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Ja, das historische Städtchen Ystad kann auch düster sein. Und natürlich profitiert es von Henning Mankells Figur Wallander. Nur manchmal nervt der Ruhm die Bewohner.

© Skane

Schweden: Wohlsein bei Wallander

Die Provinz Skane, geprägt von einem Krimikommissar, gilt als Toskana Schwedens.

Hier also haust das Verbrechen. „Ystad 15 Kilometer“ zeigt der Wegweiser an der Europastraße 65, die sich wie ein Endlostau durch abgeerntete Felder und satte Äcker zieht. Zuständigkeitsbereich von Kommissar Kurt Wallander. Geheimnisumwobene Tote und gewiefte Verbrecher können also nicht weit sein. Aber ist es möglich, dass hinter so liebevoll geschnitzten Haustüren Mord und Totschlag lauern? In diesen kuschelig-weißen Bauernhäusern? In diesen Dörfern, wo aus jedem Fenster eine Stehlampe die wohlige Atmosphäre der Wohnstube in die Gegend zaubert? Wo selbst Kirchen und Bahnhöfe so einladend beheizt sind, als ob Klimawandel ein Fremdwort wäre?

Südschweden. Schonen. Unspektakuläres, kaum wahrgenommenes Land. Wer von Deutschland hierherkommt, ist meist auf der Durchreise. Oder er sucht das Verbrechen. Wallander! Ystad! Da dämmert’s. Touristen aus aller Welt kommen ins Hafenstädtchen Ystad, um auf den Spuren von Henning Mankells schwermütigem und -gewichtigem Krimihelden zu wandeln. Längst lenkt die Stadt mit einem eigenem Touristplan an die Wirkungsstätten ihres fiktiven Einwohners.

Fast ehrfürchtig pilgert eine internationale Wallandergemeinde in die Marigatan. Hier in der kleinen Straße entspannte der Krimikommissar bei Opernarien von Polizeistress und notorisch nasskaltem Wetter. Doch dann steht man vor einem nichtssagenden Reihenhaus, Hausnummer 10. Am Klingelschild stehen die „Erikssons“, die „Hanssons“. Keine Spur von Wallander – und die Sonne lacht.

Ein bisschen „nervig“ sei der Rummel um die Krimifigur schon, räumt die Anwohnerin der Marigatan ein. Aber nein, als Ystaderin ist sie „natürlich stolz“ auf ihren Tourismusmagnet. Nur verstellt die neblig-trübe Wallander-Welt auch den Blick auf die Urlaubsregion Schonen. Und die hat in ihrer ruhigen, sanft hügeligen Weite eine Kette von Perlen versteckt. Man muss sie nur suchen.

Die Suche führt von Schwedens Multi-Kulti-Hauptstadt Malmö zunächst durch platte Landschaft. Selbst der Himmel scheint hier eigentümlich flach über dem Boden zu liegen. „Äcker und Wiesen! Äcker und Wiesen“ lässt Schriftstellerin Selma Lagerlöf die hungrigen Wildgänse jubeln, die den Bauernsohn Nils Holgersson auf ihren Flügeln über Schweden tragen. Als „großes gewürfeltes Tuch“ aus lauter Vierecken sieht der kleine Nils seine Heimat Schonen von oben, als er von hier aus zur Reise mit den Gänsen startet.

Doch anders als in Lagerlöfs Kinderbuch hat das „große gewürfelte Tuch“ seine 1,3 Millionen Bewohner durchaus wohlhabend gemacht. Schonen, das nordische Skane, ist seit eh und je die Speisekammer Schwedens. Noch heute wird die Hälfte der Fläche landwirtschaftlich genutzt, fast ein Drittel ist bewaldet. Der Reichtum der Natur zog andere an. Schonen wurde zum Lieblingswohnsitz des blaublütigen Dänemark, das die Provinz bis in 17. Jahrhundert beherrschte.

Der Ökopark im Schloss Christinehof

Dänemarks Adel schätzte die Landschaft, die gen Norden so hügelig wird, dass Enthusiasten heute vollmundig von der „Toskana Schwedens“ schwärmen. Als die Dänen Schonen an Schweden abtreten mussten, hinterließen sie immerhin einen Schatz: 240 Schlösser zählt die Provinz. Jedes zehnte hat seine Türen und Parks für Besucher geöffnet.

„Kommen Sie rein. Zunächst müssen Sie die Rosen sehen.“ Voller Gärtnerstolz lädt Graf Tord Bonde zur Besichtigung ein. Bonde ist Schlossherr von Bosjökloster, einem ehemaligen Benediktinerkloster, das in strahlendem Weiß wie ein Schmuckstück am Ringsjö, dem Ringsee, liegt. Bondes Familie hat das Schloss mitsamt Klosterkirche und feudaler Seeterrasse 1996 übernommen. Seitdem hat der heute 70-jährige Graf die 20 Hektar große Schlossanlage mit ihren prächtigen Eichen als öffentlichen Park gestaltet.

„Im Frühjahr blühen hier 10 000 Tulpen. Die 2000 Rosen tragen bis in den November hinein Knospen“, schwärmt Bonde in akzentfreiem Deutsch. „Das hier ist unser kleines Mainau.“ Auf der Bodenseeinsel hat er schließlich das Gärtnerhandwerk gelernt. Bis heute hält der jung gebliebene Schwede mit dem eiligen Schritt seinen Park eigenhändig in Schuss.

