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Das elegante Dublin: Die heute bewunderten klassizistischen Häuserreihen wie hier am Fitzwilliam Square waren zwischendurch verhasst, galt der „Georgian“ Stil doch als Import der Briten.

© picture alliance / Design Pics

Gedenken an den Osteraufstand 1916: Die Geburtsstunde Irlands

In Dublin ist die Erinnerung an die Revolte gegen die Engländer im Jubiläumsjahr allgegenwärtig. Attraktion Nr. 1 ist das alte Gefängnis Kilmainham Gaol, wo die Rebellen mit ihrem Leben büßen mussten.

Es gibt kein Entkommen – die Rebellen sind überall. Sie schmücken Hauswände und Bretterzäune, kleben an Bushaltestellen und Schaufenstern, das Edel-Kaufhaus Brown Thomas hat sich mit ihnen geschmückt, ja, selbst über dem Eingang von Lidl hängen sie.

Vom patriotischen Hochgefühl wollen alle was haben. Man kann an Spaziergängen und Rundfahrten auf den Spuren der Revolutionäre teilnehmen, an den Laternen hängen Banner mit der Aufschrift „Dublin Remembers“. Als könnte es hier irgendjemand vergessen. Kaum ein Museum, das nicht eine Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum des Osteraufstandes zeigt, selbst am Kiosk liegen zwischen den aktuellen Zeitungen die „Revolutionary Papers“, Faksimile der historischen Ausgaben.

Nummer Eins dokumentiert den 24. April 1916, den ersten Tag des „Easter Rising“, als irische Republikaner mit Waffengewalt versuchten, ihr Land von der britischen Herrschaft zu befreien. Nach sechs Tagen war alles wieder vorbei. Und doch gilt der Osteraufstand als Geburtsstunde der irischen Unabhängigkeit, die 1922 im Süden des Landes besiegelt wurde.

Das neue Museum zur Stadtgeschichte ist ein Muss

„A Country is born“ heißt denn auch die 1916er Ausstellung im Little Museum of Dublin. So schnell und so frech kriegt man den Aufstand nirgends erzählt wie in den Cartoons von Fergal McCarthy. Das vielfach preisgekrönte junge Museum ist ohnehin ein Muss. Es liegt an der Nordseite von St. Stephen’s Green, dem grünen Herzen der Stadt, heute ein denkbar friedlicher Park, 1916 einer der Hauptschlachtplätze. Erfrischend, witzig und charmant wird in dem klassizistischen Townhouse die Geschichte Dublins seit 1900 erzählt.

Die Hauptausstellung liegt in der Beletage, der erste Raum: ein Wohnzimmer mit Kamin und herrlichem Blumenstrauß, wo man sich gleich zu Hause fühlt. Man setzt sich aufs gelbe Sofa, nimmt sich Lakritzkonfekt aus dem großen Bonbonbonglas und lauscht den Geschichten des einheimischen Guides, der wie alle hier Fliege trägt.

Allgegenwärtig ist 1916 im Stadtbild heute.
Allgegenwärtig ist 1916 im Stadtbild heute.

© imago/zuma Press

Unter den liebevoll ausgesuchten und präsentierten Objekten findet sich zum Beispiel eine Antwort von Samuel Beckett auf den Brief eines kleinen Jungen, der wissen wollte, wie es denn früher in dem Haus gewesen ist, in dem er heute lebt. Der Nobelpreisträger erzählt, wie er sich mit seinem Bruder das Zimmer geteilt habe und richtet zum Abschluss schöne Grüße an seinen Geist aus, falls er diesen trifft. Der kleine Junge von einst arbeitet heute gelegentlich als Elektriker für das Museum.

Im Royal College of Surgeons sieht man noch heue die Einschusslöcher

Mit Ironie und spitzbübischem Vergnügen haben Museumsdirektor Trevor White und Kurator Simon O’Connor 2011, auf dem Höhepunkt der irischen Wirtschaftskrise, aus dem Nichts ein originelles Bild ihrer Stadt geschaffen, und zwar ausschließlich aus Spenden von Dublinern. Die Grundidee steht über der Tür zum Wohnzimmer: Love your city.

Wer mag, kann sich anschließend nebenan im Fünf-Sterne-Shelbourne Hotel am „Commemorative Afternoon Tea“ für 45 Euro in Erinnerung an 1916 stärken. Eine Delikatesse mit pikanter Note: Das Shelbourne war nämlich Feindesland. Von den oberen Etagen des Hotels und dem Dach aus feuerten die Soldaten der britischen Armee (in deren Diensten auch viele Iren standen) auf die schutzlosen Rebellen in ihren Gräben. Also zogen die Aufständischen schnell um, ins Royal College of Surgeons am westlichen Rand von St. Stephen’s Green; in dem Gemäuer kann man die Einschusslöcher heute noch entdecken.

Wo es begann: Im General Post Office schlugen die Rebellen ihr Hauptquartier auf und verlasen die Unabhängigkeitserklärung.
Wo es begann: Im General Post Office schlugen die Rebellen ihr Hauptquartier auf und verlasen die Unabhängigkeitserklärung.

