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Eintauchen, bitte. Und keine Angst: So ein Moorbad soll zwar keine Wunder wirken, doch allemal heilsam sein.  Fotos: Heinz

© Marlis Heinz

Reise: Ganz in Schwarz

In deutschen Heilbädern wird das Moorbad geradezu inszeniert. Auch in den Ammergauer Alpen

Die Badefrau versucht mein Zögern abzukürzen. „Na los, einsteigen!“ Vor mir steht ein Holzzuber, randvoll mit schwarzbrauner Pampe. Schokoladenkuchenteigähnlich. Und vermutlich heiß. Ich fasse Mut, tauche erst ein Bein, dann das andere ein und lasse mich schließlich langsam in die suspekte Masse sinken. Die ist nicht ganz so warm wie befürchtet, aber von wunderlicher Konsistenz. Moor eben, genauer: Bergkiefernhochmoor aus den Ammergauer Alpen. Nicht zu vergleichen mit dem, was in flachländischen Physiopraxen auf den Patienten gepappt wird. Ich taste und spüre zwischen den Fingern kleine Stücken von Holz oder Rinde. Oder so…

Helmut Hermann ist Biologe, und wer genau wissen will, wie während der jüngsten Eiszeit vor 18 000 bis 20 000 Jahren der alpine Bergkiefernwald zu einem Hochmoor wurde, der kann mit ihm auf Exkursion rund um Bad Bayersoien gehen. In den Fußstapfen des Experten ist es auch ungefährlich, über die Moose und Gräser ein Stück ins Moor hineinzubalancieren. „Folgen Sie mir ganz genau, sonst versinken Sie“, rät er. Mit scheiteltiefem Versinken droht er zwar nicht – auch wenn in der Gegend schon mal eine etwa 900 Jahre alte Moorleiche gefunden wurde –, aber bis zum Nabel könne es schnell mal abwärts gehen.

Der Untergrund federt wie ein Trampolin und überall gedeihen Pflanzen, die auf trockenen Flächen kaum existieren. Die Tour führt einmal rund um den Soier See, zwischen Wiesen und Waldstücken hindurch hin zu den Stichen, wo das Moor gewonnen wird. Hermann erklärt die Technologie des Abbaus und berichtet aus der Geschichte der Torfnutzung. „Es sind übrigens nicht die Badegäste, die das Moor als Biotop gefährden. Viel schlimmer ist, dass Gärtner tonnenweise Torf verbrauchen“, stellt der Biologe richtig.

Natürlich gelangt das Moor nicht so, wie es der Bagger aus der Tiefe greift, in die Wannen. Für die Aufbereitung gibt es die „Moormänner“, einen in jedem der etwa 30 Hotels und Kurbäder in Bad Bayersoien und Bad Kohlgrub, die diese Behandlungen anbieten. Im Hotel Kurbad Siass von Bad Kohlgrub macht das Inhaber Toni Geisenhof höchstselbst. Er präsentiert die Moorvorräte im Keller des Hauses und die Maschinerie, in der das Moor gemahlen, gerührt, mit Quellwasser zur richtigen Konsistenz verdünnt und zum Schluss erwärmt wird. Desinfiziert werden muss es übrigens nicht. Die Säuren und antibiotischen Stoffe im Erdreich machen das Moor nahezu keimfrei. „Ein ewig gültiges Zubereitungs-Rezept gibt es nicht“, sagt Geisenhof. „Die Masse ist auch nicht immer gleich. Mal ist sie suppig, bei uns meistens speckig. Da muss ich flexibel sein.“

Wenn das Moor seine Schuldigkeit getan hat, wird es wieder in die Moorstiche gekippt. „Abgebadet“ nennt man es dann. Nach rund zehn Jahren hat es sich wieder mit Moosen und anderen Pflanzen angereichert, könnte erneut über den Mixer des „Moormanns“ auf die Leiber der Kurgäste wandern. Dabei verwenden die Ammergauer immer hundert Prozent Frischmoor, während anderswo zur Hälfte renaturiertes Moor Anwendung findet.

