anwalt der Eisenbahngesellschaft Midland Railways gemacht. Mit 50 Jahren wünschte Beale sich ein Traumhaus, das Symbol seines Erfolgs, behaglicher Wochenendsitz und Rückzugsort fern der Metropole sein sollte.

1891 beauftragte er Philip Webb und William Morris mit dem Bau: den führenden Architekten der Zeit und einen der kreativsten Köpfe des 19. Jahrhunderts. Auf Gelände und Gebäuden der Farmen Great Hollybush und Standen entstand über einem weiten Tal mit Blick über das Sussex Weald und die Hügel der South Downs ein Haus, das vor allem aufgrund des Wirkens des vielseitig begabten Morris seinen Reiz bis heute bewahrt hat.

Philip Webbs Stil war visionär

Der 1834 geborene William Morris war Architekt und Sozialist, arbeitete als Übersetzer und Verleger, kam als Maler, Dichter und Begründer der Arts-and-Crafts-Bewegung zu Ruhm und wird bis heute für seine Muster und Ornamente geliebt. Er ersetzte Schwere und Dunkelheit viktorianischer Interieurs durch Licht, Leichtigkeit und zarte Farben und legte zugleich größten Wert auf Material, Form und Handwerk.

Webbs Stil war visionär. Er schonte den Baumbestand, zerstörte keines der alten Gebäude und bediente sich bei den Baumaterialien in nächster Nachbarschaft. Der Steinbruch neben dem Haus wurde später zum Felsengarten.

Bis auf einige Zimmer der Bediensteten sind alle Räume Standens fürs Publikum geöffnet. Die Besucher bewundern das Lesezimmer mit Kamin, gemusterten Teppichen, kleinen Tischen und Sesseln; das Billardzimmer mit dem riesigen Tisch darin und dem in einen Alkoven eingelassenen Sofa für Zuschauer, die eingebauten Bücherschränke und die hellen Schlafzimmer im ersten Stock.

"Habt nichts in euren Häusern, von dem ihr nicht glaubt, dass es schön ist"

Wer Schubladen auszieht, findet Muster von Morris’ mit Blüten und Ornamenten geschmückten Stoffen und Tapeten, die sich bis heute gut verkaufen. Und auch über schönes Wohnen ist hier einiges zu lernen. „Habt nichts in euren Häusern, von dem ihr nicht sicher wisst, dass es nützlich ist, oder von dem ihr nicht glaubt, dass es schön ist“, so lautete Morris’ Doktrin.

In Terrassen senkt sich der Garten, bis hinter Wiesen und Weiden der Weirwood-See das Tal beschließt. Besucher können auf den Rasenflächen picknicken, die von den Beales 1907 von einer Japanreise mitgebrachten Ahornbäume bewundern und in die Landschaft hinauswandern. Die Gatter an den Weiden sollen nur Kühe aufhalten, Zweibeiner dürfen hinüberklettern.

Es ist leicht sich vorzustellen, dass die Beale-Kinder noch mit ihren Sprösslingen jeden Sommer und alle Weihnachtsfeste in Standen verbrachten, auch nach dem Tod von Mutter Margaret im Jahr 1936. Sie hinterließ die Verantwortung für das in eine Familienstiftung übergegangene Anwesen den Töchtern Helen und Maggie.

Erst nach Helens Tod 1972 gelangte Standen in den Besitz des National Trust – nachdem private Sponsoren Helens Erbe so weit aufgestockt hatten, dass die finanziellen Mittel der Stiftung als ausreichend für den Unterhalt erschienen.

In Petworth hängt die größte private Turner-Sammlung der Welt

Museal ist Petworth House, hier ein Saal mit dem Bildnis von König Heinrich VIII.
Museal ist Petworth House, hier ein Saal mit dem Bildnis von König Heinrich VIII.

© Steve Vidler/mauritius images

Während man in Standen sofort einziehen wollte, besitzt das stolze Petworth House eher museale Ausstrahlung. Daran ist vor allem William Turner schuld, der große englische Landschaftsmaler, der mehrfach Gast des dritten Earls of Egremont war und das Haus und den 1751 vom Großmeister Capability Brown gestalteten Landschaftspark immer wieder malte: Zwanzig Ölgemälde und hundert Aquarelle entstanden hier.

