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Fraueninsel: Das Maß des heiligen Benedikt

Im Winter wird die Fraueninsel im Chiemsee zum stillen Ort. Besucher können sich sogar in ein Kloster zurückziehen.

„Feucht war die Luft, und trübe Nebel lagen / Rings um die Berge, Regen drohte schwer, / Als ich ins Boot stieg, ärgerlich und leer, / Um mich, wenn’s ging, der Sorgen zu entschlagen …“ Mehr als hundert Jahre ist es her, dass Erich Mühsam diese Verse schrieb. 1907 hielt er sich auf der Fraueninsel im Chiemsee auf. Ganz genauso erleben wir die Stimmung auf der Fahrt dorthin. Es ist ein grauer Wintertag, die Gipfel der Voralpen hüllen sich in dunkle Wolken, die bereits den nächsten Niederschlag ankündigen. Anstelle des Fischermädels, das damals „das Ruder schlug“, bringt uns allerdings ein Dampfer zu dem Eiland. Während wir in der „Berta“ über die Wellen schaukeln, blitzt hier und da ein weißes Segel auf, Vögel ziehen vor dem Schilfgürtel der Ufer ihre Kreise. Dann taucht plötzlich der Turm mit Zwiebelhaube auf, der Wahrzeichen von Frauenchiemsee ist.

Eine Bilderbuchinsel! Gewiss, die meisten Boote sind jetzt an Land gezogen, die Biergärten verwaist, die Geranien auf den Balkons verwelkt. Trotzdem ist das Fleckchen hübsch anzusehen – und voller Leben. Etwa dreihundert Menschen sind auf diesem Quadratkilometer im sogenannten Bayrischen Meer zu Hause. Die Ufer werden gesäumt von adretten Bauern- und Fischerhäusern mit Bootsstegen, Gärten und so manchem Gewerbebetrieb. In der Inselbrauerei wird Märzen- und Weißbier gebraut, in der vierhundert Jahre alten Inseltöpferei können wir Andrea Klampfleuthner dabei zusehen, wie sie an der Drehscheibe Krüge und Schalen fertigt. Wie Generationen vor ihr.

Unweigerlich läuft Besuchern irgendwann Holmer Lex über den Weg. Er ist einer der ältesten Fischer auf der Insel und führt die Tradition seines Ururgroßvaters Sebastian fort. „Als der vor 150 Jahren ins Winklfischerhäusl einheiratete, mussten die Fischer ihre Beute noch den königlichen Fischaufkäufern zur Verfügung stellen“, berichtet Lex. Inzwischen liege das Fischrecht bei der Fischereigenossenschaft Chiemsee. Ganze fünf Familien leben auf der Fraueninsel von der Fischerei, und Holmer Lex freut sich, dass jetzt auch einer seiner Enkel bei ihm in die Lehre geht. Im Grunde sei es ein einträgliches Geschäft. Denn im Chiemsee sind 28 Fischarten heimisch. Am weitesten verbreitet ist die Renke, eine Forellenart, doch werden auch Brachsen, Aale, Hechte, Barsche und sogar bis zu 50 Kilogramm schwere Welse aus dem Wasser gezogen. „Wenn nur die Kormorane nicht wären“, stöhnt der Fischer. Früher habe es hier so gut wie keine gegeben. Aber seitdem sie unter Naturschutz stünden, sichte man am See bis zu fünfhundert Exemplare. „Wenn die sich alle satt fressen, kann man sich ja ausrechnen, was für uns übrig bleibt.“

Im Sommer lassen sich die Besucher den frisch geräucherten Fisch gleich beim Winklfischerhäusl schmecken. In der kalten Jahreszeit zieht es uns stattdessen ins Wirtshaus. Nicht weit von der tausendjährigen Linde, einem besonderen Kraftplatz auf der Insel, steht das Königlich-Bayrische Gasthaus „Zur Linde“, das auch schon mehr als 600 Jahre alt ist.

Während wir auf die gebratene Renke mit Petersilienkartoffeln warten, schweift der Blick über die urigen Holztische und -bänke. Und die Landschaftsbilder und Stillleben, die nicht zufällig die Wände schmücken: „Die Linde ist so etwas wie die Keimzelle einer der ältesten Künstlerkolonien Europas“, sagt Inselkenner Konrad Hollerieth. „Das begann damit, dass der Münchner Maler Max Haushofer um 1828 nach Frauenchiemsee kam und sich in die Wirtstochter Anna Dumbser verliebte.“

In seinem Gefolge quartierten sich hier Freilichtmaler wie Karl Raupp, Hermann Kaulbach, Eduard Schleich oder Wilhelm Leibl ein, außerdem Dichter wie Ludwig Thoma, Felix Dahn, Ludwig Ganghofer und eben auch Erich Mühsam. Nach dem Ersten Weltkrieg führten Thomas Baumgartner, Constantin Gerhardinger und Hiasl Maier-Erding die Tradition der Frauenwörther Künstlergilde fort, auch Teile von Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“ sollen hier entstanden sein. Und man muss nur mal über den kleinen Friedhof am Münster gehen, um zu entdecken, wie viele Kreative auf das Eiland kamen und blieben.

