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Island: Mondfahrt auf der Erde

Auf Island sind Vulkane nur ein Teil des Lebens. Die Natur ist kreativ - und lässt auch Bewohner zu Künstlern werden.

Der Vulkan? Pall Gudmundsson zuckt mit den Schultern. „Dazu fällt mir nicht viel ein“, sagt er. „Als der Eyjafjallajökull ausbrach, habe ich bloß gedacht: Aha, noch einer. Auf Island sind Vulkane doch ein Teil des Lebens.“ Zugegeben: Gudmundsson ist sowieso keiner, den viel aus der Ruhe bringen könnte. Die Stimme leise, die Gesichtszüge sanft, der Gang bedächtig – so führt der 51-Jährige an einem sonnigen Freitagmittag über seinen Hof in Husafell, rund 100 Kilometer westlich von Reykjavik. Hier lebt Gudmundsson, der an diesem Tag Wollpullover und -mütze trägt, das bescheidene Leben eines Einsiedlers. Trinkt nicht, raucht nicht, hat nie geheiratet. Nur manchmal kommen Besucher, dann aber sogar ausländische Touristen. Denn Gudmundsson ist so etwas wie eine lebende Sehenswürdigkeit – und dabei, ein auf Island gefeierter Künstler zu werden. Gerade hat das Kunstmuseum in Reykjavik Aquarelle von ihm gezeigt. Und die karge Graslandschaft um sein Haus hat er gleich in sein eigenes Freilichtmuseum verwandelt. Alle paar Meter steht hier ein Stein, in den er mit Hammer und Meißel ein Porträt gearbeitet hat – mal das eines isländischen Dichters, mal das eines Familienmitglieds, mal das von Beethoven. Gudmundsson deutet darauf und sagt: „Die Bilder sind da schon drin, ich muss nur nachhelfen, um sie sichtbar werden zu lassen.“ Ein paar Schritte weiter, in der Werkstatt des Künstlers, steht ein selbstgebautes Xylophon, auf dem er ab und zu die Musiker der Band Sigur Ros begleitet, 2001 etwa bei einem Auftritt in London. Es besteht aus Steinplatten, jede hat ihren ganz eigenen Klang. Blickt man durch die Fenster der Werkstatt, dann sieht man, was Gudmundsson Inspiration und zugleich das Material für die meisten seiner Arbeiten liefert: Direkt hinter dem Hof erhebt sich ein Berg. „Da oben sammele ich Steine“, sagt er, „wenn es größere sind, kommt mein Bruder mit seinem Bagger.“ Kein Wunder, dass der Künstler keinen Groll gegen Vulkane verspürt – das Gestein, mit dem er arbeitet, war ja auch mal Lava. Je mehr Säure und damit Mineralien diese einst enthielt, desto farbenprächtiger leuchten heute Gudmundssons Kunstwerke. Island, auf der Grenze zwischen Eurasischer und Nordamerikanischer Kontinentalplatte gelegen, entstand überhaupt erst durch Vulkanausbrüche – und ist immer noch im Werden begriffen. Geologisch gesehen ist es ein junges Land, weniger als 20 Millionen Jahre alt. Alle fünf Jahre kommt es heute durchschnittlich zu Vulkanausbrüchen. Das ist einerseits eine stete Gefahr – Islands Geschichte ist eine Geschichte der Naturkatastrophen –, hat andererseits aber auch die eigentümliche Schönheit der Insel geschaffen: karge, dunkle Gesteinslandschaften. Man nehme nur die Hraunfossar-Wasserfälle in der Nähe von Husafell. Aus zwei Lavaschichten, die von unterschiedlichen Vulkanausbrüchen herrühren, stürzt hier Wasser in eine Schlucht. „Wenn Lava fließt, entsteht Neues“, sagt Pall Gudmundsson. „Außerdem ist das Spektakel unglaublich.“ Der Mann hat leicht reden. Er wohnt ja auch nicht in der Nähe eines aktiven Vulkans. Doch Gudmundssons gleichmütige Haltung den Naturgewalten gegenüber ist durchaus typisch. Die Aschewolke, die tagelang den Flugverkehr in Europa lahmlegte, hat Island zwar einen Imageschaden zugefügt, andererseits wähnen sich die Inselbewohner nun um eine Attraktion reicher. Sie dürften recht haben: Schon auf dem Flug von Frankfurt am Main nach Keflavik holen fast alle Passagiere Fotoapparate und Handys aus der Tasche und blicken aus den Fenstern auf der linken Seite, weil der Kapitän in seiner Durchsage erwähnt hat, dort werde gleich der Eyjafjallajökull auftauchen. „Der Vulkan hat in aller Welt für Aufmerksamkeit gesorgt, das ist doch gut“, sagt Gudmundur Vidarsson, ein 46 Jahre alter Bauer, dessen Familie seit 300 Jahren am Fuße des Eyjafjallajökull lebt. „Die Leute konnten sehen, dass unser Land Power hat“, ergänzt er und lacht. Am 14. April wurde Vidarssons Haus evakuiert, aber seine Frau, die drei Kinder, das Enkelkind und er mussten nur ein paar Stunden in einer Notunterkunft bleiben. Ein paar Tage darauf begann heftiger Ascheniederschlag. „Es war am helllichten Tag so dunkel, dass ich nicht mal mehr vom Haus bis zur Reithalle, ein paar Meter weiter, sehen konnte“, erzählt er. „Ich musste meine Pferde ungefähr einen Kilometer Richtung Westen treiben, erst dann waren wir wieder aus der Wolke heraus.“ Auf den Bänken neben der Halle liegt noch immer eine daumendicke Schicht Asche, den Rest hat er, in einer dreitägigen Aufräumaktion, mit Karren weggeschafft. Die Wiese leuchtet auch dank Regenschauern wieder grün. Aber aus dem Vulkan treten – man kann es von Vidarssons Hof aus deutlich sehen – noch immer dunkle Wolken aus, ab und zu donnert es. Gudmundur Vidarsson hat einen Mast neben dem Bergbächlein aufgestellt, das an der Reithalle vorbei führt. Wenn der Ausbruch endgültig vorbei ist, will er da die isländische Fahne hissen. Er besitzt 300 Schafe und 140 Islandpferde, aber auch Zimmer für Touristen – einen Teil seines Geldes verdient er mit Reittouren (skalakot.com), in die Berge oder ans Meer, „wo immer die Leute hinwollen“. Seine Kunden sind Deutsche, Amerikaner, Skandinavier. Der Vulkanausbruch könnte sich, so glaubt er, als Segen herausstellen. „Auf meinen Touren künftig den Blick auf warme Lava anbieten zu können, das wäre toll“, sagt er. „Von 1975 bis 1984 gab es in Nordisland ständig Ausbrüche, das war ein Magnet für Besucher. Darauf hoffen wir natürlich auch, sobald sich die Lage entspannt hat.“ Eigentlich wirkt jetzt schon alles ziemlich entspannt. Dank des für die Isländer günstigen Windes, der die Asche Richtung Europa trieb, blieb die Insel bisher von größeren Problemen verschont. Nur in einem sehr überschaubaren Gebiet mussten Menschen evakuiert werden. Die Atemmasken, die man auch in Reykjavik sicherheitshalber kaufte, kamen dort nie zur Anwendung. Derzeit ist noch der Bereich unmittelbar um den Gletscher gesperrt, und so könnte es für Monate bleiben. Reiseveranstalter bieten jedoch schon Bus- und Jeepausflüge in die Nähe des Eyjafjallajökull an (siehe Kasten Seite R 1). Auch von weitem ist der Vulkanausbruch ein imposantes Naturschauspiel. Südwestlich von Reykjavik, auf der Halbinsel Reykjanes, wo sich auch der internationale Flughafen befindet, kann man eine von Vulkanen geschaffene Landschaft auf besondere Art erleben. In der Garage von ATV Adventures in Grindavik bekommt man von dem 21-jährigen Kjartan Sigurdsson einen Motorradhelm und einen Schutzanzug – und dann geht es los: Auf Quads, vierrädrigen Geländefahrzeugen mit dicken Reifen, durchquert man die Umgebung. Links und rechts des Weges liegt eine scheinbar endlose, bizarre Landschaft, bedeckt von spärlichem Gras, dann wieder von dunklem Sand, von Geröll und Felsen. Kjartan fährt vorweg und gibt Gas, der Tachometer zeigt 50 km/h an. Staub wirbelt auf, die gewaltigen Räder graben sich in den Boden. In der Ferne zeichnet sich ein Schiffswrack ab, das hier mitten im Nirgendwo liegt. Ein paar Minuten später, an einem Hügel, legt Kjartan einen Stopp ein, nimmt seinen Helm ab. „Die Lavalandschaft hier wurde 1150 bei einem Ausbruch geschaffen“, erklärt er. „Bei manchen Touren fahren wir auch zu einem Teil von Reykjanes, der gerade mal 230 Jahre alt ist – damals ergoss sich Lava ins Meer und erweiterte die Halbinsel.“ Dann setzt er sich wieder auf sein Quad und es geht weiter. Eine Mondfahrt auf der Erde. Den Vulkanen sei Dank.