Vier der Gemälde hängen im Dining Room in niedriger Höhe, sodass Gäste die Darstellungen Turners von Petworth in wechselndem Licht bei Tisch auf Augenhöhe bewundern konnten. Neben zahlreichen anderen Gemälden, die hier alle Wände pflastern, besitzt Petworth bis heute die größte private Turner-Sammlung der Welt.

Heute gehört Petworth dem Volk

Park und Haus haben sich seit Turners Zeit kaum verändert; einzig der Eingang ist an die Rückwand des Hauses verlegt worden. Sein heutiges Gesicht erhielt Petworth durch den Urgroßonkel des Earls of Egremont: Charles Seymour, der sechste Duke of Somerset, auch bekannt als der „stolze Herzog“.

Sommerromantik. Rotunde im Garten von Petworth.
Sommerromantik. Rotunde im Garten von Petworth.

© Steve Vidler/mauritius images

Als mittelloser Adeliger hatte er Elizabeth Percy ihres schönen Familiensitzes wegen geheiratet und Petworth Ende des 17. Jahrhunderts mit ihrem Geld zum barocken Palast ausbauen lassen. Den Grundstein zur Kunstsammlung hatte bereits ein Vorfahr Elizabeths, der zehnte Earl von Northumberland, mit Werken seines Lieblingsmalers van Dyck gelegt.

Fuhren die Gäste einst durch den Park auf das Haus zu, erreichen es heutige Besucher von der dem Dorf zugewandten Seite aus. Das hatte man einst ganz ausgeblendet, es aber immerhin anders als mancherorts nicht versetzen lassen, um die Aussicht vom gemeinen Volk zu reinigen.

Die erste Etage bewohnt noch heute die Familie. Doch im Park dürfen die Besucher ihre Hunde laufen lassen wie einst der dritte Earl of Egremont. Die Leute ruhen in Liegstühlen auf den Rasenflächen vor dem Haus und streifen durch Küche und Prunkgemächer. Heute gehört Petworth dem Volk.

Tipps für Kent und West Sussex

ANREISE

Diverse Fährgesellschaften bieten eine Fahrt auf dem kürzesten Seeweg von Calais nach Dover an; Rückfahrticket mit Auto ab 55 Euro. Alternative ist der Flug nach London und die Weiterfahrt mit Mietwagen.

ÜBERNACHTEN

Das Oakwood House Hotel in Maidstone ist als Landsitz aus dem 19. Jahrhundert selbst ein historisches Haus mit Park. DZ mit Frühstück ab 55 Pfund.

In Dogmersfield Park begegnete der spätere König Heinrich VIII. zum ersten Mal Katharina von Aragon, die seine erste Ehefrau wurde. In das historische Gebäude ist mit dem Four Seasons Hotels Hampshire viel moderner Luxus eingezogen (großer Pool, mit Antiquitäten ausgestattete Zimmer und Freizeitangebote wie Reiten, Falknern und Touren im hauseigenen Klettergarten). DZ für fürstliche 365 Pfund (Chalky Lane, Dogmersfield, Hampshire).

HERRENSITZE

Mehr als ein Anwesen pro Tag sollte man sich nicht vornehmen – wegen der Kurverei über Land und weil die Zeit in den Parks und Gärten sehr schnell verfliegt.

Penshurst Place ist täglich von 12 bis 16 Uhr (Haus und Spielzeugmuseum) bzw. von 10.30 bis 18 Uhr geöffnet (Garten und Abenteuer-Spielplatz). Eintritt 10,50 Pfund, Kinder (gilt für alle Herrensitze) ermäßigt (Penshurst, Tonbridge, Kent).

Standen ist täglich von 10 bis 17 Uhr (Garten) bzw. 11 bis 16 Uhr (Haus) geöffnet. Eintritt 10,45 Pfund, (West Hoathly Road, East Grinstead, West Sussex);

Petworth House in West Sussex öffnet sonnabends bis mittwochs von 11 bis 17 Uhr (Haus); Parkbesichtigung (gratis) von 10 bis 17.30 Uhr. Eintritt 12,50 Pfund. (Petworth, West Sussex).

REISEFÜHRER

Ralf Nestmayer: „Südengland,“ Michael Müller Verlag, 636 Seiten, 5. Auflage 2014, 26,90 Euro

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