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Schritt für Schritt. In den Dörfern der Region Las Hurdes geht’s gemächlich zu.

© laif

Extremadura: Noch summen die Bienen im Dorf

Der Boden in der Extremadura ist karg, das Leben der Menschen beschwerlich. Wer bleibt, muss mutig sein und kreativ. Wie der Imker Tio Picho.

Für den Namen der Extremadura gibt es vernünftige Erklärungen. Vom Lateinischen abgeleitet bedeutet er „Land jenseits des Flusses Duero“. Zur Zeit der Reconquista markierte die Region die umkämpfte Kampflinie zwischen Christen im Norden und Mauren im Süden. Doch im Wort steckt auch „extrem hart“. Und das trifft die Sache genau. Denn in dem Landstrich ist vieles extrem: die Hitze im Sommer, die Kälte im Winter, die Einsamkeit der kargen, oft menschenleeren Erde, die Zahl der Olivenbäume, der Esel, der Steineichen, der schwarzen Schweine, der Königsadler, der Gänsegeier und der seltenen schwarzen Störche. Aus keiner anderen Gegend Spaniens stammen so viele Konquistadores. Harte Typen, die nie zuvor das Meer gesehen hatten, aber für Kreuz und Krone die Neue Welt eroberten. Nur weg von hier, haben sie wohl gedacht.

Doch die Extremadura kann auch extrem Süßes hervorbringen. Im äußersten Norden zeigt sich die Provinz sogar enorm grün und wasserreich. Das Jertetal ist im Frühling, wenn dort zwei Millionen Kirschbäume blühen, weiß. Der Naturpark Monfragüe überrascht mit Schluchten und Flussschleifen. Den Reiz der Stille, der Endlosigkeit und der Naturparadiese haben Wanderer, Ökotouristen und Vogelbeobachter längst entdeckt. Im Las-Hurdes-Gebirge stehen Kastanien, Eukalyptus und Steineichen, aber auch Maulbeer-, Feigen-, Zitronen- und Orangenbäume. Weite Wiesen von Lavendel, Wälder aus Zistrosen und die Blüten zahlloser Kräuter wecken die Begierden der Bergbienen, die hier den süßesten Stoff der Extremadura produzieren – Honig.

Auf 670 Höhenmetern liegt das Bergdorf Las Mestas, das Reich des Imkers Tio Picho. „Mein Honig steht auf dem Tisch des spanischen Königs“, brüstet er sich. Tatsächlich hängen an den Wänden des kleinen Ladens zahlreiche Beweisstücke seines süßen Erfolges – Zeitungsausschnitte, Zertifikate und Fotos, auf denen er mit dem Infanten Felipe und dessen Frau Letizia abgebildet ist. Die spanische Bourbonen-Familie beliefert er seit mehr als zwanzig Jahren. Schon sein Vater, der erste Imker im Dorf, sorgte für Honig im Schloss.

Der rundliche Imker mit dem weißen Spitzbart und dem schwarzen Hut nimmt routiniert seinen mehrfach preisgekrönten dunklen Eichelhonig „Bellota“ aus dem Regal, verteilt Löffelchen und lässt probieren. „Honigmachen ist Kunst“, sagt er, und als Künstler versteht er sich. Tio Picho ist sein Künstlername, seine Marke, die er vom Vater übernommen hat. Im richtigen Leben heißt er Anastasio Marcos und ist sowohl Geschäftsmann als auch Bienenkönig. Zwar gibt es ein paar hundert Imker in der Gegend, aber er, Tio Picho, besitze die meisten Bienenstöcke und stelle den besten Honig her, und zwar weltweit. Vielleicht erzeugt die Extremadura gewiefte Unternehmer und draufgängerische Männer wie die Konquistadoren Hernán Cortés, Francisco Pizarro, Pedro de Valdivia – und Tio Picho.

„Zum Arzt gehst du nie wieder“

Doch der Bienenmann ist sanftmütig und lüftet sogar ein paar seiner Geheimnisse. Seine Bienenstöcke stehen nur in Höhenlagen, wo die Luft rein ist, Bergblumen blühen, Steineichen wachsen und Poesie entsteht. Und noch eines verrät er: Er verwöhnt seine Bienen mit Musik. Dann seien sie noch fleißiger. Sie sammeln so viel Nektar, dass ihr Meister jährlich rund 10 000 Kilo Honig und 500 Kilo Pollen ernten kann. Wie im Schlaf zählt er die Vorzüge seines köstlichen Brotaufstriches auf, die wie eine Ode an Las Hurdes klingt.

Steineichenhonig sei gut gegen Osteoporose, Heide fürs Herz, Rosmarin und Orangenblüten für den Blutkreislauf, Eukalyptus und Thymian für die Bronchien. Gelée Royale, die Nahrung der Bienenkönigin, hilft gegen Arteriosklerose, Depressionen und Impotenz. Pollen stärken das Immunsystem, das Gedächtnis und die Knochen. „Zum Arzt gehst du nie wieder“, verspricht der Imker. Jeden Abend einen Esslöffel Pollen in Milch – „und du stehst morgens fit auf“. Krank sei er nie, und er arbeite problemlos fünfzehn Stunden am Tag. „Deshalb liebe ich meine Bienen, auch wenn sie mich stechen.“ Seinen Vater haben Bienenstiche sogar vom Rheuma kuriert.

Tio Picho führt uns durchs Dorf. Die neuen Häuser sind einfach. Am oberen Berghang aber stehen noch einige jener armseligen Hütten aus Schiefer, Lehm und Stroh, in denen noch in den 50er Jahren Menschen wohnten. „Das ist meine Kindheit“, sagt er. Tio Picho war das Jüngste von siebzehn Kindern, und eines der Häuser gehörte seiner Familie. Als er neun war, holte ihn sein Vater aus der Schule, damit er Ziegen hütete, molk und Schaffelle verkaufte. Der Film „Land ohne Brot“, den Luís Buñuel 1933 in Las Hurdes drehte, zeigt, wie schwer das Leben war. „Viele wollen heute davon nichts mehr wissen“, sagt der Imker. Doch er verteidigt den Film, der auf die Regierung Druck ausübte. Später investierte sie Millionen und ließ Sozialwohnungen bauen. Das Dorf entwickelte sich. Und doch hielt es die Menschen nicht hier.

Tio Picho aber ist bodenständig. Mag das Dorf aussterben, sagt er, „ich bleibe.“

Auskunft: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Lietzenburger Straße 99, 10707 Berlin, Telefon: 030 / 882 65 43, Internet: spain.info

El Tio Picho Productos Naturales de Las Hurdes S.L., Las Mestas, Cáceres, Internet: eltiopicho.com

Übernachtung: Hospedaría Hurdes Reales, Factoria, Cáceres; schöne Zimmer ab 69 Euro. Internet: hospederiasdeextremadura.es; Spanien auf der ITB: Halle 4.2

Beate Schümann

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