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Schärenblick auf Lindesnes. Dazu muss man nicht mal auf den Leuchtturm klettern.

© Hella Kaiser

Norwegen: In Munchs Welt

Im südnorwegischen Kragerø überwand der norwegische Maler eine Lebenskrise. Er schwärmte von der Natur der Skagerrakküste – wie alle Besucher.

Viele Orte dieser Welt rühmen sich ihrer Sonnenuntergänge. In Kragerø pfeifen sie darauf. Lieber empfehlen sie Besuchern, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen und zum Steinmann hinaufzustapfen. Auf diesem 68 Meter hohen Hügel im Ort stehen sie dann, schauen gen Osten und warten auf das Wunder: die Geburt des Lichts. Kann es Schöneres geben, als den Sonnenaufgang zu erleben, hier an der Südküste Norwegens?

Edvard Munch hat ihre gleißenden majestätischen Strahlen eingefangen, die den Himmel in Sekundenschnelle erobern. Die sich im Meer spiegeln und die bizarr geformten Felsen der Schären in Szene setzen. 1911 entstand Munchs grandioses Bild unter dem schlichten Namen „Die Sonne“. Er schuf es im Auftrag der Universität von Kristiania, wie Oslo bis 1924 hieß. Dort hängt es noch heute.

1909 kommt der norwegische Maler nach Kragerø. Der 46-Jährige hat eine schwierige Lebensphase hinter sich. Seit 1885 pendelt er zwischen Paris und verschiedenen deutschen Orten, malt fast wie besessen, wird gefeiert.

Doch seine Psyche ist labil. Die Angstzustände versucht er mit zunehmendem Alkoholkonsum zu bekämpfen. „Ich sitze da und trinke einen Whisky Soda nach dem anderen. Der Alkohol wärmt mich und stimuliert mich, besonders abends. Ich spüre, wie er sich seinen Weg nach innen frisst, hinein bis in die empfindlichen Nerven“, schreibt er 1908 in Kopenhagen.

Als er immer öfter halluziniert und Stimmen hört, weist er sich selbst in eine Klinik ein. Er braucht dringend Hilfe, fürchtet aber gleichzeitig um den Verlust seiner Kreativität. „Bitte, heilen Sie mich nicht vollständig“, sagt er dem Arzt.

In Oslo wurden die Werke des Künstlers geschmäht

Nach Monaten geht es Munch endlich besser. „Möge dieser Schritt einen neuen Abschnitt in meiner Kunst einläuten“, hofft er. Und beschließt, in seine Heimat zurückzukehren. „Ich muss doch nach Norwegen kommen, weil die Natur wichtig ist für meine Kunst“, erkennt der Maler. Kristiania aber schließt er aus, kann nicht vergessen, wie seine Werke früher dort geschmäht wurden. Er wünscht sich ein Haus an der Küste, „wo ich meinen strapazierten Körper ausruhen könnte“.

Und entdeckt Kragerø. Zunächst bezieht er dort ein Zimmer im Hotel Victoria. Kaum verändert steht der rosa gestrichene hölzerne Bau noch heute. Innen wurde er behutsam modernisiert, der Charme des frühen 20. Jahrhunderts ist eingefangen. 33 Zimmer hat das Hotel, fast alle haben Meerblick.

Vom Victoria aus kann man losspazieren in Munchs Welt. Zwölf Kopien seiner Werke hängen inzwischen dort, wo der Maler sie einst skizzierte. „Straße in Kragerø“ heißt ein Bild. Weiß sind die Häuser im Hintergrund des Gemäldes und weiß sind sie auch in Wirklichkeit.

