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Stein auf Stein. In der verschachtelten Altstadt von Antibes verbirgt sich ein Labyrinth aus Gassen. In der Sommersaison wird’s hier eng.

© Franck Guiziou/laif

Frankreich: Alle Zeit für Picasso

Der Winter an der Côte d’ Azur ist mild. Dazu gibt’s köstliche Menüs und viel Platz in den Museen.

Grauer Himmel oder eisige Kälte? Fehlanzeige. Licht und Farben, Sonne und milde Temperaturen! Nur eineinhalb Flugstunden entfernt, an der östlichen Côte d'Azur, wo Berge und See ein ganz besonderes Mikroklima schaffen, kann man den deutschen Winter hinter sich lassen.

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wählten reiche Engländer die Region, um der feucht-kalten Jahreszeit auf ihrer Insel zu entkommen. Wunder konnte diese Flucht indes nicht bewirken. Der Arzt Tobias Smollett hatte in seinen Schriften das Überwintern an der französischen Riviera ausdrücklich auch Tuberkulose-Kranken empfohlen. Das Ergebnis lässt sich an den romantischen Grabsteinen des Friedhofs in Menton ablesen. Über Altstadt und Meer liegt dieses Prachtstück von Cimetìere, wo Menschen aus Skandinavien und Deutschland, Russland und Großbritannien schon in jungen Jahren zur ewigen Ruhe gebettet wurden. „Das feucht-warme Klima hier bei uns hat den Ärmsten schnell den Todesstoß versetzt“, sagt Kunsthistoriker Michel Imbert, der uns durch das faszinierende Labyrinth der Gassen geführt hat.

Gegen das herkömmliche Leiden an der Kälte, ganz besonders den großen Winterblues, hilft das Rezept blaue See plus grüne Natur ohne Frostgrade jedoch garantiert. Zumal nach vielen Generationen von Wintergästen ein reichhaltiges Kulturangebot hinzukommt. Maler hat seit jeher das leuchtende Licht angezogen, und so finden sich heute zahlreiche erstklassige Kunstmuseen an der Küste – die man in der Ruhe der Nachsaison entspannt besuchen kann. In den Altstädten tummeln sich fast nur Einheimische, und so manches Hotel, das für den Durchschnittsgast im Sommer unerschwinglich wäre, bietet günstige Konditionen. Ganz zu schweigen davon, dass die Gäste sich perfekt sportlich betätigen können: Mountainbike-Fahrten durchs Gebirge oder Wandertouren machen bei zehn Grad einfach mehr Spaß als bei 30.

1882 hatte auch Queen Victoria Menton als Winterquartier erwählt. Nach drei Jahren jedoch siedelte die britische Monarchin für die kalte Jahreszeit nach Nizza über. Michel Imbert: „Nach Menton musste sie über Monaco anreisen, wo ihr Sohn Edward schon viel Geld am Roulette-Tisch gelassen hatte. Das wollte sie nicht mehr.“

Nizza also. Eine königliche Stadt für die Königin – und etliche andere gut situierte Wintergäste. Die Queen logierte hoch über dem Meer, die meisten ihrer Landsleute besaßen Villen direkt an der Strandpromenade – die konsequenterweise bis heute „Promenade des Anglais“ heißt. Die Stadt hat bedeutende Museen, ist voll farbenprächtiger russischer Kirchen, barocker Paläste, architektonischer Juwelen aus der Belle Epoque, aus Jugendstil und Art Deco. Leider heute jedoch auch voller Autos; der ehemalige Prachtboulevard ist zu einer Straße verkommen, auf der Tag und Nacht der Verkehr entlangrauscht, so dass man sich fragt, wie die Leute den Strand direkt dahinter genießen können.

In la Napoule wurde der erste Golfplatz an der Küste eröffnet

Einladend in Antibes.
Einladend in Antibes.

© Beate Baum

Da würden wir doch Menton vorziehen. Zumal das Städtchen an der Grenze zu Italien neben Klima und Architektur auch mit zwei Museen punktet: Dem im November 2011 eröffneten Musée Jean Cocteau sowie dem des Beaux Arts in der verwunschenen Villa Palais Carnolès inmitten eines Parks, in dem die ältesten Orangenbäume der Region stehen.

Auch die Halbinsel Antibes hat sich den Charme erhalten, der einst vor allem Amerikaner wie den Musical-Komponisten Cole Porter und das Ehepaar Fitzgerald anzog. In dem kleinen Ort Golfe-Juan sitzt man in Cafés und Restaurants direkt am Strand, und die Straße dahinter ist tatsächlich noch eine Promenade. Auch in Juan-les-Pins, wo die Straßen nach berühmten Musikern benannt sind und alljährlich im Juli ein Jazzfestival stattfindet, zu dem die Größten der Welt anreisen, ist die Stimmung im Winter sehr entspannt.

Direkt am Cap d'Antibes steht nicht nur das Château de la Croe, das ehemals jenem dem Spiel zugetanen Briten Edward gehörte, sondern auch das „Hotel du Cap“, in dem F. S. Fitzgerald „Zärtlich ist die Nacht“ ansiedelte. Das Anwesen Eilenroc schließlich, eine prachtvolle Belle- Epoque-Villa inmitten eines riesigen, sich bis zum Meer erstreckenden Parks, ist heute Eigentum der Stadt und kann besichtigt werden. Wer von dort aus auf dem Küstenwanderweg – einem alten Schmugglerpfad – die drei Kilometer zum Ort Antibes zurücklegt, wird belohnt mit dem blauesten Blau von See und Himmel, wildromantischer Natur sowie einem grandiosen Panoramablick auf die Alpen.

Hat man Antibes erreicht, ruht man sich bei einem Café au lait in der verkehrsfreien Altstadt aus oder setzt sich an die alte Kaimauer am Strand, wo man auch bei kühleren Temperaturen Sonnenstrahlen einfangen kann. Frisch gestärkt geht es auf den die Sinne betörenden Wochenmarkt oder in das Picasso-Museum im Grimaldi-Stadtschloss, wo der Maler 1946 einige Monate lebte und arbeitete.

Auch in La Napoule hielt der Meister sich auf, ebenso wie Salvador Dalí zu Gast in dem Schloss direkt am Wasser, das das amerikanische Künstlerpaar Henry und Marie Clews Anfang des 20. Jahrhunderts restaurierten. La Napoule, sechs Kilometer östlich von Cannes gelegen, ist bis heute ein Geheimtipp der Côte d'Azur geblieben. Dort, wo 1881 der erste Golfplatz der Region zum Abschlag lud – in dessen Clubhaus die Gäste von César Ritz bekocht wurden – , wo die Schriftsteller Guy de Maupassant und Oscar Wilde Eindrücke sammelten und die junge Romy Schneider zu Gast in Charles Aznavours Ferienhaus direkt neben dem Château war, dorthin stehlen sich heutige Filmleute vom Festival in Cannes, um im Restaurant „Oasis“ fernab des Rummels einen Abend mit Sterne-Essen zu verbringen.

Normalsterbliche gehen ins Bistro des Hauses, wo die schmackhafte Kost erschwinglich ist. Und sinnieren bei den Kreationen von Stéphane Raimbault über das Leben der Clews, wie man es beim Besuch von Schloss samt Parkanlage kennengelernt hat, nach oder freuen sich auf den nächsten milden Wintertag am Strand oder am Yachthafen, auf dem mit Platanen bestandenen Dorfplatz oder am Ufer des Flusses Siagne.

Beate Baum

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