Eine halbe Fahrstunde von Bosjökloster entfernt lädt Schloss Christinehof in seinen „Ökopark“ ein. Auf einem Areal von 1000 Hektar hat hier die aus Deutschland stammende Familie Piper ihren Sommersitz zu einem prächtigen Natur-und Lehrpark gemacht, dem einzigen privaten Naturpark in Schweden. Mit ihrem ökologischen und sozialen Engagement hat sich die gräfliche Familie in adeligen Kreisen nicht unbedingt Freunde gemacht. Den Besuchern hingegen öffnet sich dadurch eine üppige Urlandschaft mit naturkundlichen Führungen und Wildexpeditionen inmitten von Bachläufen und jahrhundertealtem Laubwald.

Blühende Schlosslandschaften, ökobewusster Adel, breite Sandstrände, sanft-hügelige Fahrradrouten, Golfplätze im 20-Kilometerradius – nichts davon passt recht zu dem Schonen, über das Kommissar Wallanders griesgrämiger Vater brummelt: „Grauer Lehm, graue Bäume, grauer Himmel und das graueste von allem sind die Menschen.“

Eva Thuresson kann er damit nicht gemeint haben. Die Inhaberin vom Restaurant Alé sprüht vor guter Laune und Begeisterung fürs Kochen. Lange war sie die einzige Frau in Schwedens Restaurantküchen. Dann ging sie für dreieinhalb Jahre nach Deutschland, lernte im Schwarzwälder Sterne-Restaurant Bareiss „wie man wirklich kocht“. Als sie dort das erste Mal Hummer zubereiten sollte, hat sie das Tier einfach in Salzwasser geworfen. „So wie man das bei uns halt macht.

Da habe ich mich total blamiert.“ Eva Thuresson könnte sich noch heute ausschütten vor Lachen. Wie Schlossherr Bonde gehört die Gastronomin zu jenen, denen das weite ländliche Schonen irgendwann zu eng wurde – und die der Region nun mit einer Mischung aus Weltoffenheit und Heimatverbundenheit einen sympathischen Stempel aufdrücken. Thuresson hat den Schweinestall ihrer Eltern zum Restaurant umgebaut. Ein Wagnis in einem kleinen Weiler, auf dem platten Land. Heute ist ihr Lokal über Schonens Grenzen hinaus bekannt.

Schwedens kulinarische Hochburg

Eva Olsson arbeitet an Schonens Ruf als Schwedens kulinarischer Hochburg.
Eva Olsson arbeitet an Schonens Ruf als Schwedens kulinarischer Hochburg.

© Vera Gaserow

Sieben Mal schon hat sie den schwedischen König bewirtet – mit ländlich-deftigen Rezepten. Schweinebäckchen mit Quittengelee und Waldpilzen, Geräucherter Speck mit Zuckerrübensirup oder Schonens Nationalgericht Äggakaka, den Eierkuchen mit Schinken und Preiselbeeren.

Ein paar Kilometer weiter, inmitten von Nils Holgerssons „gewürfeltem Tuch“, arbeitet auch Eva Olsson an Schonens Ruf als Schwedens kulinarischer Hochburg. Vor neun Jahren sind die Olssons aus ihren alten Berufen ausgestiegen und haben im Dörfchen Köpingebro den Hof der Großeltern zu Skandinaviens größter Kräuterfarm umgebaut. Inzwischen wachsen 7000 Lavendelpflanzen auf den Feldern und 30 verschiedene Kräutersorten. Bohnenkraut, Liebstöckel, Wermut – altbewährt, heute oft schwierig zu bekommen.

Besucher können in Olssons Kräuterwerkstatt ihre Gewürzmischung selbst zusammenstellen oder sich Badesalze und duftende Essenzen mixen zum Kochen und Heilen. Im kommenden Jahr (2012) will „Kräuterfee“ Eva ihr erstes Parfum auf den Markt bringen: eine Premiere „allein aus skandinavischen Kräutern“.

Die Fahrt führt weiter in Schwedens Südosten, durch hügelige Apfelplantagen, die nach Kindheit riechen. Vorbei an bunten Holzhäusern in alten Küstenstädtchen, die bei Schwedens Schickeria und Künstlern derzeit hoch im Kurs stehen. Vorbei an weißen Kirchen und weitläufig hingewürfelten Gehöften. Zeit für „Fika“, die obligatorische schwedische Kaffeepause. Der Weg führt zu Olof Viktors Bageri, einem alten Vierseithof abseits der Hauptstraßen, vor Jahren zu Schwedens bester Bäckerei gekürt. An Sommertagen stehen hier bis zu 600 Kunden an nach handgemachtem Steinofenbrot, rundem Knäckebrot und preisgekrönten Torten.

Und so sitzt man in Olof Viktors Café, das zugleich Galerie ist für Schonens große Künstlergemeinde. Man lässt das Tortenstück aus Trüffelcreme, Milchschokolade und Himbeeren auf der Zunge zergehen. Man möchte gerade den misslaunigen Fastfood-Banausen Wallander zum schonischen Außerirdischen erklären. Doch dann taucht – „Lalülala“ – tatsächlich ein Kollege des Kommissars auf. Claus Erlandsson heißt der leibhaftige Polisen-Mann aus Ystad, trägt schmucke blaue Uniform und ist etliche Kilo schlanker als sein Krimi-Kollege.

An Wallanders Seite hat Erlandsson schon etliche Morde aufgeklärt – als Film-Komparse. Im wahren Leben jedoch kämpft er gegen das in Schonen am weitesten verbreitete Vergehen – gegen Geschwindigkeitsüberschreitungen.

Vera Gaserow

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