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Ein bisschen Kitsch darf sein. Die weihnachtlich geschmückte Einkaufsmeile Rua Augusta im Zentrum der portugiesischen Hauptstadt.

© Cro Magnon / Alamy

Portugal: Süßes Pflaster

Schlange stehen für süße Köstlichkeiten: Das vorweihnachtliche Lissabon lockt mit vielen Spezialitäten: Bolo Rei, Pastéis de Nata und ihre Spielart, die Pastéis de Belém.

Fahren Sie nicht nach Belém! Jedenfalls auf keinen Fall am ersten Tag einer Reise nach Lissabon. Und schon gar nicht, wenn Sie gerne süßes Gebäck essen. Nicht etwa, weil es im Ortsteil Belém nichts Gutes gäbe. Im Gegenteil.

Aber dazu später. Beginnen wir unsere vorweihnachtliche Süßspeisenreise durch Lissabon im Herzen der Stadt, auf dem Platz Rossio. Von diesem aus ziehen breite Straßen südlich durch das Viertel Baixa; die Unterstadt wurde nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 großzügig angelegt. Straßen und Boulevards bilden ein Gittermuster, nur hier ergibt sich eine ebene Flächen zwischen all den Hügeln.

Es ist später November in Lissabon, es fühlt sich nur nicht so an. Der üppig dekorierte Weihnachtsbaum auf dem Praça do Comércio wirkt bei den herrschenden Temperaturen etwas fehl am Platz.

Platz Rossio also, dort finden wir sofort die Menschenschlange und reihen uns ein. Anstehen für den Bolo Rei, den portugiesischen Königskuchen, das Weihnachtsgebäck hier schlechthin.

Der Bolo Rei ist ein Hefekranz mit Früchten, Nüssen und Pinienkernen

„Manchmal müssen wir Nummern ausgeben“, sagt Rui Castanheiro Viana. Dann denke er nur: „Hoffentlich reicht es für alle“. Bis Erlösung naht in Form der nächsten Lieferung aus seiner Fabrik. Rui Castanheiro Viana betreibt die fast 200 Jahre alte Confeitaria Nacional, vor der die Einheimischen geduldig anstehen, in sechster Generation.

Bolo Rei, der Königskuchen – für Portugiesen unwiderstehlich.
Bolo Rei, der Königskuchen – für Portugiesen unwiderstehlich.

© Lusofood / Alamy

Doch einfach nur eine Konditorei weiterzuführen, war dem Mann zu wenig. Zunächst renovierte er das Erd-, dann das Obergeschoss. Heute sitzen hier alte Damen mit fein ondulierten Haaren an alten Tischen. Die Tische stehen auf derbem Holzparkett; an den Wänden kleben Bordüren-Tapeten, daran hängen goldfarbene Spiegelrahmen und Stofflampen. Seit Jahrzehnten habe sich hier nichts geändert, sagt der Chef.

Seit 1871 wird der Bolo Rei hier verkauft, ein schwerer Hefekranz mit kandierten Früchten, Nüssen, Pinienkernen und Trockenobst. Castanheiro Vianas Urgroßvater hatte so einen ähnlichen Kuchen in Frankreich, in der Nähe von Toulouse gegessen. Es müsse eine Offenbarung für ihn gewesen sein.

Omnipräsent sind die Pastéis de Nata

„Er überredete das ganze Team, den Bäcker, den Koch, die Mitarbeiter, mit ihm nach Lissabon zu kommen. Und seither backen wir das hier.“ Dann ist ja der Bolo Rei gar kein typisch portugiesisches Gebäck?! „Doch, jetzt ist es das“, sagt Castanheiro Viana bestimmt. „Jeder isst es in der Weihnachtszeit. Wir verkaufen es ab Anfang Oktober, sogar bis Ostern.“ Aber das fügt Castanheiro Viana leicht seufzend hinzu.

Doch auch wer keine kandierten Früchte und kein Trockenobst mag, muss in Lissabon nicht darben. Omnipräsent in der portugiesischen Hauptstadt sind kleine Törtchen, Pastéis de Nata genannt. Da gilt es mit zwei Irrtümern aufzuräumen. Erstens: Nata hat nichts mit Natal, mit Weihnachten zu tun. Nata heißt Sahne. Zweitens: Die Pastéis de Nata sind dennoch keine Sahneschnittchen. Eiercremetörtchen wäre vielleicht eine annähernde Übersetzung. Es gibt sie praktisch überall.

In der Pâtisserie Belém sind die Pastéis de Nata ganz besonders gut

Die Theke der Pastelaria de Belém an der Rua de Belém 84.
Die Theke der Pastelaria de Belém an der Rua de Belém 84.

