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Einkaufsparadies. Im Zentrum von Favignana gibt es alles, was der Mensch so braucht. Obst und Gemüse gibt’s täglich frisch.

© Frank Guiziou/hemis.fr/laif

Thyrrenisches Meer: So klein mit Piazza

Da liegen sie. Unbeweglich in der blendenden Herbstsonne: Favignana, Levanzo und Marettimo, gut sichtbar im Thyrrenischen Meer zwischen Sizilien und Tunesiens Nordspitze – und doch dem Massentourismus noch weitgehend verborgen. Kaum jemand kennt sie, doch wer dort war, liebt sie.

Vierzig wogende Minuten dauert die sanfte Annäherung mit einem Ausflugsboot ab Trapani zur größten der drei Eilande, nach Favignana. Mit dem Aliscafo-Tragflügelboot könnte man die Zeit um die Hälfte verkürzen, doch warum solche Eile? Vespa-Knattern und Begrüßungsgewühl bei der Ankunft im Hafen von Favignana. Auf zusammengeknüllten Fischernetzhaufen spielen Kinder, die winzigen „Lapino“-Dreirad-Transporter rumpeln mit Obst und Gemüse durch die wenigen schmalen Straßen. Die Besucher streben unverzüglich zur Piazza Madrice, dem Herz der kleinen Stadt. Ein wenig maurisch muten manche Häuser an. Die meisten sind pastell- oder sandsteinfarben, oft schmucklos, auf den flachen Dächern flattert die Wäsche. Die Favignanesi halten auch noch spät im Jahr ihre Fensterläden geschlossen. Im italienischen Feriensommer kommen auf jeden der 3000 Einwohner etwa zehn Gäste, dann ist es turbulent. Die wahren Genießer kommen im Frühjahr oder Herbst, manche auch im Winter. Inselneulingen fällt im Hafen die öde Ruine einer Thunfischfabrik mit hohem Schornstein auf – damit ist der Gast bereits mitten in einem schwierigen Thema. Dicht an dicht Thunfischläden in der Hafenstadt, Thunfisch in allen Variationen, in bunten Dosen und Gläsern, mit aufgedruckten nostalgischen Fischfangbildchen – und auf allen Speisekarten. Die Spezialitäten sind ein Renner. Es war der Unternehmer Ignazio Florio, der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf Favignana und auf dem Festland die Thunfischindustrie revolutionierte durch Konservierung in Dosen. Ein Millionengeschäft. Der Belle-Epoque-Palazzo des Fabrikanten in der Via Floria kann – noch wird er restauriert – bald von Interessierten besichtigt werden. In der Bar Cono sitzt Professor Attilio La Russa täglich beim Kaffee und liest den „Giornale di Sicilia“. „Jede Menge Wohnungen im Angebot“, stellt er fest. „Die Norditaliener haben die Ägadischen Inseln entdeckt, auf Favignana wurde viel gebaut“, erzählt La Russa. Seine kleine Wohnung sei mittlerweile 45 000 Euro wert. Favignana werde vielleicht eines Tages mit dem ganzen Beton im Meer versinken, scherzt er noch und meint vor allem das einzige Hochhaus. Ein Frevel. Die normannische Festung, 300 Meter hoch auf dem Monte Santa Catarina gelegen, wäre sicher das schönste und höchste Bauwerk der Inseln, doch ausgerechnet das bröckelt vor sich hin. Favonio, der föhnartige Wind, prägte den Inselnamen, erklärt Gaetano Geraci aus Palermo. So oft wie möglich sucht er hier Erholung. Am liebsten benutzt er für seine Entdeckungstouren ein Fahrrad, für Wanderungen über die gesamte, schmetterlingsförmige Insel braucht er nur wenige Stunden. Grotten, scharfe Felsklippen und kühlende Tuffsteinhöhlen hält die Natur bereit. Disteln und Kaktusfeigen, Agaven und ein Dickicht von lila blühenden Kapernpflanzen flößen den meisten Gästen Respekt ein, und sie baden lieber in den kristallklaren Buchten. Die unangefochten schönste, Cala Rossa, trägt ihren Namen aus blutiger Geschichte. Hier fetzten sich die Karthager mit den Römern und umgekehrt, färbten das Meer mit ihrem Blut und hinterließen punische Boote, massive römische Schiffe und spanische Galeonen. Dass Favignana im Frühjahr quietschgelb wie ein deutscher Briefkasten leuchtet, liegt am Ferula communis, dem gemeinen Rutenkraut.

