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Alles auf einen Blick. Galata-Brücke, Hagia Sophia und Blaue Moschee. Doch Istanbul hat mehr zu bieten.

© Rene Timmermans/laif

Türkei: Palast der Mythen

Im Istanbuler Hotel Pera Palace schrieb Agatha Christie „Mord im Orient-Express“, Atatürk plante die Zukunft der Türkei. Stardesignerin Anouska Hempel verwandelte das Haus in einen Traum aus rotem Samt.

An Legenden wird gern gestrickt. Zum Beispiel soll Agatha Christie (1890–1976) in den 1930er Jahren im Istanbuler Hotel Pera Palace ihren Roman „Mord im Orient-Express“ geschrieben haben. Reisende können heute das Zimmer 411 nicht nur besichtigen, sondern sogar darin wohnen. Der etwas müde Charme des altmodischen Schlafraumes birgt neben einer historischen Schreibmaschine auch einen fest verschlossenen Glasschrank mit den meisten ihrer Kriminalromane. Lesestoff müsste der Gast also selbst mitbringen. Insbesondere zum 125. Geburtstag der erfolgreichsten Krimiautorin aller Zeiten (15. September 1890) lässt das Hotel den prominenten Gast von einst hochleben.

Wer vom eleganten Türsteher in Cut und Zylinder durch die Drehtür des Pera Palace bugsiert wird, steht unter festlich strahlenden Lüstern im samtig-sauerkirschroten Ambiente wie in der alten Welt. Eine breite marmorne Treppe führt bis hinauf in den Salon der Kuppeln, die einstmals zur Belüftung der Räume dienten.

Dort steht auf einem Mahagonitisch ein gewaltiges Blumengebinde aus zyklamroten Bartnelken, die in der Türkei den schönen Namen „Sanfter Jussuf“ tragen. Drum herum sind puppenklein und süß die Preziosen der hauseigenen Zuckerwerkstatt arrangiert. Tea Time de luxe am Bosporus. Was für ein Bild!

Hier möchte man sitzen oder nebenan in den Sofas der Bibliothek den Nachmittag verplempern. So viel Pracht, historisches Interieur und orientalisches Brimborium hat sonst niemand in Istanbul.

Eine Reminiszenz an die Anfangsjahre ist eine originale Sänfte

Sambaklänge auf der Terrasse. Dreivierteltakt in der Patisserie. Hochzeitstänze auf der Beletage. Wir lassen uns jedoch – auf einer mit Samt bezogenen Bank sitzend, die Füße im Teppichflor vergraben – vom zweitältesten Lift Europas nach oben zum Zimmer tragen. Vom Balkon aus blinzeln wir auf die sonnenbeschienene Wasserfläche des Goldenen Horns, und der Klangteppich des rauschenden Verkehrs von Galata bis hinauf nach Pera sorgt dafür, dass nicht allzu viel Romantik aufkommt.

Großes Entrée: Das Pera Palace ist stilvoll
Großes Entrée: Das Pera Palace ist stilvoll

© picture alliance

Das 1892 eröffnete Grandhotel musste ordentlich Federn lassen in all den Jahren. Es wechselte mehrmals den Eigentümer und war nach einem guten Jahrhundert doch recht abgeliebt. 2010 wurde es ganz und gar restauriert und schließlich wiedereröffnet. Im vergangenen Jahr legte die Stardesignerin Anouska Hempel noch einmal Hand an, erneuerte Kissen und Polster in Salons und Bar, aaste mit Samt und Moiré, putzte Rouge auf die Wände, ließ Stuccolustro auftragen und verwandelte die Patisserie in eine rosarote Glasmenagerie, in der die zierlichen Cupcakes und quietschrosa Macarons von Serviermädchen in altrosa Kleidchen feilgeboten werden.

Eine Reminiszenz an die Anfangsjahre ist eine originale Sänfte, in der die von Paris im Orient-Express herkommenden Gäste anno dunnemals im Galopp vom Sirkeci-Bahnhof auf der anderen Seite des Goldenen Horns bergan nach Pera zum Pera Palace getragen wurden. Schließlich war das Haus mal als Eisenbahnhotel gebaut worden. Zugfahren war Luxus um die Jahrhundertwende. Fortan traf sich die Welt im Pera Palace.

Wer will, kann auch heute noch mit dem eleganten Venice-Simplon-Orient-Express einmal im Jahr gen Istanbul reisen, bleibt aber wegen Bauarbeiten seit einiger Zeit in einem Vorstadtbahnhof stecken, noch bevor der Bosporus in Sicht ist.