Mein „Moormann“ lässt sich allerdings nicht blicken. Der gefüllte Zuber glitt vorhin wie von Geisterhand geschoben durch eine Luke in der Wand in die Badekabine. Liegend und schwitzend habe ich eine Viertelstunde Zeit, das Stübchen zu betrachten. Hier mutet es so gar nicht medizinisch-steril, sondern eher bayerisch-zünftig an – holzverkleidet, mit einer Heuraufe und bäuerlichem Gerät an der Wand. Vermutlich haben die ersten Badekabinen tatsächlich so ausgesehen. Oder zumindest ähnlich. Im Heimatmuseum von Bad Bayersoien kann man sich auch anschauen, wie es mit dem neuen Wirtschaftszweig 1974 begann, als die Bauern den Torf nicht mehr nur in die Öfen packten, sondern auch um ihre Gäste.

Die Therapien wurden schnell streng medizinisch. Die Kassen zahlten und die Patienten schwitzten brav in grell erleuchteten, weiß gekachelten Kabinen. Das ging ein paar Jahrzehnte bestens, 80 Prozent der Gäste stiegen „auf Rezept“ ins heilende Schwarz. Nun muss die Mehrzahl in die eigene Tasche greifen – und wünscht es sich dafür eben anheimelnder oder eleganter. Die Heilkräftigen aus den Kurorten um Oberammergau erdachten die „Neuinszenierung Moor“. „Es war an der Zeit, die archaische Badeform in der Gegenwart ankommen zu lassen, ohne daraus eine x-beliebige Wellness-Behandlung zu machen“, erläutert Stephan Schober, Direktor vom Hotel Johannisbad. „Deshalb haben wir alle Kabinen mit Naturstein, Holz und stimmungsvoller Beleuchtung veredelt, Rohre und Schläuche sind nicht mehr sichtbar. Trotzdem baden unsere Gäste nach wie vor im Zuber. Das hat viele Gründe. Ganz physikalische: Metall leitet ab, Holz hält die Wärme. Und mentale: Holz verbreitet einen Hauch Nostalgie und passt besser zum Moor.“

Ich hänge noch immer wie schwerelos im Moor, nicht einmal mit dem Hinterteil sinke ich bis auf den Wannenboden. Doch die Temperatur ist erträglich. Und alles soll ja so gesund sein … „Die Wärme, von der man im Moor übrigens höhere Temperaturen verträgt als im Wasser, ist ein vor allem für orthopädische Beschwerden wichtiger Faktor“, hat Kurärztin Franziska Fehle-Friedel erklärt, bei der sich jeder Badekandidat vor dem ersten Tauchgang vorstellen muss. Doch das schwarze Therapeutikum hat noch mehr Tugenden: „Für andere Beschwerden ist es wichtig, dass im Moor die Grundbausteine vieler Hormone bereitstehen. Der Körper kann sie durch die Haut aufnehmen und je nachdem welche Defizite er hat, die fehlenden Hormone produzieren. Das hilft bei vielen Krankheiten, beispielsweise der Haut, des Stoffwechsels, des vegetativen Nervensystems oder bei Osteoporose und Prostatabeschwerden.“ Doch selbst wenn einen kein konkretes Leiden antreibt, erholsam ist das Bad allemal – ja, und schön soll es schließlich auch noch machen.

Plötzlich tritt meine Badefrau mit Gummischürze und Stiefeln gerüstet in das Kämmerchen. „Langsam aufstehen, das Moor abstreifen, nicht abschütteln.“ Ich hieve mich aus der zähen Masse und schaue an mir herab. Mein Körper ähnelt nach dem Abstreifen der gröbsten Pampe irgendwie einer verdreckten Sandsteinfigur. So tappe ich hinüber in die geflieste Ecke und harre der Dinge, die da kommen. Es kommt die Badefrau mit dem Schlauch und legt mich frei – um mich nach einem Klarwasser-Wannenbad in weiße Tücher einzurollen. Nachruhe als Mumie heißt diese Variante des Schwitzens. Nun soll mein Körper mal zusehen, was er sich aus den moorigen Inhaltsstoffen so alles bastelt. Übermorgen wieder. Dann wird’s ohne langes Zaudern gehen.

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