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Open Range. Auf der Hochebene Campo Imperatore in den Abruzzen hat das Vieh viel Platz. Über der weiten Graslandschaft thront der Corno Grande (2912 Meter).

© Daniel Sprenger

Abruzzen: Der Wolf versteckt sich gut

Im Nationalpark Gran Sasso in den Abruzzen wird die Natur bewacht. Unterwegs mit den Rangern und ihrem Fiat Panda.

Das ist also ein Rangerfahrzeug: kein allradgetriebener Bolide mit extrem hohem Radstand für unwegsames Gelände, sondern – ein Fiat Panda. Lamberto Fulgenzi und Dino Marrone nutzen den knallgrün lackierten und mit zwei Blaulichtern nebst gelber Warnleuchte auf dem Dach versehenen Kleinwagen für ihre Streife im Gran-Sasso-Nationalpark.

„Das Auto reicht für das, was wir heute vorhaben“, sagt Lamberto, kann sich allerdings ein Lächeln nicht verkneifen. „Allerdings: Allradantrieb haben wir auch bei unserem Frosch.“ Eine Kontrollfahrt steht bevor, auf der die beiden Männer im Dienst der Forstpolizei Corpo Forestale die Einhaltung der Regeln in dem streng geschützten Gebiet überwachen.

Der knapp 150.000 Hektar große Nationalpark ist einer von dreien in der Region Abruzzen, die zu etwa einem Drittel unter Naturschutz und damit italienweit an der Spitze steht. Im Westen des Parks finden sich die dicht bewaldeten Hügel der Monti della Laga, wo man über Straßen mit bröckeligen Seitenstreifen, wo ein Fiat Panda leicht mal abrutschen könnte, in halb verlassene Dörfer gelangt. Der Anblick von ausländischen Besuchern lässt hier noch die vor der Dorfkneipe sitzenden älteren Männer staunen. Offensichtlich gibt es selten Abwechslung im Alltag der Dörfler.

Ein Kalb schleckt die rechte Vorderlampe ab

Deutlich mehr los ist rund um den namengebenden „großen Stein von Italien“, wie der Gebirgszug Gran Sasso d’Italia übersetzt heißt. Wie ein Riegel aus Granit und Dolomit türmt sich der Apennin hier zu seinen höchsten Erhebungen auf, gekrönt vom Corno Grande (großes Horn), dem mit 2912 Metern höchsten Gipfel südlich der Alpen. Seine schroffen Felshänge laufen sanft aus auf dem Campo Imperatore.

Die Wurzeln des gelben Enzian zum Schnaps machen zu benutzen ist streng verboten. Dino und Lamberto (r) passen auf.
Die Wurzeln des gelben Enzian zum Schnaps machen zu benutzen ist streng verboten. Dino und Lamberto (r) passen auf.

© Daniel Sprenger

Mit dem Ranger-Fiat passieren wir auf der kurvigen, aber hier gut ausgebauten Straße die Baumgrenze und gelangen auf die etwa 30 Kilometer lange Hochebene. Dann muss Dino bremsen. Eine Kuhherde rastet mitten auf der Straße und macht keinerlei Anstalten, diese alsbald wieder zu verlassen. Ein Kalb schleckt die rechte Vorderlampe ab, die anderen gut zwei Dutzend Rinder lassen sich beim Wiederkäuen nicht aus der Ruhe bringen. Also steigt Lamberto aus und treibt die Tiere zur Seite. „Das ist il Toro, der König“, sagt er lachend und zeigt auf einen Bullen, hinter dem die Kühe und Kälber nun gemächlich von der Fahrbahn trotten.

