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Island

© dpa

Island: Die Ateliers am Fjord

Schwer zu glauben, dass hier zwei der interessantesten Künstler Islands leben. Vor der Tür haben Leute aus der Umgebung ihre Sperrholzreste abgeladen. Das Haus selbst ist ein flacher, langgestreckter, grau verputzter Zweckbau. Einsam liegt es links der Straße, einige Kilometer entfernt von Akureyris Stadtrand. Drumherum erstrecken sich karge Wiesen, im Hintergrund ragen die Berge auf.

Schwer zu glauben, dass hier zwei der interessantesten Künstler Islands leben. Vor der Tür haben Leute aus der Umgebung ihre Sperrholzreste abgeladen. Das Haus selbst ist ein flacher, langgestreckter, grau verputzter Zweckbau. Einsam liegt es links der Straße, einige Kilometer entfernt von Akureyris Stadtrand. Drumherum erstrecken sich karge Wiesen, im Hintergrund ragen die Berge auf.

Doch der Abfallhaufen vor dem Eingang ist schon der erste Hinweis auf die Arbeit von Adalheidur Eysteinsdottir. In den Händen der 45-Jährigen verwandeln sich die Holzreste auf geradezu magische Weise: mal in die lebensgroße Gestalt einer Flötenspielerin, mal in einen alten Mann, aus dessen Gesicht Nägel anstelle von Barthaaren sprießen. Und mal in eine Herde Schafe. Die hölzernen Tiere „grasen“ im Sommer sogar in einem Gehege neben dem Haus.

Eysteinsdottir ist eine kreative Handwerkerin. Sie nimmt Holz (meist altes, manchmal auch neu gekauftes), sägt es in kleine Teile, setzt es wieder zusammen und bemalt es dann. Heraus kommt Recycling-Kunst, die in ihrer eleganten Einfachheit gut zur spröden isländischen Landschaft passt – und zur Biografie der Künstlerin. Eysteinsdottirs Vater war Seemann und Fischverkäufer, die Großeltern hüteten 20 Schafe. „Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, wo man wenig wegwirft und Dinge eher selbst herstellt, als sie zu kaufen“, erzählt die Künstlerin, die schon in vielen Städten der Welt ausgestellt hat, darunter in Berlin, und die doch wenig so sehr schätzt wie ihr friedliches Leben am Rande der Zivilisation. „Ich bezeichne mich selbstbewusst als Müllsammlerin. Kunst aus Dingen zu erschaffen, die andere nicht mehr gebrauchen können, macht mich glücklich.“

Dann führt Eysteinsdottir, deren blondes Haar an den Seiten zu zwei Zöpfen geflochten ist, ins Innere des Hauses. Dort sieht es aus wie in einer Schreinerwerkstatt. Auf einem Tisch stapeln sich in unzähligen Kisten die Bretter, an der Wand hängen Zangen und Hämmer, davor stehen zwei Akkuschrauber.

Eysteinsdottir und ihr Mann Jon Halldorsson, 58, arbeiten und leben inmitten dieses kreativen Chaos. Ein halbes Dutzend Holzskulpturen und zwei Katzen leisten ihnen und der gemeinsamen Tochter Gesellschaft. Auch die Gedichte und Collagen des stillen, fast schüchtern wirkenden Jon finden sich überall im Haus, manche sogar auf Konservendosen oder in Schnapsflaschen. Vor fünf Jahren haben die beiden das Gebäude gekauft und umgebaut. Einst fanden hier Bälle, Bingo- und Theaterabende statt, heute ist das Haus eine eigenwillige Kombination aus Apartment, Atelier und Galerie.

Gäste sind in diesem Gesamtkunstwerk ausdrücklich willkommen, und sei es nur für einen kleinen Plausch. Wer Gefallen an einem der Stücke findet, darf es meist kaufen; einige der kleineren Werke gibt es schon für ein paar Euro. Einzige Bedingung für einen Besuch: eine Anmeldung, per Mail oder Telefon.

So wie auf das Haus von Adalheidur und Jon trifft man in Islands hohem Norden an vielen Orten unverhofft auf Kunst, Kultur und auch auf allerhand Skurriles. Vermuten würde man das nicht von diesem ländlichen und eher abgelegen Teil der Nordatlantikinsel, der vor allem für seine beeindruckend schöne Natur bekannt ist. Zwar findet sich hier mit Akureyri die (nach dem Ballungsraum Reykjavik) zweitgrößte Stadt des Landes. Sie hat aber bloß 17 500 Einwohner.

Unter den Isländern ist die Gegend um den weit ins Land reichenden Fjord Eyjafjördur im Winter vor allem bei Skifahrern und im Sommer bei Wanderern beliebt. Ausländische Besucher kommen, um auf Islandpferden zu reiten, Vögel zu beobachten oder Muscheln zu essen. Wer aufs Meer hinausfährt, kann hier Wale und – wenn auch nur sehr selten – sogar Eisbären entdecken.

Das künstlerische Potenzial der Region wird dabei leicht übersehen. Wer erwartet das Kreative, Ausgefallene, Verrückte schon in der Provinz?