© Chris Hepburn, pa/robertharding

Ihr Hauptquartier hatten die Aufständischen allerdings woanders aufgeschlagen: im General Post Office auf der anderen Seite des Flusses. Ein prachtvoller Bau an der O’Connell Street mit bildschöner historischer Schalterhalle, in der man auch sonntags 1916er-Sondermarken kaufen kann. Eine anschauliche, multimediale Ausstellung erweckt die Vergangenheit zum Leben, nicht nur die sechs Tage selbst, auch das schwierige politische Davor und Danach, das bis heute reicht.

Das Shoppen scheint zur neuen Religion geworden zu sein

Wo es endete: In der Moore Street, hinter der Post, ergaben sich die Anführer.
Wo es endete: In der Moore Street, hinter der Post, ergaben sich die Anführer.

© Niall Carson, pa/empics

Vor der Post verlasen die Rebellen die Unabhängigeitserklärung, deren Text selbst auswärtige Besucher nach ein paar Tagen zu kennen glauben. Ein auch aus heutiger Sicht visionäres Pamphlet, das gleiche Rechte und Chancen für alle versprach, unabhängig von Religion und Geschlecht. „Im Namen Gottes“ sprachen die Verfasser damals noch. Inzwischen hat die einst so mächtige Kirche in Irland radikal an Bedeutung verloren.

Das Shoppen scheint zur neuen Religion geworden zu sein, gerade rund um die O’Connell Street, an der auch das neue Wahrzeichen Dublins steht: die sagenhafte 121 Meter hohe Stahl-Nadel, die 2003 das Lord-Nelson-Denkmal ersetzte, das militante Republikaner zum 50-jährigen Jubiläum des Osteraufstands 1966 in die Luft gejagt hatten. Entworfen wurde die politisch neutrale Nadel übrigens von einem britischen Architekturbüro.

Auf der Rückseite der Post, in der Moore Street, hat Rebellenführer Patrick Pearse sich ergeben. An seiner Seite: die Rotkreuzschwester Elizabeth O’Farrell, die auch als Kurier wichtige Dienste während des Aufstands geleistet hatte. Doch dann löste sie sich in Luft auf: Aus vielen Abzügen der Kapitulationsszene wurde sie rausretuschiert. Das wahre Heldentum sollte dann wohl doch den Männern überlassen bleiben.

Auch das ist neu am diesjährigen Jubiläum: dass man differenzierter mit der Geschichte umgeht, durchaus mit Stolz, nur entspannter, nachdenklicher, ohne Hurra-Patriotismus. Die Rolle der Frauen wird weit stärker gewürdigt, und es wird aller Toten gedacht – mehr als die Hälfte waren Zivilisten.

Kaugummi ausspucken: So viel Respekt muss sein

An der riesigen Guinness Brauerei vorbei – man riecht’s – führt der Weg in den Westen der Stadt, zum Gefängnis Kilmainham Gaol, in dem die Aufständischen inhaftiert und hingerichtet wurden. Seit 1924 außer Betrieb, rottete die Anstalt vor sich hin, bis Freiwillige sich daran machten, sie zum 50. Jubiläum des Osteraufstands notdürftig für Besucher herzurichten. Heute steht Kilmainham Gaol auf der Hitliste der populärsten Sehenswürdigkeiten ganz oben. An diesem Sonntag sind sämtliche Führungen ausgebucht, obwohl die Besucher im Viertelstundentakt durchgelotst werden.

Die erste Bürgerpflicht: Kaugummi ausspucken. So viel Respekt muss sein. Am Eingang steht ein offener Mülleimer parat. Guide David, der aussieht wie George Clooneys irischer Vetter, erzählt mit kräftiger Stimme schaurige und romantische Geschichten. Hier in der Kapelle hat der kranke Joseph Plunkett, einer der Anführer, seine Verlobte und Co-Rebellin Grace Gifford geheiratet – am Abend vor seiner Hinrichtung.

Vom Gefängnis zur Touristenattraktion: die zentrale Halle in Kilmainham Gaol.
Vom Gefängnis zur Touristenattraktion: die zentrale Halle in Kilmainham Gaol.

© Alamy Stock Photo

Die Eingangsgebäude sehen wie frisch gewaschen aus, die Gänge, Türen und Zellen dagegen wirken rau und roh wie der Kerker, der sie mal waren. Über den Türen hängen die Namensschilder bekannter Insassen, darunter Countess Markievicz, die vielleicht schillerndste Figur der an schillernden Figuren nicht armen Revolution. Die in London geborene höhere Tochter, glamouröse Suffragette, Sozialistin und studierte Künstlerin, hatte die Stellung an St. Stephen’s Green gehalten. Ihre Pistole liebte sie so sehr, dass sie sich mit ihr im Fotostudio ablichten ließ und bei der Kapitulation zum Abschied küsste. Auch sie wurde zum Tode verurteilt, als Frau dann aber doch zu lebenslang begnadigt; nach der Amnestie von 1917 stieg sie groß in die Politik ein und wurde Irlands erste Ministerin.