Die Tourismuswerbung der Region hat dem Campo Imperatore das Etikett „Klein-Tibet“ verliehen. Doch auch ohne schräge Vergleiche dieser Art entfaltet das kaiserliche Feld, benannt nach einem bei Stauferkaiser Friedrich II. angeblich beliebten Jagdgebiet, seine Wirkung. Eine einzige Straße führt hindurch, rechts und links ziehen abwechselnd Rinder und frei grasende Pferde über die grasbewachsene Steppe. Sie erstreckt sich in sanften Wellen bis an die Felswände. Darüber wabern Wolken. Während es unten im Tal 35 Grad heiß ist, lässt es sich hier oben bei angenehmen 23 Grad durchatmen.

Die Schäfer kommen schon seit langem aus Osteuropa

„Ein Pastore abruzzese und ein Pastore italiano“, sagt Lamberto schmunzelnd, als wir an einer Schafherde vorbeifahren, die von einem hageren braun gebrannten Mann geführt wird, unterstützt von einem weißen Schäferhund. Umgehend kommt Widerspruch von Dino: Der Hund sei zwar eindeutig der jahrhundertealten regionalen Rasse Pastore abruzzese zuzuordnen, so weit stimme er Lamberto zu. Doch der Schäfer werde wohl kaum Italiener sein: „Den Job machen hier schon lange ausschließlich Osteuropäer.“

Meistens seien es Mazedonier oder Rumänen. Die Bezahlung sei schlecht, das Leben entbehrungsreich. So gebe es keine Heizung und keinen Strom in den winzigen Schutzhütten, die sich in die Mulden der Ebene ducken

Lamberto blickt durch sein Fernglas: Parkt dort hinten ein Tourist abseits der Straße auf dem Gras? „Das ist verboten und wird von uns mit einem Bußgeld geahndet.“ Genau 103 Euro kostet es, wenn die geschützte Fläche befahren wird. Doch in diesem Fall handelt es sich nur um das Auto eines Schäfers. Das geht in Ordnung. Diejenigen, die für die Einhaltung der Verkehrsregeln im Park zuständig sind, müssen übrigens nicht zwangsläufig selbst angeschnallt sein. Die moderne Elektronik mit dem nervigen Piepen lässt sich ja auch austricksen, wenn man den Gurt um den Sitz wickelt und dann einsteckt.

Dino lässt bedeutungsschwer seine Handschellen baumeln

Wegweiser in der Einsamkeit.
Wegweiser in der Einsamkeit.

© imago

Die beiden Ranger tragen übrigens auch Waffen. Die Forstpolizei hat schließlich die gleichen Kompetenzen wie etwa die Carabinieri. So können sie auch Personen festnehmen. Etwa, wenn diese es wagen sollten, Steine zu sammeln oder Pflanzen wie den streng geschützten Enzian zu pflücken.

Abrupt stoppt Dino den Wagen. Die beiden zeigen auf eine Stelle, an der besonders viele hohe Enzianstengel aus dem Gras ragen. „Zur Blütezeit leuchten weite Teile der Ebene wunderschön gelb“, sagt Lamberto. Wer Enzian ausbuddele, um aus den Wurzeln Likör zu machen, müsse mit Strafe rechnen. „Und zwar nicht nur eine Geldstrafe“, sagt Dino und lässt bedeutungsschwer seine Handschellen baumeln.

Strenge Regeln wie diese und vor allem das Jagdverbot haben dazu geführt, dass sich die Natur und die Wildtierbestände nach Jahrhunderten intensiver Nutzung durch den Menschen erholen konnten. „Mittlerweile leben wieder mehr als 600 Abruzzen-Gemsen auf den Bergkämmen“, sagt Anna Narcisio von der Nationalparkverwaltung. „Vor einem Jahrhundert war diese Art vollständig vom Gran Sasso verschwunden.“ Auch Wölfe seien wieder zahlreich gesichtet worden. Gegen die Raubtiere versuchen sich die Schäfer allerdings zu wappnen, indem sie mehrere Hunde zum Schutz ihrer Herden abstellen.

