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Frankreich: Schlemmen im Zweistromland

Zwischen den Flüssen Vézère und Dordogne im Périgord finden Frankreich-Urlauber ganz besondere kulinarische Genüsse.

Von einem Felsplateau schaut ein Mann auf das Städtchen Les Eyzies-de-Tayac hinab. Er betrachtet Scharen von Menschen. Sie betreten unzureichend geschützte Höhlen, in denen sie kleine runde Scheiben gegen seltsame Gegenstände tauschen: bunte Karten, auf die sie Zeichen malen, in massiven Behältnissen versteckte Gänseleber und Entenbeine, versteinerte Schnecken und Pflanzen. Einige nippen an diesem kühlen Tag an dampfenden Schalen. Andere paddeln den Fluss hinab. Den Mann berührt das Treiben wenig. Er hat schon ganz anderes gesehen. Schließlich treiben sich seit Jahrtausenden da unten Menschen herum.

Die Felswand, die der steinerne Neandertaler bewacht, war mit ihren Terrassen und Höhlen bereits während der zweiten Eiszeit bewohnt. Im Roque Saint-Christophe, der sich ein paar Kilometer weiter gleich über dem Fluss erhebt, lebten von den Tagen des Neandertalers bis ins 16. Jahrhundert Menschen auf fünf Etagen wie in einem Hochhaus. Fluss, Wind und Wetter hatten Zimmer und sogar Schränke aus dem Stein geformt, im Mittelalter hing eine regelrechte Stadt im Felsen. Sie hängt immer noch; allerdings nur für Besucher, und auch für sie erst wieder, wenn das kürzlich durch ein Feuer zerstörte Besucherzentrum instandgesetzt ist.

Was auch geschah, im Tal der Vézère ging das Leben weiter. Denn das war schon damals nicht nur schön, wild und grün. Es herrschte dort auch ein mildes Klima. Das ist noch immer so. Die Frühlingssonne wärmt im März, und wenn die Herbstsonne die Nebelschwaden aus dem Flusstal vertrieben hat, kehrt mittags der Sommer zurück.

Doch gutes Wetter hat in diesem Teil Frankreichs keinen Seltenheitswert. Es vermochte auch die Bevölkerung nicht im Périgord zu halten: Ganze Dörfer blieben nach der Landflucht der 60er und 70er Jahre verwaist zurück. Die Landwirtschaft war mühsam, und reich wurde man damit schon gar nicht. Die Menschen zogen in die Städte, die alten Bauernhöfe aus Kalkstein, dessen Goldton noch in tristem Regen die Illusion von Sonnenstrahlen auf dem Mauerwerk weckt, verfielen.

Heute reut es manchen Urlauber, nicht ein paar Jahre früher vorbeigeschaut und sich gleich ein malerisches Gehöft unter den Nagel gerissen zu haben. Das haben, wie so oft im Leben, andere getan: Briten und Niederländer und sonstige Menschen mit Weitblick, die nun auf ihren restaurierten Veranden zwischen Lavendel- und Rosmarinbüschen sitzen und zu Cabecous, kleinen runden Ziegenkäsen, Wein trinken. Zwar liegen die Immobilienpreise im Zweistromland zwischen Vézère und Dordogne noch immer erheblich unter denen der Côte d’Azur. Im Lauf von 20 Jahren haben sie sich dennoch mit der Dynamik eines Space Shuttle beim Start entwickelt.

Ein paar hundert Meter flussaufwärts des Felsenhochhauses hat sich bei dem aus zwei Schlössern und einem entzückenden Kirchlein aus dem 12. Jahrhundert bestehenden Saint-Léon-sur-Vézère eine niederländische Familie niedergelassen, um ihren Aussteigertraum mit Touristen zu teilen. Und zwar nicht in einem kuscheligen kleinen Hotel mit gehobener Gastronomie. Wim und Fien Kusters erwarben vor 40 Jahren eine Wiese mit sieben Bäumen darauf. Damals mochten sie als echte Pioniere, in den Augen der Einheimischen womöglich als Verrückte gelten, als sie am Ufer der Vézère einen Campingplatz anlegten.

