zum Hauptinhalt
Auf einem Gipfel im Naturpark der Steineichen liegt das Gasthaus Pou de la Neu, eines der historischen Eishäuser der Region Valencia.

© promo

Valencia: Das Erbe der Mauren ist süß

Die Spanier lieben ihr Turrón. Das Beste kommt aus Manufakturen in der Region Valencia.

Marga, Maite, Mavi, Marieangeles und andere Fachfrauen fürs Süße stehen schwatzend Seite an Seite, pressen einen noch heißen Klumpen Mandeln in Honig und Eiweiß nach dem andern in eine Art Backring, drücken eine riesige Oblate obenauf, bis Juan mit der Schaufel drunterfährt und sie eine nach der andern auf ein Blech schichtet. Jetzt nur noch abwarten, bis sie fest sind: die dünnen „Tortas Turrón de Alicante“ in der Turronería von Primitivo Rovira in Jijona.

Das harte „Turrón de Alicante“ und auch das weiche „Turrón de Jijona“ sind herkunftsgeschützte Spezialitäten aus Jijona (Valencianisch: Xixona), 24 Kilometer nördlich von Alicante in der Region Valencia. Primitivo, Sohn Primi und Tochter Beatriz sowie ein Schwung Saisonarbeiter arbeiten den November und Dezember für das Lieblingsgebäck der Spanier durch. Turrón fehlt auf keinem bunten Teller.

Halva, Persischer Gaz, Weißer Nougat, Nougat aus Montélimar, Torrone aus Italien und Turrón aus Spanien. Ganz gleich ob krachhart oder gaumenweich – der immer etwas klebrige, jedoch köstliche Süßkram aus Zucker, Eiweiß und Honig mit Nüssen oder Mandeln hat unzählige Liebhaber und viele Namen. Bei uns ist er als Türkischer Honig bekannt. Rund um Jijona, das just mal 453 Meter über dem Meeresspiegel liegt, bedecken zartgrüne Pinien- und knorrige Steineichenwälder die Hügel und Berge. In den Tälern blühen im Februar die Mandelbäume. Nur die runden Marcona-Mandeln, die von August an geerntet werden, stecken im herkunftsgeschützten harten Turrón und finden gemahlen in der weichen Variante ihr Ende.

Das Urrezept sollen die Mauren mitgebracht haben

Jijona ist für sein Turrón berühmt. Und im Sommer für seine Eiscreme. Das Städtchen hat kaum mehr als 7000 Einwohner, einige Jugendstilhäuser und eine einzige kurze Hauptstraße. Dorthin, zur Turrón-Manufaktur von Primitivo führt so nah an Weihnachten der verräterische Duft gerösteter Mandeln, duftenden Orangenblütenhonigs und karamellisierten Zuckers. Primitivo ist der einzige Turrón-Fachmann, dessen Familienunternehmen seit 1850 in der Stadt geblieben ist. Die übrigen 30 Hersteller haben sich an die Peripherie verzogen, so wie der Spitzenreiter „El Lobo“, der Turrón auch mit Meersalz anbietet oder mit duftendem Zimt.

Das Urrezept noch ohne Zucker sollen die Mauren im Mittelalter mitgebracht haben. Lluis Garrigó hütet das angeschlossene Museum mit den alten Gerätschaften, die so oder so ähnlich nur noch bei Primitivo zu finden sind. Señor Garrigós ist in einem Alter, wo er das weiche Turrón bevorzugt, in dem die Mandeln zermahlen sind. Die harte Variante habe so ihre Tücken.

Jijona und seine Umgebung sind aber nicht nur wegen des Turrón eine Reise wert. Die vielen verlockenden Varianten machen am Ende das Schließen des Koffers wie auch des Hosenbundes zum Problem. Die feinen Restaurants servieren es schon mal mit Gänseleberpastete oder zum Hummer, und im Sommer schleckt man es aus den Eistüten. Hier in den Bergen gibt es weder Autostaus noch Bettenburgen, stattdessen herrliche Natur und echte vier Jahreszeiten. Im Winter kann richtig warm die Sonne scheinen oder Schnee alles überzuckern. Nachts liegt man mucksmäuschenstill, weil in der Pinie vorm offenen Schlafzimmerfenster ein Käuzchen ruft und ein anderes von Ferne antwortet. Tags sieht man die Adler kreisen.

25 000 Kilogramm Turrón in zwei Monaten

Zähe Masse. Turrón-Produktion bei Primitivo ist Männersache.
Zähe Masse. Turrón-Produktion bei Primitivo ist Männersache.

© Inge Ahrens

Wir fahren auf den 1024 Meter hohen Pass von Carragueta, der von einem dichten mediterranen Eichenwald umgeben ist, dem Naturpark El Carrascar de la Font Roja. Von hier aus könnte man gleich loswandern. Wer im Gasthaus Pou de la Neu einkehrt, der lernt gleich eines der historischen Eishäuser kennen, in denen man früher bis in den Sommer hinein den Schnee für die Kühlung von Lebensmitteln sammelte. Atemberaubend ist der weite Blick über Steineichen, Eschen und Ahorn hinweg auf das in der Ferne blitzende Mittelmeer. Sollen sie doch plappern, planschen und in der Sonne braten! Hier zwitschern die Vögel, und es duftet nach Pinien und Kräutern.