Stachelhalsbänder schützen die Hunde vor Wölfen

„Die Wölfe sind jedoch schlau, die attackieren diese Hunde nicht“, sagt Dino. Schließlich seien diese etwas größer und mit bis zu 70 Kilogramm fast doppelt so schwer wie sie selbst. Weil sich die Hirten jedoch nicht so ganz sicher sind, ob der Lupo Apenninico tatsächlich um die Stärke der Hütehunde weiß, legen sie ihnen noch Stachelhalsbänder um. Das sieht martialisch aus im zotteligen Fell, dürfte aber auch den dümmsten Wolf schnell zur Räson bringen, sollte er sich an einem Biss in die Kehle versuchen.

Weniger gut kann es ungeschützten Tieren ergehen. „Vor allem nachts attackieren die Wölfe Fohlen und Kälber“, sagt Lamberto. Selbst vor ausgewachsenen Wildschweinen machten sie nicht Halt. Aufgabe der Ranger sei es dann, die Besitzer der gerissenen Nutztiere ausfindig zu machen und über den Verlust zu benachrichtigen.

Wanderer kommen den Wölfen allerdings in der Regel nicht in die Quere, schon gar nicht in der Hochsaison. Denn, wie wir gelernt haben, ist der Wolf ein gewitztes, aber auch scheues Tier. Und die meisten von ihnen können sich offenbar auch Besseres vorstellen, als an schönen Sommertagen vor die Kameras der Touristen zu laufen.

Im Andenkenshop gibt es den "Mussolini-Wandkalender 2016"

Rund um die Bergstation der Seilbahn, die vom Talort Fonte Cerreto bis vor das Hotel Campo Imperatore zuckelt, geht es an Augustwochenenden zu wie im Taubenschlag. Mussolini wurde hier 1943 für einige Wochen von Partisanen gefangen gehalten, ehe ihm deutsche Soldaten zu Hilfe kamen. Ein für Italiener bedeutender historischer Ort also, an dem es im Souvenirshop diverse Duce-Memorabilia zu kaufen gibt. „Na, wieder Propaganda losschlagen?“, fragt Lamberto scherzend den Verkäufer.

In der Tat deutet der bereits jetzt erhältliche „Mussolini-Wandkalender 2016“ mit monatsweise wechselnden Motiven des Faschistenführers auf einen absonderlich laxen Umgang mit der Geschichte. In enger Folge steigen die vornehmlich italienischen Touristen vom Hotel einen Hang hinauf. Geröll liegt auf den Wegen, immer wieder rutschen einige der Wanderer aus. In einer guten halben Stunde gelangen sie zum Refugio Duca degli Abruzzi. Auf 2400 Meter Höhe gibt es zur Belohnung einen 360-Grad-Blick über die Ebene und das Tal von L’Aquila sowie auf den „Fast-Dreitausender“ Corno Grande, das Große Horn.

In der bewirtschafteten Hütte wird nicht nur für Übernachtungsgäste gekocht: Heute Mittag gibt es Fettuccine mit Schinken oder Polenta mit Wildschwein für 7,50 oder 11 Euro – ziemlich günstig für die unschlagbare Panoramalage.

In Sekunden schiebt sich eine dichte Nebelwand vor die sonnige Aussicht

Open Range. Auf der Hochebene Campo Imperatore in den Abruzzen hat das Vieh viel Platz. Über der weiten Graslandschaft thront der Corno Grande (2912 Meter).
Open Range. Auf der Hochebene Campo Imperatore in den Abruzzen hat das Vieh viel Platz. Über der weiten Graslandschaft thront der Corno Grande (2912 Meter).

© Daniel Sprenger

Das Gros der Besucher steigt nach einer kurzen Rast direkt wieder ab. Doch beginnt hier auch eine von zwei Routen auf den höchsten Gipfel. Die andere startet in Prati di Tivo auf der Nordseite des Massivs. In der Wander-Hauptsaison nehmen von dort aus Jugendgruppen und mehr oder weniger gut ausgerüstete Hobbywanderer den Aufstieg auf den Corno Grande in Angriff. Der Weg führt die ersten 400 Höhenmeter durch ein Geröllfeld mit riesigen Felsblöcken zu einer schmalen Passage am Steilhang, über die Stahlseile hinweghelfen sollen. Sie würden ihren Zweck noch besser erfüllen, wäre nicht jede zweite Halterung aus dem Fels gebrochen.