Die ersten Winter waren klamm und entbehrungsreich, und gerne nahm man barmherzige Essenseinladungen benachbarter Bauern an. Deren Land kaufte das Paar später, als immer mehr Urlauber den Weg in das verwunschene Tal fanden, nach und nach hinzu. Im Lauf der Jahre schufen die Kusters eine Art botanischen Garten, der den Namen „Le Paradis“ nicht zu Unrecht trägt: Bananenstauden, Rizinusbäume (auch Wunderbäume genannt), Malven und Palmen tauchen am Morgen aus den Nebelschwaden; dazwischen stehen die Wohnmobile jener Reisenden, für die der Urlaub erst komplett ist, wenn sie den heimischen Haushalt vom Teeservice bis zur Satellitenschüssel nachgebaut haben.

Der Platz wurde größer, die Familie auch, die am Fluss aufgestellten Caravans wuchsen zur Größe kleiner Ferienhäuser heran. Im Restaurant werden regionale Spezialitäten zu nostalgischen Preisen aufgefahren: im Herbst Omelette mit Steinpilzen oder Trüffeln, zu jeder Jahreszeit als Confit de Canard bekanntes eingemachtes Entenfleisch und natürlich gebratene Gänseleber an Feigen und Äpfeln.

Das Federvieh lebt gefährlich im Périgord. Auf seine Leber hat man es abgesehen; was sonst noch dran ist, wird annähernd rückstandslos filetiert, gebraten, geschmort, zu Pasteten und Terrinen verarbeitet. Fährt man über die schmalen Landstraßen, die sich durch das Tal der Vézère und in die umliegenden Hügel winden, annoncieren links und rechts handgemalte Schilder „Foie Gras“ direkt vom Hersteller. Dass man Enten und Gänse in großer Zahl auf Wiesen sieht, bedeutet nicht, dass sie ihre letzten zwei Wochen nicht in der Einzelhaft des Käfigs verbringen, wo sie gestopft werden.

Auf den Wochenmärkten in Sarlat-la- Canéda und Périgueux, der Hauptstadt des Périgords, biegen sich Tische unter Dosen voller Enten- und Gänseleberpasteten. Auch kleinere Märkte wie der im am Ufer der Vézère gelegenen Montignac kommen ohne nicht aus – obwohl dort auch Käse, Kräuter und Kaffee, Süßholz und Gewürze aus den Übersee-Départements und Würste vom Bauern aus der Nachbarschaft eine Rolle spielen.

Die Verfeinerung der kulinarischen Gepflogenheiten ist womöglich der deutlichste Indikator für die Weite der Reise des Menschen von prähistorischen Tagen bis heute. Schließlich ist dies Frankreich, und wenn am Wochenende auch bis heute Jäger umherstreifen, die die Erhaltung der Arten kaum zu kümmern scheint, käme doch keiner von ihnen auf die Idee, dass erlegte Wild ungewürzt über offenem Feuer zu rösten.

Außer den kulinarischen Freuden halten eine wildromantische Landschaft – Frankreich ohne Werbetafeln, das sieht man nicht häufig – und die Vorgeschichte den Tourismus in Schwung. In jedem Hinterhof verbirgt sich ein Museum, weil anscheinend jeder, der sein Gemüsebeet umgräbt, auf fossile Funde stößt. Hier weist ein Cro-Magnon-Mensch den Weg zum prähistorischen Vergnügungspark, dort steht das – nachgebaute – Skelett einer gefährlichen Riesenechse im Vorgarten.

„Alles ist möglich“, verspricht die Führerin in reizend französischem Deutsch. „In diesen Höhlen können Sie träumen.“ Und zwar von den bunten Bildern von Lascaux. In der mit 250 Metern Länge vergleichsweise kleinen Höhle sind die bedeutendsten Felsenmalereien des französischen Südwestens zu sehen. Irgendwann zwischen 16 000 und 18 000 vor Christus fertigten Menschen sie an, die uns sehr ähnlich waren. Etwas größer vielleicht: im Schnitt 1,80 Meter. Einige sehr begabt: die nämlich, die hier Stiere, Pferde, Wisente, Bären, Steinböcke und Hirsche in dynamischer Bewegung malten. Im Schein der Taschenlampe könnte man meinen, ganze Herden zögen an einem vorbei – wegen der naturalistischen Darstellung, wegen der Positionierung der Tiere unter der Decke der Höhle.

Nur das Einhorn tanzt aus der Reihe. Mit dem Kopf eines Bären, dem Körper eines Nashorns und den Beinen eines Menschen könnte es ein Schamane mit Tierfell und Maske sein, ein Zeichnung gewordenes Gebet oder Ausdruck diffuser Albträume des Künstlers – niemand weiß es.

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