Munchs Haus in Kragerø steht nicht mehr

Etliche Bilder des Künstlers sind im Winter entstanden. Zum Beispiel sein Werk „Hügelaufwärts mit dem Schlitten“. Schemenhaft erkennt man darauf die roten Häuser des vorgelagerten Inselchens Gunnarsholmen. Es gibt sie immer noch. Schmal führt die Straße Barthebakken vom Hafen zu einer Anhöhe hinauf. „Zu Munchs Zeit war der Weg noch enger“, heißt es auf einer Erklärungstafel zum Bild „Galoppierendes Pferd“. Darauf jagt ein brauner Gaul hinauf, geradewegs auf den Betrachter zu. Kinder springen erschrocken zur Seite, im Hintergrund wieder ein rotes Haus. Deutlich ist es unten am Meer zu erkennen.

Im Sommer wird es trubelig und laut in dem Ort mit etwa 10.000 Einwohnern. Die Skagerrakküste ist das beliebteste Reiseziel der Norweger im eigenen Land. Sie kommen der Strände wegen und auch, weil das Klima mild und angenehm ist.

Anfang September kehrt schon wieder Ruhe ein. Wenige Touristen nur schlendern durch den Ort, stöbern in winzigen Boutiquen und ungewöhnlichen Designläden. Gemütlich können sie Platz nehmen in Edvards Kafe nahe der Bronzestatue von Munch. Wie einst in seinem Freiluftatelier steht er da, die Palette in der einen, den Pinsel in der anderen Hand.

„Kragerø erinnerte Munch an ein italienisches Dorf“, weiß Ortsführerin Katja Aarflot. Und er liebte es in der winterlichen Einsamkeit. „Nun lebe ich hier, wie mein Name es verlangt, wie ein Mönch“, witzelte er. Er raucht und trinkt nicht mehr, hält sich auch von unverheirateten Frauen fern, die er als „Gift“ bezeichnet.

Sein bis 1915 gemietetes Haus Skrubben in Kragerø ist verschwunden. Es brannte 1938, damals längst als Hausfrauenschule genutzt, ab. Munch kaufte sich 1916 sein Anwesen Ekely nahe der Stadtgrenze Kristianias, wo er bis zu seinem Tod 1944 die meiste Zeit verbrachte.

Arendal ist das Venedig des Nordens

Kragerø im September. Sobald die Sommersaison zu Ende ist, kehrt die Stille zurück in den hübschen Küstenort.
Kragerø im September. Sobald die Sommersaison zu Ende ist, kehrt die Stille zurück in den hübschen Küstenort.

© Hella Kaiser

An der Südküste Norwegens ist Munchs Welt lebendig geblieben. In Lyngør zum Beispiel, wo 65 Bewohner auf vier Inselchen leben. Nur mit Booten kommt man hin, Autos gibt es hier nicht. Als „Europas bestbewahrte Ortschaft“ wurde Lyngør 1991 ausgezeichnet. Hier, so hofft die Besucherin, wird sich nie etwas verändern. Wer über schmale, felsige Pfade wandert, hat ein ums andere Mal herrliche Ausblicke aufs Meer. Malerisch liegen Felsen, als hätte sie ein Riese zum Spielen hingeworfen. Kein Lärm, nirgends.

Mehr los ist in Arendal, gern als Venedig des Nordens apostrophiert. Was uns dort erwartet, hatte Frode Hansen, Bootsführer in Lyngør, schaudernd ausgemalt: „44 000 Einwohner, eine echte Großstadt.“ Alles sehr gemütlich. Vorwiegend weiße Gebäude stehen hier, alle sind aus Stein gebaut. „Seit einer Feuersbrunst 1856 durften keine Holzhäuser mehr errichtet werden“, erklärt Stadtführer Tone Taraldsen.

Dass die Stadt auf sieben Inseln gebaut wurde, sieht man nicht mehr. Die Kanäle dazwischen wurden zugeschüttet. „Aber wir wollen, dass sie wieder freigelegt werden“, sagt Tone. Es gebe eine „wachsende Bewegung“ für diesen Plan. So können Besucher vielleicht bald über elegante neue Brücken flanieren.

