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Fasnet: Winnetou und der Waldgeist

Beschützte Tradition: Die Fasnet im oberschwäbischen Bad Waldsee ist mehr als bunte Maskerade.

Zwei rote und blaue Streifen durchziehen die Wangen von Winnetou, von der Nase bis zu den Ohren. Der dritte Streifen läuft an jedem Auge senkrecht nach unten. Ein Rinnsal, das mit einer Träne auf Höhe der Mundwinkel endet. Ein Waldgeist hat sich zu Winnetou gebeugt, eine Gestalt mit grimmigen Gesichtszügen und einer wallenden Mähne aus sechs zusammengenähten Waschbärenfellen. Winnetou ist erst drei Jahre alt und sitzt am Straßenrand im Kinderwagen, Das Kind weiß nicht, dass er ein Maisenhardt Joggele vor sich hat, die Traditionsmaske der Narrenzunft Bad Säckingen. Winnetou lacht erst wieder, als sich ein Schellenhansel aus Haslach im Kinzigtal zu ihm kniet. Der hat eine Maske, die fröhlich grinst.

Es gab ja genügend zu sehen am vergangenen Sonntag in Bad Waldsee. 13 000 Masken aus 69 Narrenzünften zogen vier Stunden lang durch die hübsche Kurstadt in Oberschwaben, 25 000 Zuschauer verfolgten das Treffen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Der Höhepunkt der traditionellen Fastnacht in Südwestdeutschland. Nur alle vier Jahre treffen sich alle Zünfte zum gemeinsamen Umzug.

Die Narrenzunft Bad Waldsee hatte sich beworben, sie hatte den Zuschlag bekommen, so kann man es nüchtern sehen. Narrentreffen in Bad Waldsee, in diesem Bild steckt auch viel Symbolik. Der Fasching in Bad Waldsee, in der Gegend sagen sie: Fasnet, gilt auch innerhalb der Narrenvereinigung als etwas Besonderes. „Wir sind die größte Zunft der Vereinigung“, sagt Franz Daiber. 2600 Mitglieder gibt es, 2500 Masken sind registriert. Daiber ist ein Mann mit tiefer Stimme und einem fein gezwirbelten Bart, wie ihn die drei Musketiere trugen. Er war der Cheforganisator des Narrentreffens, seit zehn Jahren führt er die Narrenzunft Bad Waldsee als Zunftmeister. Jetzt sitzt er, wenige Tage nach dem Narrentreffen, in seiner Wohnung zwei Etagen über seinem Friseursalon und sagt: „Wir haben eine extreme Verwurzelung mit der Bevölkerung und eine faszinierende Zweiteilung. Das unterscheidet uns von anderen Zünften.“

Zweiteilung, das Schlüsselwort. Die historischen Elemente sind der Kern der Waldseer Fasnet. Fünf traditionelle Masken besitzt die Narrenzunft, von der grimmigen Hexe, Schrättele genannt, bis zum fröhlichen Faselhannes, der schwere Glockengurte mit sich schleppt. Die Masken stehen für den ursprünglichen Gedanken der Fasnet oder jedenfalls das, was die Masse für historisch hält: unter anderem das Austreiben des Winters. Die wahren historischen Ursprünge sind fast nicht zu erforschen. Fest steht aber, dass das Fasnetsvergraben, das feierliche Ende der närrischen Zeit, erstmals 1775 stattfand. Und bis heute ist das Ritual unverändert.

Aber dann, sagt Daiber, „sind da noch die närrischen Gruppen“. Die haben sich entweder vor Jahren gebildet oder entstehen spontan am Abend vor Fasnetsbeginn. Sie kostümieren sich, wie's ihnen gefällt, und sie attackieren in Gedichten oder Liedern Lokalpolitik und örtliche Promis, ironisch, charmant, brutal. Daiber spielt selbst in so einer Gruppe, der „Mordscomeadia“. Allein am Faschingsmontag kommen etwa 8000 Touristen zum Umzug. Die Fasnet ist eine große PR-Nummer.

Nur von den Diskussionen hinter den Kulissen bekommen Touristen und Kurgäste nichts mit. Von den Debatten zwischen Traditionalisten und Menschen wie Daiber. Von zwei „Strömungen“ redet der Zunftmeister. Er sieht die kreativen Gruppen und die Masken auf Augenhöhe. „Das ist ein Ventil für Menschen, die etwas gestalten wollen. Und ich finde das gut so.“ Was ist denn die Alternative? „Ich finde es gefährlich, wenn Fasnet einen musealen Charakter erhält.“ Aber es gibt auch Leute, die närrische Gruppen als Beiwerk betrachten. Es ist kein Glaubenskrieg, die Mehrheit betrachtet beide Gruppierungen sowieso als gleichwertig, aber es ist ein Diskussionspunkt.

Die demographische Entwicklung ist ein anderer. „Wir müssen die neu zugezogenen Einwohner zur Fasnet bringen“, sagt der Zunftmeister. „Sonst wird das ein schleichender Prozess der Überalterung.“ Also sorgt man für diesen Zugang. In den Kindergärten zum Beispiel. „Die Kinder dekorieren ihre Räume“, sagt Daiber. Eine überaus respektierte Gruppe leistet da ebenfalls Aufbauarbeit: das Sammlervölkle. Deren Mitglieder ziehen von Haus zu Haus und sammeln Geld, um damit den Kinderball auszurichten. Dass ihre Musiker eine bemerkenswerte künstlerische Freiheit pflegen, gehört zur Folklore.

Um die reine Attraktivität der Fasnet muss sich Daiber im Moment jedoch keine Sorgen machen. Nach dem Narrentreffen erhielt er E-Mails aus aller Welt, ausnahmslos Lob. Alle Absender hatten es über Satellit im Fernsehen gesehen. Ein gebürtiger Waldseer schrieb, er sei als Zweijähriger mit den Eltern nach Neuseeland ausgewandert, doch „jetzt komme ich zur Fasnet in meine Geburtsstadt“.

Auskunft: Kurverwaltung, Ravensburger Straße 3, 88339 Bad Waldsee; Telefon: 075 24 / 94 13 42

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