© Ulf Lippitz

Wir steigen in die Tram Nr. 15 Richtung Atlantikküste, bis zum Vorort Belém. Dort wartet Maria Dulce auf uns. Sie arbeitet seit 37 Jahren in der Konditorei Belém. Wahrscheinlich muss das auch so sein bei diesem Namen, Maria Süß. Seit 1837 stellt die Pastelaria de Belém diese sagenumwobenen Gebäckteile her, das Rezept ist jedoch noch älter.

„Mönche aus dem Hieronymitenkloster haben es erfunden“, weiß Dulce. Im spätgotischen Kloster mit seiner imposanten Hallenkirche, dem verspielten Kreuzgang und der reich verzierten Kalksteinfassade „wurde immer gut gegessen und getrunken“, sagt Maria Dulce. Wie eben in allen Klöstern. Als Folge der Revolutionen zu Beginn des 19. Jahrhunderts verloren die Klöster an Macht und Einfluss. „Da begannen sie, Dinge zu verkaufen wie Land und Kunstschätze.“

In einem verschlossenen Raum der Pastelaria de Belém rühren Konditoren die Eiercreme an. Nach der Zubereitung wird sie in große Bottiche gefüllt.  
In einem verschlossenen Raum der Pastelaria de Belém rühren Konditoren die Eiercreme an. Nach der Zubereitung wird sie in große Bottiche gefüllt.  

© Ulf Lippitz

Und in Belém verkauften sie auch das Rezept für diese Küchlein. Der Käufer war ein Zuckerfabrikant, der gleich neben dem Kloster eine Raffinerie betrieb, ein Immigrant, der reich aus Brasilien zurückgekommen war. Er begann mit der Produktion der Pastéis de Belém.

Also hier heißt es Pastéis de Belém, und sonst in ganz Lissabon Pastéis de Nata? „Moment! Das ist ein Unterschied“, protestiert Maria. „Pastéis de Belem waren die ersten dieser Art, die je gemacht wurden. Danach haben alle angefangen, Pastéis de Nata zu backen, aber die sind nicht wie unsere.“

Echte Handarbeit: Die Frauen drücken den Bätterteig für die Pastetchen in Formen.
Echte Handarbeit: Die Frauen drücken den Bätterteig für die Pastetchen in Formen.

© Ulf Lippitz

Auch vor diesem Café: Menschenschlangen. Endlich, zwei Pastéis werden uns serviert. Lebkuchengroß, etwa fünf Zentimeter hoch. Blätterteig, gefüllt mit Eiercreme, die Oberfläche fast schwarz verbrannt. Das Küchlein ist noch warm, wir wollen es zum Mund führen.

Da schreitet Maria ein: „Da müssen Zimt und Zucker drauf“, sagt sie und reicht zwei Streudosen. Jetzt aber: Der zuckrige Blätterteig knuspert beim Reinbeißen, dann entlässt er die warme puddingähnliche Füllung in den Mund, das Milde und das Wilde, die Kruste und die Creme, das leicht Verbrannte fügt dem Süßen etwas Herbes hinzu – wie konnten wir nur bislang andere, schnöde Pastéis essen?

Nur die vier Zuckerbäcker kennen das Rezept

Was ist denn nun drin in dieser Creme? Sie wisse es nicht, versichert Maria. Das Rezept sei geheim seit es erfunden wurde. „Nur wer zu den vier Zuckerbäckern gehört, die das bei uns in einer separaten Backstube herstellen, kennt das Rezept. Und die werden per Vertrag zu Stillschweigen verpflichtet.“

Aber es ist keine Sahne drin, oder? Obwohl doch nata Sahne heißt. „Woher soll ich das wissen? Ich kenne doch das Rezept nicht.“ Maria Dulce lässt sich kein Geheimnis entlocken.

Tipps zum Schlemmen und schlafen in Lissabon

ESSEN

Café Suiça: Praça D. Pedro IV, 96-104 (Rossio): Traditionshaus mit Salon de Chá, einem Teesalon.

Confeitaria Nacional, Praça da Figueira 18 B/C: Die 1829 gegründete Konditorei ist berühmt für ihren Bolo Rei.

Pastelaria de Belém, Rua de Belém 84-92: Paradies für Freunde der Pastéis de Nata; nur hier dürfen sie Pastéis de Belém heißen.

A Brasileira, Rua Garrett 120: Legendäres, altmodisches Café im Chiado-Viertel mit Fernando Pessoa in Bronze davor.

ÜBERNACHTEN

Corinthia Hotel Lisbon, Avenida Columbano Bordalo Pinheiro 105, Lissabon, Tel. +351 21 7236363. Fünf-Sterne-Hotel mit hohem Öko-Standard. Bei langfristiger Buchung gibt es DZ ab rund 100 Euro. Direkt an der Metro-Station Zoologischer Garten gelegen. 

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