Dass die Insel inspirierend wirkt, ist noch heute zu spüren – wenn sich hier nicht eben unzählige Tagesausflügler tummeln wie im Hochsommer oder während des Christkindlmarkts. Doch Kenner wissen ohnehin, dass es auf der Insel erst richtig gemütlich wird, wenn abends der letzte Dampfer zum Festland zurückschippert und die „Eintagsfliegen“ wieder mitnimmt. Dann kann man nicht nur in zwei Hotels und einigen Privatquartieren übernachten. Größter Beherbergungsbetrieb ist das Kloster Frauenwörth, in dem seit mehr als 1200 Jahren fast ununterbrochen Nonnen nach den Regeln des heiligen Benedikt leben. 782 vom Bayernherzog Tassilo III. gegründet – aus dieser Zeit stammt die wunderschöne Torhalle, einer der ältesten Hochbauten Süddeutschlands –, blühte das Adelige Damenstift im 9. Jahrhundert durch Äbtissin Irmengard, eine Urenkelin Karls des Großen, zu einem angesehen Reichskloster auf.

Jahrhundertelang konnte es sich gegen Kriege, Brände und Plünderungen behaupten. Neben romanischen Bögen in der Münsterkirche wurden im Lauf der Zeit Wandmalereien, gotisches Kreuzrippengewölbe und Barockaltäre hinzugefügt – bis das Kloster 1803 säkularisiert wurde. 1836 erlaubte König Ludwig I. den verbliebenen Ordensschwestern dann, den Konventbetrieb wieder aufzunehmen. Die Auflage: Sie sollten durch Unterricht zum Wohl der Allgemeinheit beitragen.

Diese Bedingung erfüllen sie heute durch den regen Seminarbetrieb, der in den altehrwürdigen Gemäuern stattfindet. Das ganze Jahr über kommen Interessierte zu Tai-Chi-, Yoga- oder Segel-Kursen. Andere nutzen die Abgeschiedenheit, um einfach mal zur Ruhe zu kommen.

Wer will, kann für ein paar Tage ganz in die Lebensweise der Benediktinerinnen eintauchen – und dabei auch als nicht strenggläubiger Katholik erfahren, welche Vorzüge es hat, in einem Schutzraum wie dem Kloster nach einem klar strukturierten Tagesablauf zu leben. Dazu gehören nicht nur feste Essens- und Arbeitszeiten, sondern auch das regelmäßige Innehalten durch Gebete, die hier von gregorianischem Gesang unterlegt werden. „Wenn man die Regeln des heiligen Benedikt richtig übersetzt, sind sie hochaktuell.“ Davon ist Schwester Eva-Maria überzeugt. Als Beispiel führt sie das Maßhalten an, das nicht nur Essen und Trinken, sondern auch das Arbeiten einschließt. „Wir leben ja in einer maßlosen Gesellschaft mit unzähligen Workaholics“, meint sie.

Wer der weltoffenen Benediktinerin zuhört, die zeitweise mit sozialen Randgruppen gearbeitet hat, versteht, warum sich auch krisengeplagte Manager von ihr beraten lassen. Überhaupt können wir feststellen, dass die Ordensfrauen mitten im Leben stehen. Schließlich müssen sie auch das Kloster wie ein modernes Wirtschaftsunternehmen führen. Es gilt, marode Gebäude zu sanieren, Verträge auszuhandeln, Investitionen zu tätigen und immer wieder neue Überlebensstrategien zu entwickeln.

Neben dem Klosterladen und der Feinbäckerei, in der nach streng geheimen Rezepten köstliches Marzipan hergestellt wird, tragen die jährlich rund 500 Seminare zur Finanzierung bei. „91 Veranstaltungen musste ich absagen. Das schmerzt natürlich meine schottische Seele“, witzelt Schwester Scholastica, die als gebürtige Britin für die Organisation der Kurse verantwortlich ist. Andere würden bei den vielen Aufgaben im Kloster in Stress verfallen – nicht so die Benediktinerinnen. Ob es an den Regeln ihres Heiligen liegt? Wahrscheinlich hat auch die Insel ihren Anteil daran. „Es fällt auf, dass sich die Benediktiner oft schöne Orte als ihr Zuhause auswählen“, sagt Äbtissin Johanna Mayer und fügt hinzu: „Schönheit ist heilsam für die Seele.“

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