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Für Ordnung in Oulu sorgt der „Marktpolizist“. In der beschaulichen nordfinnischen Stadt sieht man seine leibhaftigen Kollegen allerdings selten.

© gws

Finnland: Wetten auf des Teufels Nichte

Das nordfinnische Oulu ist ein Kuriosum – dort weht Erfindergeist bei gleichzeitigem Hang zu Spaßveranstaltungen.

Wie hätten wir es ahnen sollen? Der Mann sieht ganz harmlos aus, gleicht einem liebenswürdigen Waldschrat. Ein vom Wetter gegerbtes Gesicht mit Lachfalten, nahezu komplett versteckt zwischen schlappem Filzhut und wildem Zauselbart – fast möchte man meinen, hier in den finnischen Wäldern sei einem der Urenkel von Karl Mays Sam Hawkins über den Weg gelaufen. Und dann noch der Name: Susi. Bitte, da denkt doch niemand an etwas Böses. Zudem er auch keine Donnerbüchse bei sich trägt. Am Gürtel einen Finndolch, gewiss. Doch das gehört hier zur Folklore und ist ja auch manchmal nützlich in der Natur. Allerdings: Susi besitzt ein Rudel Huskys. Freundliche Tiere an sich. Allein, Susi hat Besonderes mit ihnen und den Touristen vor, die völlig arglos vom nahen Oulu in den Rokua Nationalpark gekommen sind. Doch der Reihe nach.

Bevor wir in der Wildnis in die Fänge von Susi geraten, erkunden wir Oulu. Die sechstgrößte Stadt Finnlands liegt am nördlichen Ende des Bottnischen Meerbusens und hat einen gewissen Ruf. Keinen schlechten, das sei gleich gesagt. Angesichts der Tatsache, dass dort in der Nähe just am heutigen Wochenende die Tiefschnee-Fußballweltmeisterschaft mit 50 Mannschaften stattfindet, macht jedoch deutlich, wie es vordergründig um das Image von Oulu bestellt ist. Gut, Saunabausatz-Zusammenbau-WM, Handyweitwurf- und Beerenschnellpflückmeisterschaft finden anderswo in Finnland statt. Doch das Kultereignis schlechthin, die Luftgitarren-WM, reklamiert Oulu seit 17 Jahren für sich. Die spinnen, die Finnen! Möchte man meinen. Allerdings weht durch Oulu auch ein Erfindergeist, der über das Ersinnen schräger Spektakel hinausgeht.

Hundezüchter Susi und sein lauffreudiger Husky.
Hundezüchter Susi und sein lauffreudiger Husky.

© gws

Finnlands IT-Industrie mit Nokia an der Spitze gibt in Oulu den Ton an, gefüttert von der nach Helsinki zweitgrößten Universität des Landes sowie einer technischen Fachhochschule. Und die 140 000 Einwohner des „Silicon Valley des Nordens“ werden – ganz konsequent – von einem flächendeckenden W-Lan- Teppich umhüllt. Ein Zustand, den der nichts ahnende Reisende gleich am Flughafen bemerkt. Kein geschäftiges Treiben wie anderswo an Verkehrsknotenpunkten üblich, obwohl Oulu der am zweitmeisten frequentierte Airport des Landes ist. Hier sitzt jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, wahlweise mit Kopfhörern auf den Ohren, still über ein Gerät gebeugt, um im Internet reisend zu warten. Vermutlich nur, weil es vorhanden, kostenfrei und sonst nicht viel Zerstreuung am Flughafen zu finden ist.

Im Städtchen selbst bietet sich dann doch ein anderes Bild. Wir haben Glück. Die Sonne lacht, es herrschen 15 Grad. Uns fröstelt zwar an diesen Tagen im späten August ein wenig. Doch für die Einheimischen, die es sich meist hemdsärmelig in den rustikalen Freiluftkneipen und -restaurants am Hafen gemütlich machen, sind es offenbar wahre Hundstage bei dieser Temperatur. Und wären da nicht die Preisschilder mit unaussprechlichen Schriftzügen an den Marktständen mit Fisch, Waldfrüchten, Kartoffeln – man möchte auch angesichts der ocker- und ochsenblutfarbenen Holzhäuser meinen, es habe einen nach Alaska verschlagen.

„Make Air not War“

Für heiße Luft sorgt der Air-Guitar-Weltmeister „Nordic Thunder“ aus Chicago.
Für heiße Luft sorgt der Air-Guitar-Weltmeister „Nordic Thunder“ aus Chicago.

© gws

Es kreischt, dröhnt und brummt von der nahen Innenstadt her. Soundcheck in der Fußgängerzone Rotuaari, die gespickt ist mit putzigen Boutiquen, Cafés, Restaurants und Kneipen. Die Stadt fiebert dem Finale der Luftgitarren-Weltmeisterschaft entgegen, die an diesem Abend mit dem letzten Akt gar nicht lautlos über die Bühne gehen soll. Erwartungsfroh pirscht vor allem die Jugend um den Aufbau in der autofreien Zone. Erste Wetten werden abgeschlossen.

Der 15-jährige Matti wirkt unentschlossen. Dem finnischen Teilnehmer, dessen Namen er nicht mal kennt, traut er nicht viel zu, obwohl der es ins Finale der besten 18 geschafft hat. Matti glaubt sich schließlich auf der sicheren Seite, wenn er auf die Titelverteidigerin setzt. Die heißt Aline Westphal, kommt aus Hildesheim und hatte vor Jahresfrist bei dem Spaßwettbewerb als „The Devil’s Niece“ (Nichte des Teufels) die Konkurrenz mit ihrem furiosen 60-Sekunden-Auftritt in Grund und Boden geklampft.

