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© Sabine Bungert/laif

Mallorca: Eichenwald im Gipfelmeer

Das Tramuntana-Gebirge auf Mallorca muss geschützt werden – und soll auf die Unesco-Welterbeliste

Mallorcas Rückgrat soll gestärkt werden. Der 90 Kilometer lange Gebirgszug Serra de Tramuntana zwischen Andratx im Südwesten und Pollença im Norden könnte ab 2011 unter Unesco-Schutz stehen. Die spanische Zentralregierung in Madrid hat jetzt in Paris einen Antrag eingereicht. Ein Expertenkomitee wird 2011 darüber entscheiden.

Die Chancen auf das Welterbe-Siegel stehen nicht schlecht: Der rund 1100 Quadratkilometer große Landstrich mit Höhenunterschieden von bis zu 1500 Metern erfüllt sechs von maximal zehn Kriterien als Naturlandschaft. Und kulturell kann das bis zu 15 Kilometer breite Küstengebirge unter anderem mit 700 Jahre alten Bergbauernhöfen und noch älteren arabischen Terrassen und Wasserkanälen dienen. Höchste Güter sind also die atemberaubende Landschaft zwischen dem Meer und den 54 Tausendergipfeln sowie die Spuren des zähen Überlebenswillens in vorindustrieller Zeit: handgeschichtete Steinmauern, Köhlerhütten, Ölpressen, Schafweiden unter Mandel- und Johannisbrotplantagen, Schneehäuser, Verteidigungstürme.

Bereits 1996, 2002 und 2005 hat sich die Regionalregierung der Balearen erfolglos beworben. Seitdem steht das Gebirge bei der Unesco als „schützenswert in ihrer gesamten Ausdehnung“ auf der Kandidatenliste, wegen „ihres Reichtums an Denkmälern und historischen Zeugnissen sowie ihrer einzigartigen, außergewöhnlichen Schönheit“. Dieses Mal bekommen die Mallorquiner Unterstützung durch das spanische Kulturministerium. Erstmals reicht Madrid die Serra ein, und zwar als einzige Bewerbung. Sie wäre Nummer 42 auf der Unesco-Liste des Landes, das nach Italien die höchste Denkmaldichte Europas hat.

Auch auf der Insel erfährt das Gebirge nun starken Rückhalt. Mallorcas Inselrat hat einen zweijährigen Kandidaturmarathon hinter sich, bei dem die 20 Gemeinden der Region von den Vorteilen eines zukünftigen Unesco-Schutzes erfahren haben. Etwa 3000 Facebook-Nutzer unterstützen die Kandidatur zudem virtuell, und mehr als 50 Vereine und Regierungsorganisationen haben einen Nutzungsplan erstellt. Würde sich die Unesco für Mallorca entscheiden, hätte das weitreichende Folgen für die Insel.

Die Serra de Tramuntana bedeckt schließlich knapp ein Drittel der Gesamtoberfläche. Als naturbelassenes Agrarland und Wandergebiet ist sie gleichermaßen Identitätsstifterin und alternatives Reiseziel zur herkömmlichen Sonne & Strand-Destination. Die aufwendige Pflege der überwiegend privaten und heute meist unrentablen Landgüter wäre zudem gesichert. Und damit vielleicht ein Dauerkonflikt befriedet. Denn ob die Eichenwälder, Olivenhaine, Steinmeere und Felsschluchten nur ihren im Grundbuch genannten Besitzern gehören oder vielmehr dem Genuss aller Menschen dienen sollten, darüber streitet die Insel seit mehr als 30 Jahren. Greifbare Zeichen dieser Fehde sind allenthalben verschlossene Gatter: Dahinter verfallen Fincas mangels Finanz- oder Entschlusskraft der Erben, die Regionalverwaltung kann aus eigener Kraft keine rentablen Betriebe daraus machen und Wanderer kehren frustriert um. Ideen, Infrastruktur, Subventionen, Image und Besucher soll der Unesco-Status bald bringen. Und er soll der Insel helfen, sich vom Strandurlauber unabhängiger und die Reisesaison länger zu machen.

Ihren Ursprung hat die Kulturlandschaft in den katalanischen Eroberern, die im 13. Jahrhundert als Dank von König Jaime I. riesige Ländereien, Possessiós, erhielten. Allein die zehn größten davon bedecken knapp 40 Prozent der Serra. Auf den abgelegenen Berghöfen, jahrhundertelang die einzigen Arbeitgeber in ihrem Umkreis, wurde mallorquinische Lebenskultur geprägt. Wo heute Wanderwege verlaufen, da gingen einst Tagelöhner im Morgengrauen zur Oliven- oder Weinernte. Fast alle Bewohner des ländlichen Mallorca waren Landarbeiter, wenige Familien entschieden über das Geschick der Insel. Nur in Palma gab es Geschäftsleute und damit eine Mittelschicht.

Einen Teil dieser Anwesen kaufte Ende des 19. Jahrhunderts der Weltenbummler und Naturfreund Ludwig Salvator. Der Habsburger erwarb mit dem Geld der kaiserlichen Krone nach und nach insgesamt zwölf zusammenhängende Possessiós und machte aus ihnen ein 17 Quadratkilometer kleines Paradies – das Herzstück der Tramuntana. Kein Baum durfte darin gefällt, kein Tier getötet werden.

Das siebenbändige Werk des Österreichers, „Die Balearen in Wort und Bild“, gibt ein einmaliges Zeugnis von Mallorcas Bergen. Geografen, Ethnologen und Biologen ziehen es bis heute zu Rate. Ludwig Salvator ahnte, dass das Leben in der Serra zu Beginn des Industriezeitalters dem Untergang geweiht war, und dokumentierte akribisch alles, was ihm bemerkenswert schien an dieser „ansehnlichen Gebirgskette von malerischen zackigen Bergspitzen“. Das war eine Menge. Sieben Bände umfasst sein 1870 erstmals veröffentlichtes Werk, ein Großteil darin ist der Serra de Tramuntana gewidmet. 140 Jahre später, am Ende des Industriezeitalters, füllt dieses Erbe immerhin noch vier Bände.

Brigitte Kramer

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