Die kalifornische Hellseherin Tamara Rand hatte eine Vision

Wir spazieren über den verlassenen Bahnsteig von Sirkeci, gönnen uns einen türkischen Kaffee im Bahnhofsrestaurant und lassen die Engländerin Agatha Mary Clarissa Mallowan geschiedene Christie mitsamt ihren 66 Lebensromanen ruhen. Im Hotel verziehen wir uns in die Schmusepolster des Salons und wenden uns stattdessen dem neuen Buch von Charles King zu. „Mitternacht im Pera Palace“ heißt es.

Das klingt wie eine spannende Schmonzette, wär’ auch schön gewesen, erweist sich aber als exzellent und aufregend geschriebene Kulturgeschichte des Stadtteils Pera. Wer tiefer in die Endzeit des Osmanischen Reiches und die Gründung des modernen Istanbuls einsteigen möchte, dem sei das Buch empfohlen.

Im Mittelpunkt steht der Pera Palace, und natürlich kommt auch Agatha Christie vor: „Eine kalifornische Hellseherin namens Tamara Rand machte 1979 Furore, indem sie ihre Vision offenbarte, Agatha Christie habe im Zimmer 411 des Pera Palace ein tiefes Geheimnis hinterlassen … Im Zimmer fand sich allerdings nichts als ein alter Schlüssel, doch die Legende, Agatha Christie habe ihren ,Mord im Orient-Express‘ während des Aufenthaltes im Pera Palace geschrieben, gehört nach wie vor zu den bestgepflegten Mythen Istanbuls.“

Ernest Hemingway stieg hier als junger Reporter ab

Wie süß! Aus der hoteleigenen Patisserie droht immer eine Verlockung.
Wie süß! Aus der hoteleigenen Patisserie droht immer eine Verlockung.

© Inge Ahrens

In der Tat hat das Hotel eine stattliche Reihe von Berühmtheiten gesehen: Mustafa Kemal, der 1934 den Ehrennamen Atatürk bekam, ist hier ebenso abgestiegen wie Greta Garbo, die Göttliche, und Mata Hari. Oder eben Agatha Christie. Allen sind im Übernachtungspalast Zimmer gewidmet. Atatürk bekam sogar ein kleines Museum in einer Suite. Auch Ernest Hemingway ist als Gast aktenkundig. Als junger Reporter beschrieb er Istanbuls Aufbruch zur Weltstadt und die damit verbundenen Turbulenzen. Der Sultan und sein Kalifat und mit ihm die Regeln der Institutionen, die den islamischen Staat verkörperten, waren da bereits Geschichte.

Im Pera Palace schleuste sich halb Europa durch die Drehtür. Istanbul hieß bis Anfang der dreißiger Jahre noch Konstantinopel, und der deutsche Kaiser wurde mit Sultan Abdulhamid II. über den Bau der Bagdadbahn einig. Sowohl der klassizistische Bahnhof Haydarpasa auf der asiatischen Seite der Stadt, wo die Reisenden des Orient-Expresses ihre Fahrt in den Osten fortsetzen konnten, als auch der in einer Mischung aus Jugendstil und Orientverliebtheit gestaltete Bahnhof Sirkeci wurden von deutschen Architekten gebaut. Agatha Christie machte Zwischenhalt in Istanbul, wenn sie ihrem als Archäologe tätigen Mann Max in den Orient folgte.

Pera war noch vor Jahren dem Verfall preisgegeben

Wir spazieren durch den Bezirk Beyoglu, in dem auch der Stadtteil Pera liegt. Auf dem Weg zur unterirdischen Seilbahn Tünel finden wir die Bauten des französischstämmigen Architekten Alexandre Vallaury, der auch für unser Hotel verantwortlich zeichnete.

Pera, das noch vor Jahren dem Verfall preisgegeben schien, ist jetzt frisch und jung. Überall entstehen Restaurants und Clubs, kleine Geschäfte und neue Hotelpaläste in alten Gemäuern. Mehrere Passagen führen gegenüber dem Hotel auf die einstige Grand Rue, die heute Istiklal Caddesi heißt und die belebteste Straße der Metropole ist. Drei Kilometer lang zieht sie sich vom Tünel-Platz bis zum Taksim. Dort fährt noch die historische Straßenbahn, und gen Nachmittag schieben sich Massen junger Menschen hindurch.

Auch hier hat das Abreißen und Neu-Bauen zugenommen, und manches Jugendstilhaus musste weichen. Wie etwa das hinreißende 20er-Jahre-Café Inci, in dem es köstliche Profiteroles gab. In eine Nebenstraße verdrängt, ist es heute nur noch ein Abziehbild seiner alten Schönheit.