Sängerin Björk, die berühmteste Tochter des Landes, hat es einmal so ausgedrückt: Kunst sei für die Isländer so alltäglich wie Kuchenbacken. Wer „Hunger“ auf ein Gedicht habe, der schreibe eben eines. Entsprechend bodenständig sind die einheimischen Künstler, zu denen man selbst als Tourist leicht Kontakt findet. Zum Beispiel in einem der Cafés und Restaurants an Akureyris Kaupvangsstraetie, einer zentralen Straße, die als „Kunstschlucht“ bekannt ist. Dort haben sich seit den 90er Jahren Künstler und Galeristen in einer geschlossenen Molkerei und anderen stillgelegten Industriebetrieben eingemietet. Höhepunkt des Jahres: der „Kunstsommer“. Traditionell feiert Akureyri seinen „Listasumar“ von Mitte Juni bis Ende August, mit Konzerten, Theater- und Literaturveranstaltungen.

Die Kunstsinnigkeit der Isländer könnte auch damit zu tun haben, dass sie schon immer ein gebildetes Volk waren. Der Anteil der Analphabeten ist seit Jahrhunderten niedrig. Wie zum Beweis zeigt im Heimatmuseum von Husavik, einem 2200-Einwohner-Örtchen 50 Kilometer nordöstlich von Akureyri, ein sichtlich stolzer Mitarbeiter seinen ausländischen Gästen ein uraltes Buch zur Weltgeschichte – verfasst hat es ein Bauer, in seiner Freizeit. Noch heute, behauptet der Mann im Museum, versuche sich jeder zweite Isländer an der Schriftstellerei. Die Zahl mag übertrieben sein, aber es ist sicher kein Zufall, dass man allein im kleinen Akureyri die Häuser von drei verstorbenen Autoren besichtigen kann, darunter auch jenes von Jon Sveinsson, dessen Kinderbücher in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden. Nonni und Manni, die Titelfiguren der 13 Romane, brachten einer ganzen Generation von Deutschen Anfang des 20. Jahrhunderts das Leben auf Island näher, in den 80er Jahren verfilmte das ZDF die Geschichten für das Weihnachtsprogramm.

Man könnte natürlich auch argumentieren, dass die Isländer zwangsläufig zum Malen oder Schreiben finden müssen, einfach, um sich die Zeit zu vertreiben. Denn der Weg zum Nachbarn ist meist weit. Björk glaubt dagegen an den Einfluss des Wetters: „Im Winter ist es hier fast den ganzen Tag dunkel, und im Sommer ist es auch nicht besser“, so der Popstar. „Deshalb gibt es so viele Künstler auf Island. Kunst ist ein natürlicher Weg, Depressionen zu besiegen.“

Laufey Johansen kann sich mit dieser Erklärung nicht anfreunden. Für die Malerin aus Reykjavik ist Island einfach ein sehr inspirierender Ort – wegen der Landschaft natürlich, und vielleicht auch wegen der Mythen um Elfen und Trolle. Für Akureyri, glaubt sie, gelte das ganz besonders. „Wenn man hier in der Gegend ist, versetzt einen das in einen anderen Gemütszustand. Man ist der Natur sehr nahe, wird ruhiger und schöpft Kraft.“

Johansen ist der lebende Beweis dafür, dass in fast jedem Isländer ein Künstler wohnt. Hauptberuflich arbeitet die 41-Jährige mit den langen blonden Haaren als Stewardess. Wer Glück hat, kann ihr auf einem Flug von Frankfurt nach Reykjavik begegnen. Mit noch mehr Glück bekommt man, während Johansen den Kaffee einschenkt, schon über den Wolken einen einführenden Vortrag über ihre Kunst – und den Katalog ihrer ersten großen Ausstellung in die Hand.

Johansens Bilder sind zurzeit im renommierten Akureyri Art Museum zu sehen. Neben ihr stellen dort vier weitere Künstler unkonventionelle Arbeiten vor, vereint unter dem Titel „Kenjottar hvatir“. Zu deutsch: skurriler Impuls. Eine Künstlerin hat zum Beispiel die charakteristischen Wellbleche bemalt, mit denen auf Island die Häuser verkleidet werden. Johansens Bilder dagegen sind tiefschwarz; fast kann man sich in ihnen verlieren. „Es ist die Einfarbigkeit, die meine Malereien so kraftvoll macht“, glaubt auch die Künstlerin selbst. Bei genauerem Hinsehen erkennt man Unebenheiten, Schnörkel, Muster. Die dunkle, raue Oberfläche der Bilder weckt Erinnerungen an Vulkanausbrüche und an Islands weite, baumlose Landschaften erkalteter Lava.

Nur 90 Kilometer von Akureyri entfernt findet sich solch ein Lavafeld. Die „Dämmerburgen“, östlich des Mückensees gelegen, bestehen aus bizarren Steinformationen, die wie verfallene Ruinen wirken. Sie nehmen auf ähnliche Weise gefangen wie Johansens Malereien. An einem gelungenen Tag in Islands Norden sollte man beides sehen: zuerst die Natur und dann, was entstehen kann, wenn sie die Künstler der Insel inspiriert.

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