Alcoi kann man sehen, es ist nicht weit. Zu Recht rühmt es sich seiner vielen Jugendstilbauten und des gewaltigen, 1907 erbauten Viadukts. In der Confiteria El Tunel naschen wir vom hausgemachten „Turrón de Yema“, eine Art Marzipan mit Eigelb. Dann schlachten wir eine Mandarine, die Señora Gloria kandiert hat, genauso wie die Tomaten aus ihrem Garten und die reifen Feigen. Der Süßwarenladen von 1822 sieht aus wie eine Konfektschachtel. In Alcoi geht es besonders im Frühling hoch her, wenn das Fest der Mauren und Christen gefeiert wird. Vor Weihnachten ist es eher beschaulich. Auf der Plaça de Dins schlürfen wir einen café Bombón mit gezuckerter Kondensmilch, pellen eine der ersten Orangen und schauen staunend zwei alt gewordenen Zwillingsdamen nach, deren gleicher Einsteckfrisur die Zeit nichts anhaben konnte.

Señora Gloria in der Confiteria El Tunel
Señora Gloria in der Confiteria El Tunel

© Inge Ahrens

Zur Nacht steigen wir in der Landvilla La Mota ab, deren kleines Schild wir zufällig von Jijona kommend (N340/A213) auf dem Weg zum ehemaligen Santuario de la Font Roja entdeckt hatten. An diesem Kloster vertreten wir uns ein wenig die Beine im Wald, hin und wieder fällt ein Pinienzapfen. Den sieben Kilometer langen Rundweg zum Gipfel des Menejador auf 1352 Metern Höhe heben wir uns für später auf. Im La Mota beziehen wir eines der zwölf gemütlichen Zimmer und spazieren vor der Dämmerung vorbei am Gemüsegarten hinab ins Tal. In der Sierra de Mariola liegt das Landgut Masia el Altet. Dort werden soeben die Oliven geerntet, aus denen das gleichnamige, vielfach preisgekrönte Öl gewonnen wird.

Mit jedem Glockenschlag muss man eine Beere schlucken

So mangofarben wie der Abendhimmel, so rosenrot ist der Morgen hier im Naturschutzpark. Auf der anderen Talseite sehen wir auf einem Felsen am Hang das Haus eines längst verblichenen Poeten. Da werden wir morgen hinlaufen. Heute fahren wir ins Vinalopó-Tal, vorbei an der Spielzeugstädten Ibi, Castalla und an Onil, wo die spanische Barbiepuppe in den 1970er Jahren Nancy hieß und stramme Waden hatte. Vor allem aber wachsen nahe der Marmorstadt Novelda herkunftsgeschützte Tafeltrauben, die seit jeher in Papiertüten reifen. Das gibt ihnen eine ebenmäßige Farbe und schützt vor Regen. Die prallen Früchte schmecken köstlich.

Die Spanier vergnügen sich erst an Silvester mit ihnen. Mit jedem Glockenschlag zum Jahreswechsel muss nämlich eine Beere geschluckt werden. Das soll Glück bringen. Jetzt naht aber erst mal Weihnachten. Auf dem bunten Teller liegt natürlich das Turrón, aber auch Marzipan, kandierte Früchte, gezuckerte Mandeln, die hier Peladillas heißen, und allerlei Gebäck. In Jijona haben Kinder und Jugendliche das Spato-Gras geschnitten und zu Ruten gebunden. Am Heiligen Abend zünden sie es an und schwenken ihre Feuerruten auf den Plätzen der Stadt wie in einer Zirkusmanege.

Primitivo, Primi und Beatriz sind dann längst wieder in Pamplona. 25 000 Kilogramm Turrón haben sie in zwei Monaten zubereitet. Kommendes Jahr Ende Oktober kommen sie wieder. Primitivo hatte nämlich in den Norden geheiratet, seine Manufaktur in Jijona aber nie aufgegeben. Tradition ist schließlich Tradition. War doch sein Familienunternehmen schon 1890 Hoflieferant des spanischen Königshauses. Längst gibt es auch in Pamplona einen Turrón-Laden.

Für Paco Torreblanca, der vor zehn Jahren zur Hochzeit des spanischen Kronprinzen Felipe und seiner Letizia eine Schokoladentorte schuf, darf ein guter Turrón nicht zu süß sein. Der große Meister der kunstvollen spanischen Torten und Törtchen und Leiter einer Konditorenschule im Vinalopó-Tal macht natürlich sein eigenes Turrón. Das herkömmliche ist ihm viel zu süß. Für ihn soll es nach gerösteten Marcona-Mandeln, Orangen- oder Mandelblütenhonig und Gewürzen aus dem Morgenland schmecken. „Dann tut sich der Orient auf.“ Die Heiligen Drei Könige können also am 6. Januar kommen. Dann wird noch mal gefeiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false