An solchen hochalpinen Klettersteigen ist es jedes Mal aufs Neue überraschend und verwunderlich zugleich, Menschen in Sandalen zu begegnen. Doch auch sie schaffen es irgendwie bis zum Refugio Franchetti, das in 2433 Meter Höhe auf einem Felssporn thront.

Die Lage ist nicht so abgeschieden, wie man denken könnte: Vor dem an der Abbruchkante platzierten Toilettenhäuschen etwa bildet sich eine längere Warteschlange. In Sekunden schiebt sich eine dichte Nebelwand vor die sonnige Aussicht. Jetzt noch weiter auf den Gipfel zu steigen – immerhin wären es noch knapp 500 Höhenmeter – ist ohne Bergführer nicht ratsam. Ebenso wenig wie den Hüttenhund zu füttern. „Der ist gerade auf Diät“, sagt der Wirt. Das Tier lebt offenbar gut von den vielen Gästen in der kurzen Sommersaison.

Schäferhund und Labrador hören auf deutsche Kommandos

„Neunzig Prozent der Menschen kommen nur kurz hierher, sagen ,Oh, wie schön!‘, und fahren wieder weg, basta“, erklärt Dino. Nur zehn Prozent der Besucher interessierten sich wirklich für die großartige Natur – und wie die Natur zu schützen ist. Dafür sind nicht nur Ranger wie Dino und Lamberto zuständig, sondern auch Dingo und Gonai. Der belgische Schäferhund und der Labrador-Retriever sind ausgebildete Spürhunde. „Sitz“, „Platz“ und „Aus“, befiehlt ihr Frauchen Alessandra Mango auf Deutsch, wenn sie mit den Vierbeinern auf die Patrouille geht. Die schneidigen deutschen Worte seien einfach prägnanter für die Tiere als italienische.

Im Zickzack laufen die Hunde über die Ebene. „Sie suchen nach Giftfallen, die Jäger auslegen, und nach Kadavern“, sagt Mango. Sobald sie fündig werden, setzen sie sich neben die Beute. Die wird dann eingesammelt und kann den Tieren im Park nicht mehr gefährlich werden. Für ihre Einsätze im Feld benutzt Mango übrigens keinen Fiat Panda, sondern einen Jeep.

Tipps für die Abruzzen

ANREISE

Schnellste Verbindung von Berlin zum Gran Sasso: im Flug nach Perugia (Lufthansa, ab rund 300 Euro), von dort im Leihwagen 200 Kilometer weiter nach Fonte Cerreto. Hier verkehren Seilbahnen zur Bergstation Campo Imperatore und von Prati di Tivo zur Station La Madonnina (hin und zurück elf Euro). Mit dem Auto von Assergi, Farindola oder Castel del Monte auf die Hochebene.

ÜBERNACHTEN

Refugio Franchetti: mit der Seilbahn nach La Madonnina, dann etwa anderthalb Stunden Wanderung. Ganzjährig geöffnet, im Winter jedoch kein Service. Zur Hochsaison von Juni bis September auch Restaurantbetrieb. Übernachtung 20 Euro, Halbpension 43 Euro. Schlafsack oder Laken mitbringen, Reservierung empfohlen (rifugiofranchetti.it).

Refugio Duca degli Abruzzi: halbstündiger Aufstieg von der Seilbahnstation Campo Imperatore, geöffnet vom 1. Juni bis 30. September, sonst nur an Wochenenden oder nach Voranmeldung. Preise wie beim Refugio Franchetti

(rifugioducadegliabruzzi.it).

AUSKUNFT

Besucherzentrum im Nationalpark-Hauptbüro in Assergi, Internet: gransassolagapark.it (auch in Deutsch)

Daniel Sprenger

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