In Sichtweite, nur zehn Schiffsminuten entfernt, ist Levanzo, die kleinste Insel des Archipels – und im Vergleich zum „Großstadtgewimmel“ auf Favignana eine Oase für die Ohren. Ein Gitarrenspieler sitzt auf der Hafenmauer, seine gezupften Melodien sind neben dem Wellenklatschen die einzigen Geräusche. Die Straße, die durch den weiß getünchten Ort mit nur 200 Bewohnern führt, ist rasch abgeschritten. Vereinzelt enden Levanzos Wege und Inselstraßen im Nirgendwo, nicht etwa durch die Planung einer sizilianischen Organisation mit „M“, sondern weil die Felseninsel karg und ungastlich ist. Mediterranes Buschwerk zerkratzt dem Wanderer die Waden.

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Der Herbst hat besonders auf den Ägadischen Inseln noch viele schöne Tage, baden kann man noch im späten November. Aus 278 Metern Höhe vom Pizzo del Monaco lassen sich die vielen blaugrünen, verschwiegenen Buchten orten. Weil sie auf dem Landweg jedoch nur mühsam zu erreichen sind, setzen die Fischer die Badegäste gern mit ihren Booten dort ab. Es lässt sich auf Levanzo wunderbar faul in den Buchten verweilen, mit Käse, Oliven, Brot und Wein. Hier könnte die Welt zu Ende sein, wären nicht Beweise menschlichen Lebens gefunden worden aus einer Zeit, in der Levanzo noch mit dem sizilianischen Festland verbunden war. Geschätzte 10 000 bis 15 000 Jahre alt sind die 33 Felsmalereien und -ritzungen in der Grotta del Genovese. Deutlich lassen sich darauf Frauen, Kinder, Hirsche, Rehe und Pferde erkennen – und Thunfische. Die Unwegsamkeit der Insel schützt diese prähistorischen Kostbarkeiten vor allzu vielen fotografierenden Besuchern. Alles, was man zum Leben braucht, gibt es auf Levanzo. Schnickschnack zum Zeitvertreib fehlt. Und darauf muss sich jeder, der länger bleibt als nur einen Tag, einlassen können.