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ANREISE

Ab 27. Mai fliegt Icelandair dienstags und donnerstags wieder nonstop von Schönefeld nach Reykjavik. Ab ungefähr 350 Euro. Flugzeit: dreieinhalb Stunden.

MOBILITÄT

Mietwagen sind recht teuer. Für einen Opel Corsa fanden wir einen Wochenpreis von 357 Euro inklusive Vollkaskoversicherung (billiger-mietwagen.de).

UNTERKUNFT

Luxuriös ist das Hilton Reykjavik Nordica: Doppelzimmer mit Frühstück ab 190 Euro pro Nacht. Das Icelandair Flughotel liegt unweit des internationalen Flughafens in Keflavik (rund 75 Euro).

ESSEN UND TRINKEN

Empfehlenswert in Reykjavik: „Fish Company“ (Vesturgata 2a, Telefon: 552 53 00). Das kleine, sehr charmante Hummer-Restaurant „Fjörubordid“ befindet sich in Stokkseyri, direkt am Meer (Eyrarbraut 3, Telefon: 483 15 50).

VULKANTOUREN

Touren zu Kratern, Lavatunneln und auch in die Nähe des Eyjafjallajökull, bietet volcanotours.is (ab rund 100 Euro). Auch Reykjavik Excursions (www.re.is) hat Ausflüge zum Vulkan im Programm (rund 230 Euro) – Hubschraubertouren sind möglich, sobald die Behörden dafür wieder die Genehmigung erteilt haben. Mit Quads durch Vulkanlandschaften auf der Halbinsel Reykjanes: atv-adventures.com (ab 60 Euro pro Person, Telefon: 857 30 01) .

AUSKUNFT

Isländisches Fremdenverkehrsamt, Rauchstraße 1, 10787 Berlin; Telefon: 030 / 50 50 42 00, Internet:

visiticeland.com

Von Björn Rosen

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