Der Skagerrakwar berühmt-berüchtigt für seine gefährlichen Strömungen

Vielleicht wird der eine oder andere Künstler darunter sein. Immer gab es sie schließlich an dieser Küste: Henrik Ibsen schrieb seine ersten Werke in Grimstad, später arbeitete Knut Hamsun jahrelang im Hotel Norge in Lillesand. Wer heute im mehr als 140 Jahre alten Hotel wohnt, wähnt sich rundherum in einem Freilichtmuseum. Historische Holzarchitektur vom Feinsten prägt Lillesund.

2518 Kilometer sind es bis zum Nordkap. So zeigt es ein Wegweiser an der Südspitze Norwegens an. Schneeweiß und mit ziegelroter Haube steht hier der älteste Leuchtturm des Landes. 1655 wurde an dieser Stelle das erste Leuchtfeuer angezündet. Der Skagerrak, Teil der Nordsee, war berühmt-berüchtigt für seine gefährlichen Strömungen und Untiefen. Zahlreiche Schiffe kenterten.

Tauchen am Wrack der "Palatia" ist streng verboten

Im Oktober 1942 aber konnte die Natur nichts für die furchtbare Tragödie. Die deutsche „Palatia“ wurde von einem britischen Bomber versenkt. Knapp 90 deutsche Besatzungsmitglieder starben – und rund 900 russische Kriegsgefangene. Das Wrack wurde 1997 exakt geortet und zur Gedenkstätte erklärt. Das Tauchen am versunkenen Schiff ist streng verboten.

An Leuchttürmen mangelt es nicht entlang dieser Küste. Grandios ist der von Lista, von dem aus man weit, weit übers Meer schauen kann. Vor allem jedoch ist dieses Eiland ein Glücksfall für Ornithologen. 350 Vogelarten können beobachtet werden. Seevögel natürlich wie Lach-, Sturm-, Mantel-, Silber- und Heringsmöwen ... Aber es flattern auch Buntspechte, Feldlerchen oder Bachstelzen herum. Viele der kleinen Vögel verheddern sich in eigens aufgespannten Netzen. Aber, keine Sorge, es geschieht ihnen nichts. Sie sollen nur beringt werden. Danach dürfen sie weiterfliegen, aufs Meer hinaus – oder nur bis ins nahe Kragerø.

Tipps für Südnorwegen: Das Sonnenbild hängt in der Aula

ANREISE

Stimmungsvoll ist die Anreise mit der Fährgesellschaft Fjordline. (fjordline.com) vom dänischen Hirtshals aus. Die Fähre startet dort täglich um 9 Uhr 30 und kommt nach viereinhalb Stunden im norwegiscnen Langesund an. Der Preis für ein „Autopaket“ (zwei Personen, ein Pkw) beträgt pro Strecke ab 51 Euro. Rund 45 Minuten dauert die Autofahrt von Langesund nach Kragerø.

Für Flugreisende bietet sich Oslo an (von Berlin-Schönefeld etwa mit Norwegian). Standort diverser Mietwagenfirmen.

UNTERKUNFT

In Kragerø: Hotel Victoria, Doppelzimmer ab 138 Euro. Über das Hotel können auch ansprechende Ferienapartments außerhalb des Zentrums nah am Wasser gebucht werden. Telefonnummer: 00 47 / 35 98 75 25, Internet: victoria-kragero.no

In Lillesand: Hotel Norge, Strandgata 3, Telefon: 00 47 / 37 27 01 44, Internet: hotelnorge.no. Sehr gut erhaltenes historisches Hotel (Knut Hamsun wohnte und arbeitete hier viele Jahre). Ausgezeichnete Küche.

In Lyngör: Bokhotellet, Sliperiveien, Doppelzimmer ab 123 Euro, Telefon: 00 47 / 37 19 80 00, Internet: bokhotellet.no

AUSKUNFT

im Internet: visitkragero.no oder visitnorway.com/de

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