Am Abend ist der Platz um die Bühne gesteckt voll. Die angrenzenden Kneipen nicht minder. Obwohl – es wird schmerzhaft registriert – das schlichte Bier schlankweg doppelt so teuer ist wie in der gehobeneren Berliner Gastronomie. Pausenlos imitieren die Musiker ohne Instrument ihre Gitarrensoli zu Rock- und Heavy-Metal-Klängen, zerreißen sich nahezu auf der Bühne, um nicht allein durch schrille Outfits die Jury überzeugen zu müssen. Die fünf Weisen urteilen nach nicht nachvollziehbaren Kriterien, verteilen scheinbar wahllos Punkte – und küren überraschend nach drei Stunden doch einen verdienten Sieger.

Den muss keiner kennen, doch der Ordnung halber sei es gesagt: Er heißt Justin Howard, kommt aus Chicago und tritt barfuß in Lederweste und Lendenschurz als „Nordic Thunder“ auf. Zum Schluss wird ihm unter dem tosenden Jubel der friedvollen Menge die Siegprämie überreicht – eine E-Gitarre. „Ich kann auch darauf spielen!“, ruft der Wikinger aus Illinois von der Bühne herab. Wer hätte es gedacht. Fußnote: Die Teufelsnichte aus Hildesheim schwächelte, landet auf dem achten Platz.

Der Zweck der Luftgitarren-WM sei die Förderung des Weltfriedens, schreiben die Veranstalter auf ihrer Webseite. „Make Air not War“ lautet ihr Motto, und sie sind überzeugt: „Kriege enden, der Klimawandel hört auf und alle bösen Dinge werden verschwinden, wenn alle Menschen auf der Welt Luftgitarre spielen.“ Also bitte, so eine Luftgitarre kann schließlich jeder schnell basteln.

Touristen an der Leine

Lagerschuppen zu Kneipen. Ein Idyll am Hafen von Oulu.
Lagerschuppen zu Kneipen. Ein Idyll am Hafen von Oulu.

© M. Kainulainen, Picture Alliance

Nun aber Ruhe! Nach dieser Dröhnung schreit der Kopf geradezu nach stiller Natur. Doch wohin? Zum Strand, schlägt einer vor. Doch zu welchem? Schließlich liegt Oulu am Meer, da besteht die Qual der Wahl. Wir entscheiden uns für den in Nallikari und sind überrascht. Breit, sehr breit ist er. Kilometerlang zieht er sich zwar nicht, doch immerhin hat er richtig schönen weißen Sand zu bieten. Das Meer? Klar und kalt. Hallo? Es ist August. Kein Wunder, dass kaum ein Mensch zu sehen ist. „Jaja, auch wir Finnen fliegen gern im Sommerurlaub in den Süden“, sagt Janne Soini, Tourismusmanager in Oulu. „Meist baden hier nur die Norweger, die aus dem hohen Norden kommen. Bei uns finden die sozusagen den ihnen nächstgelegenen Strand am Meer.“

Fast noch ruhiger wird es nach kurzer Fahrt im Rokua Nationalpark, der zum weltweiten Verbund der sogenannten Geoparks gehört, in denen Erdgeschichte erlebbar gemacht und hier in einem Besucherzentrum anschaulich erklärt wird. Ja, angenehm still könnte es sein, wenn hier nicht Jukka Susi (auf Finnisch „Wolf“) Nordman mit seinen Huskys wartete. Nun wollen wir nicht ungerecht sein, die tollen Hunde machen bei Weitem nicht so einen Radau, wie man es von Husky-Farmen vor der Fütterung kennt.

Und los geht’s. Beim „Husky Hiking“ führt das Tier den Menschen flott durchs Gelände.
Und los geht’s. Beim „Husky Hiking“ führt das Tier den Menschen flott durchs Gelände.

© gws

Susi und seine rechte Hand Julius Kuusisaari müssen ihren Tieren natürlich auch in der schneelosen Zeit etwas bieten, um sie für Schlittentouren im Winter fit zu machen. Da kommen Touristen gerade recht. Susi hat für sich und seine Tiere das „Husky Hiking“ erfunden. Nun könnte man meinen, es handele sich um das Wandern durch Feld und Flur mit einem braven Hund an der Leine. Eher umgekehrt wird ein Schuh draus. Der Hund nimmt den Mensch ins Geschirr. Und da Huskys für ihre unbändige Freude am Laufen bekannt sind, schleudert der angeleinte Hiker gewissermaßen hinter dem Hund her, der auf wundersame Weise weiß, wo er zu laufen hat.

Gut, wir wollen nicht übertreiben. Es ist durchaus möglich, die von Susi ausgesuchten Tiere im Zaum zu halten. Dann geht es zwar immer noch recht flott durchs Gelände, allerdings auch mühelos Steigungen hinauf. Die Gefahr, beim Abwärtslaufen den Hund zu überrollen, besteht jedoch nicht ...

Die eiszeitlichen Kammformationen und Heidewälder im Ruoka, wo riesige Flächen mit der schneeweißen „Rentierflechte“ bedeckt sind, eignen sich übrigens auch für Wanderungen ohne Hund. Doch auch das hat seine Tücken. Denn während Husky-Hiker in ihrem Rausch Steinpilze, Täublinge und Beeren vielerlei Art bestenfalls aus den Augenwinkeln verwischt wahrnehmen, kommen nicht angeleinte Wanderer kaum von der Stelle. Es gibt einfach zu viel zu sammeln.

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