Wie ein Segel ragt, eine Schiffsstunde später, ein schroffer Berg aus dem blauen Meer: Marettimo. Das Einlaufen in der Hafenbucht ist wie eine freundliche Umarmung beim Nach-Hause-Kommen. Die Insulaner freuen sich offensichtlich über Besuch und suchen Kontakt. Ein Schatz ist zu besichtigen: weiß getünchtes Mauerwerk, tintenblaue Fensterläden, prunkende Blumen, es duftet nach frischem Brot. Gäste übernachten gern bei den Fischern, erklimmen den knapp 700 Meter hohen Monte Falcone, auch mit dem Esel, oder erforschen die Grotten. Botaniker prüfen, ob neben den 515 bereits registrierten Pflanzenarten noch weitere zu entdecken sind. Über Wanderern kreisen Habichte, Adler und Falken, die eigentlichen Herren der Insel. Für sie ist der Tisch reichlich gedeckt: Es gibt viele Kaninchen auf Marettimo. Fischer oder Maurer, das waren die Inselberufe bis zum Baustopp. Der 22-jährige Claudio Cracchiolo arbeitet in der Trattoria „Il Veliero“ der Fischerfamilie Peppe und Paulina Bevilaqua. Von allem, was hier vorbeischwimmt, kommt etwas in Paulinas Topf oder Pfanne. Obwohl mehr als 20 köstliche Gerichte mit Meerigel, Drachenkopf, Zackenbarsch und die mittlerweile zu hinterfragenden Thunfischvarianten auf der Karte stehen, ist das begehrteste Gericht ihrer Gäste Zuppa di Aragosta, die Hummersuppe. Das Rezept sei familiär überliefert, sagt Paulina stolz. Sie brät Zwiebeln und Knoblauch in Olivenöl an, fügt Tomaten, Petersilie, vor allem geriebene Mandeln dazu und gießt das Ganze mit Wasser auf. Dann muss der geputzte Hummer in diesem Sud köcheln. Als marettimesische Besonderheit fügt Signora Paulina mehrere Hände voll klein gebrochener Spaghetti hinzu. Serviert wird in einem Terrakottatopf auf der Terrasse direkt am Meer. Der Wind streicht über das Glas mit dem Nero d’Avola und erzeugt einen zarten Klang. Hier möchte man sitzen bis zum Jüngsten Tag. Einmal im Jahr, im Sommer, kommen auch die Inselnachbarn herüber. Gemeinsam begeht man die „weiße Nacht“ mit Musik und Tanz bis in den frühen Morgen. Im Winter ist Marettimo wegen schwerer See oft tagelang nicht zu erreichen. Richtig kalt wird es aber nie. Trotzdem blieben im Winter von den rund 1000 gemeldeten Marettimesen nur 100 auf der Insel, erzählt Claudio. Auch er wird, wie die meisten Favignanesi, Levanzani und Marettimani, im Winter wieder auf dem Festland arbeiten.

Wer zu den Ägadischen Insel aufbricht oder sie wieder verlässt, kommt auch in die Hafenstadt Trapani. Um die einstige Bedeutung des Thunfischfangs für die Menschen zu erfassen, ist die Übernachtung im Hotel Tonnara di Bonagia direkt am Strand ein schöner Festland-Mosaikstein zum Inselbesuch. Ruhe und Geborgenheit warten nach bewegter Überfahrt, wenn sich die gewaltigen Holztore der ehemaligen Thunfischfabrik für den Gast knarrend öffnen.

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ALLGEMEINES

Die Ägadischen Inseln gehören zur sizilianischen Provinz Trapani. Die gesamte Inselfläche beträgt gut 37 Quadratkilometer.

BESTE REISEZEIT
April bis Juni sowie September bis November. Doch auch die Wintermonate eignen sich für Wanderer.

ANREISE
Flug nach Palermo zum Beispiel mit Air Berlin (kein Nonstop-Flug ab Berlin im Winterhalbjahr). Ticketpreise im November: rund 200 Euro. Von Palermo-Falcone e Borsellino-Airport nach Trapani sind es gut 100 Kilometer. Der Bus Autolinee Segesta startet am Flughafen um 12.30 Uhr (außer sonn- und feiertags) stündlich bis spätabends. Die Fahrt dauert eine Stunde und kostet neun Euro.

UNTERKUNFT

in Trapani: FH Hotel & Resorts, Tonnara di Bonagia, Doppelzimmer ab 80 Euro, im Internet: www.fh-hotels.it

auf Marettimo: Hotel Isola del Miele, www.isoladelmiele.it. Es ist ein Anwesen mit Imkerei, DZ ab 50 Euro.

auf Favignana: Albergo e Ristorante Aegusa, mit herrlichem Garten und Terrassenrestaurant, Preise zwischen 54 und 115 Euro, die Telefonnummer lautet: 0039 / 0923 / 922430, im Internet: www.aegusahotel.it

AUSKUNFT UND ORGANISATION
www.getsicily.com,

www.egadinbarca.com,

www.enit.it

Uta Petersen

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