Wir schauen uns die römisch-katholische Basilika des heiligen Antonios an und folgen dann steilabwärts einer Gasse, die zu Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“ führt. Das ist eine Art Kunstinstallation gelebten Lebens, passend zu seinem gleichnamigen Buch und Film.

Ilhan Gencer ist eine Legende wie das Pera Palace

In den Seitenstraßen stöbern wir in Trödelläden und landen gleich im nächsten Café, wo schwarzer Tee mit knisterndem warmen Baklava serviert wird. Allein der Stadtteil Beyoglu ist eine Istanbul-Reise wert. Karaköy, auch ein Stadtteil Beyoglus, entwickelt sich rasant zum Szenetreff. Dort sitzen wir auf dem Dach des Conceptstores Sahi, löffeln schneeweißes Auberginenmus und schauen über das Moderne Museum den vorbeifahrenden Schiffen auf dem Bosporus zu.

Bevor wir in unseren Hotelpalast zurückkehren, besuchen wir noch das Pera-Museum, freuen uns an den Gemälden aus osmanischer Zeit und finden in der Dauerausstellung über Kaffee bestätigt, dass die Türken den schwarzen Trank längst kannten, als im 14. Jahrhundert die Händler aus Genua und Venedig kamen und ihn für sich entdeckten.

Tea Time im Palace. Mit Samt und Rouge wurde im Pera nicht gegeizt.
Tea Time im Palace. Mit Samt und Rouge wurde im Pera nicht gegeizt.

© promo

Auf der Terrasse des Pera Palace hat sich inzwischen die Sonne verzogen und ein kalter Nordwind fegt über die Tische. Drinnen im Salon ist es kuschlig warm. Die Zeiger der Zeit scheinen auf null oder auf das Jahr 1920 zu zeigen.

Ilhan Gencer, zierlich und 89 Jahre alt, sitzt im cremeweißen Dinnerjacket mit dunkler Brille am Piano. Auf dem liegt eine weiße Rose. Ilhan Gencer singt „As time goes bye“ – nahezu unvermeidlich als musikalische Untermalung in Hotelsalons. Seine auf Hochglanz polierten schwarzen, spitzen Schuhe wippen unternehmungslustig. Gencer ist der wohl berühmteste Jazzmusiker der Türkei. Ein Ausbund an Charme. Und ein Vollblutmusiker. Obwohl er seit den fünfziger Jahren im Pera Palace spielt. Alle hat er sie kommen und gehen sehen. Und er ist immer noch da. Genau wie der Pera Palace. Legenden sind inzwischen beide.

Tipps für Istanbul: Speisen wie im Orient-Express

Happy Birthday! Im Pera Palace wird der 125. Geburtstag von Agatha Christie gefeiert.
Happy Birthday! Im Pera Palace wird der 125. Geburtstag von Agatha Christie gefeiert.

© picture alliance

ANREISE

Ab Berlin-Tegel täglich nonstop mit Turkish Airlines (ab 206 Euro) nach Istanbul-Atatürk; oder an bestimmten Flugtagen mit Germanwings (ab 140 Euro); deren Maschinen landen jedoch wie die von Pegasus Airlines (ab 190 Euro ab Schönefeld) am Sabiha-Gökcen-Airport auf Istanbuls asiatischer Seite. Taxitransfer von Atatürk ab 35 Euro, Transfer von Sabiha Gökcen ab 65 Euro.

UNTERKUNFT

Das Hotel Pera Palace gehört zur Jumeirah-Gruppe und liegt im historischen Zentrum (Internet: jumeirah.com, Telefon: 00 90 / 212 / 377 40 00); ein Zimmer für zwei Erwachsene und ein Kind unter zwölf Jahren kostet ab 215 Euro pro Nacht.

Die „Travel in Time with Agatha Christie“-Pauschale ist bis zum 15. Dezember buchbar über den Veranstalter FTI (Telefon: 089/25 25 10 99). Sie beinhaltet zwei Nächte im Pera Palace, zwei Personen zahlen 473 Euro pro Nacht im Agatha-Christie-Zimmer, Dinner für zwei, Frühstück, geführte Touren auf Agathas Spuren, einen AC-Krimi und mehr.

SPEISEN

Orient-Express-Restaurant (seit 1890) im Kopfbahnhof Sirkeci, wo der Orient-Express noch heute ankommt.

SEHENSWERT

Pera Museum: orientalische Gemälde, Fotos und aktuell eine Ausstellung über Kaffeekultur

Orhan Pamuks Museum der Unschuld, Beyoglu

Istanbul Modern, Museum für zeitgenössisches Kunst, Karaköy

AUSKUNFT

Verkehrsamt von Istanbul

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