Im Chapter One gibt es Kaninchenpastete mit weißer Birnencreme

Der imposanteste Teil des Gefängnisses ist der große Trakt aus viktorianischen Zeiten, in dem etliche Musikvideos und Filmszenen gedreht wurden. Die Tour endet im Hof, in dem die Anführer der Rebellion im Mai 1916 im Morgengrauen erschossen wurden. Eine große britische Dummheit. Aus den Aufständischen wurden Märtyrer, verehrt selbst von jenen, die vorher skeptisch waren.

Die Nadel ersetzte 2003 das 1966 bombardierte Nelson-Denkmal als Wahrzeichen.
Die Nadel ersetzte 2003 das 1966 bombardierte Nelson-Denkmal als Wahrzeichen.

© Steve Vidler/Mauritius

Dublin ist eine ausgesprochen muntere, junge, ausgehfreudige Stadt. Und doch stapft man hier ununterbrochen durch die Geschichte. Selbst wenn man es gar nicht merkt, wie bei der Royal Hibernian Gallery, um die Ecke von St. Stephen’s Green. Der wunderschöne, moderne Bau ersetzte erst 1985 das ursprüngliche Ausstellungsgebäude der Akademie an anderem Ort, das beim Osteraufstand wie so viele Bauten vom Feuer zerstört worden war. Die Briten hatten verboten, Brände zu löschen – die Stadt sollte büßen. Heute kann man hier auch außerhalb der Museumsöffnungszeiten in dem netten Café etwas trinken.

Besonders gut essen kann man im Chapter One, wo Ross Lewis mit traditionellen irischen Zutaten auf höchstem Niveau modern kocht. Allein die Kaninchenpastete mit hauchdünnem gerösteten Brot, weißer Birnencreme, fermentierten Birnenscheibchen und Foie Gras Mousse ist die Reise wert, die Mischung aus weich, bissfest und knusprig, aus herzhaft, süß und säuerlich sensationell.

Das mit einem Michelin-Stern gekrönte Restaurant im Souterrain des Schriftstellermuseums, nicht weit von der Post, residiert an einem weiteren Schlachtfeld des Osteraufstands, dem so friedlichen Parnell Square. Dort liegt heute der „Garten der Erinnerung“, mit dem der Freiheitskämpfer aller Generationen gedacht wird. Bei ihrem Staatsbesuch vor fünf Jahren legte die Queen hier einen Kranz nieder und hielt Schweigeminute ab. Eine kleine Sensation, so wie der ganze Besuch: Seit der irischen Unabhängigkeit anno 1922 war bis zu diesen Tagen im Mai 2011 noch kein britisches Staatsoberhaupt vorbeigekommen.

Für das offizielle Staatsdiner war Chapter One-Koch Ross Lewis zuständig. Mit raffiniert zubereiteten irischen Speisen, Lachs, Rind und Erdbeeren, hat er die Queen verführt. Sie hat alles verputzt.

Mit dem Doppeldecker zur Revolution

ANREISE
Aer Lingus fliegt nonstop von Berlin-Tegel nach Dublin, hin und zurück ab 124 Euro.

ÜBERNACHTUNG
Number 31, charmantes B&B, 31 Leeson Close, in der Nähe von St. Stephen's Green, Dublin 2, Telefon: 003 53/1/676 5011, Doppelzimmer mit (fantastischem) Frühstück ab 190 Euro.

SEHENSWÜRDIGKEITEN
Little Museum of Dublin, 15 St. Stephen's Green, Dublin, Telefon: 003 53/ 1/6611000, täglich 9.30 Uhr bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Besichtigung nur mit Tour, daher unbedingt reservieren. Das Museum organisiert auch individuelle Treffen mit Einheimischen, mit denen man sich bei (gesponsertem) Kaffee, Saft oder Bier unterhält. Für diese „City of A Thousand Welcomes“ gibt es im Internet ein Formular.

Auch für Kilmainham Gaol, Inchicore Road, Kilmainham, Dublin 8, Nur mit Tour, unbedingt reservieren. Telefonnummer: 00353/1/453 5984.

RUNDFAHRT
Mit dem Doppeldecker führen Schauspieler an Orte des Aufstands: „1916 Ride the Revolution“, 25 Euro.

LEKTÜRE

Elsemarie Maletzke hat gerade eine Biografie über eine schillernde Frauenfigur des Aufstands veröffentlicht, in die der Dichter der Revolution, William Butler Yeats, unglücklich verliebt war: „Maud Gonne. Ein Leben für Irland“ (Insel Verlag, 318 Seiten, 24,95 Euro).

ESSEN UND TRINKEN
Chapter One, 18–19 Parnell Square N, im Writers’ Museum, Telefonnummer 00353/1/8732266. Mittags und am frühen Abend gibt es günstige Menüs.

AUSKUNFT

Tourism Ireland

St. Stephen's Green.
St. Stephen's Green.

© imago/Eibner

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