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Mit Charakter. Keine Mühle im Park gleicht der anderen.

© Axel Bauman

Gifhorn: Anabela und ihre geflügelten Schwestern

Das Wind- und Wassermühlenmuseum in Gifhorn zeigt 16 Wind- und Wassermühlen aus 14 Ländern

Klack, klack, klack. Das mächtige, mit weißen Segeln bespannte Mühlrad dreht seine Runden im Wind. Es knarrt, knackt und knedert im Gebälk. Ein breiter Kiesweg führt entlang einer weiß getünchten Mauer hinauf zur Getreidemühle Irini. Daneben steht das Müllerhaus mit türkisfarbenen Sprossenfenstern, doch das ist längst nicht mehr bewohnt. Viele dieser Mühlen in mehr oder weniger gutem Zustand gibt es heute noch auf den Kykladeninseln. Doch wir sind nicht in der griechischen Ägäis, sondern im Mühlenfreilichtmuseum in Gifhorn in Südniedersachsen. Gleich neben der griechischen Irini leuchten die Segelflügel von Anabela aus Portugal. Sie ist ein Nachbau einer Getreidemühle aus dem kleinen Ort Torres Vedras nördlich von Lissabon.

Wer auf dem Kiesweg weiterwandert, kommt an der gelb leuchtenden, sechsflügeligen „Mühle von Mallorca“ vorbei, um sich bald darauf in der Provence wiederzufinden, vor der aus Feldsteinen errichteten „Mühle von Alphonse Daudet“ aus dem frühen 19. Jahrhundert. 16 Wind- und Wassermühlen aus 14 Ländern wurden als Originale oder originalgetreue Nachbauten im weitläufigen Freilichtgelände am Rand der Fachwerkstadt Gifhorn errichtet.

Vor 47 Jahren begann die Mühlen-Leidenschaft des heute 77-jährigen Museumsbesitzers Horst Wrobel. Der gelernte Schaufensterdekorateur traf damals zufällig den letzten Windmühlenmüller im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel. „Mein gesamtes Mühlenwissen habe ich durch viele Besuche in seiner Mühle erworben“, sagt Wrobel und fügt hinzu: „Seit dieser Begegnung ließen mich Mühlen nicht mehr los.“ 1974 machte er sich selbstständig und gründete sein Museum. Zunächst hatte er Modelle im Maßstab 1:25 gebaut. Diese Sammlung ist inzwischen auf rund 50 Stück angewachsen und im Ausstellungsgebäude zu besichtigen.

Hier entdeckt der Besucher die Bremer „Mühle am Wall“, die Keukenhof-Mühle aus Holland, aber auch auf exotische Modelle aus Afghanistan, dem Iran, Ägypten, Südafrika, Rumänien, Skandinavien, Irland und Großbritannien. „Mühlen haben viele Arbeiten verrichtet, nicht nur Getreide gemahlen“, erzählt Museumsleiter Philipp Oppermann. „Weitere Anwendungsbereiche sind Öl pressen, Tuch walken, Tabak schneiden, Holz sägen oder die Bewässerung von Feldern.“ Der 36-Jährige, so gibt er zu, sei lange Eisenbahnfan gewesen. Nachdem er vor sechs Jahren Horst Wrobel traf, sei der Mühlenvirus auf ihn übergesprungen.

Die Mühle von Sanssouci wurde schon 1984 erbaut

Die Bockwindmühle Viktoria, die Erdholländermühle Immanuel und die Tiroler Wassermühle waren die ersten Originale, die Wrobel 1980 aufbaute. In Einzelteile zerlegt reiste die zirka 300 Jahre alte Wassermühle per Zug an. Seitdem klappert sie an einem Seitenarm der Ise. „Mühlräder unterscheiden sich nach der Stelle, an der das Wasser in sie eintritt. Es gibt ober-, mittel- und unterschlächtige Räder“, berichtet Oppermann. Bei der Tiroler Wassermühle erfolgt die Wasserzufuhr über ein oberschlächtiges Wasserrad. Genauso wie bei der südkoreanischen Getreide-Stampfmühle gegenüber, die per Schiff nach Deutschland kam.

In der Mitte des Parks thront die Mühle von Sanssouci, ein Abbild der berühmten Potsdamer Mühle aus den Zeiten Friedrich des Großen. Noch vor der Wende besorgte sich Horst Wrobel die Originalpläne des Galerie-Holländers. Bereits 1984, fast zehn Jahre bevor die im zweiten Weltkrieg zerstörte Mühle in Potsdam selbst wieder errichtet wurde, erfolgte der Aufbau in Gifhorn.

Nebenan hat eine Art niedersächsisches Rundlingsdorf seinen Platz gefunden. Integriert in die Dorfanlage ist eine Nachbildung der Rossmühle Oberbauerschaft von Christopf Meyer zu Kniendorf an der Westfälischen Mühlenstraße. Es handelt sich um einen achteckigen Fachwerkbau aus dem Jahre 1797 mit rundem Reetdach. „Ungefähr bis 1920 war dies eine Flachsmühle“, weiß Philipp Oppermann: „Getrocknete Flachsstängel wurden in der ,Bokemühle’ unter Stampfern weichgeklopft (gebokt).“ Danach hechelten (kämmten) die Frauen des Ortes die gebrochenen Stängel auf einem Nagelblock, um später die Fäden zu verspinnen. „Nicht nur der Flachs wurde durchgehechelt, sondern auch die eine oder andere Neuigkeit aus dem Dorf.“ Damit sich das Stampfwerk in Bewegung setzen konnte, drehten bis zu sechs Pferde ein hölzernes Kammrad von 32 Metern Umfang.

Am Rand des Museums befinden sich Bauten, bei denen sich keine Mühlenflügel drehen, sondern goldene Kuppeln leuchten. Seit 1995 steht gleich hinter der ukrainischen Mühle Natascha die russisch-orthodoxe Holzkirche des Heiligen Nikolaus. „Die Kirche unterstreicht den internationalen Charakter unserer Einrichtung und dient als Symbol der Versöhnung zwischen Russland und Deutschland“, sagt Horst Wrobel. Sonntags und an orthodoxen Feiertagen finden in der Kirche Messen statt.

Seit 1996 wird außerhalb des Museums der Glockenpalast errichtet. Er ist einem Kloster im alt-russischen Baustil nachempfunden. Fünfzig goldene Kuppeln auf dem Dach des Holzbaus symbolisieren fünfzig Jahre Frieden in Deutschland. Der Palast steht unter der Schirmherrschaft von Michail Gorbatschow. Nach Fertigstellung sollen hier Künstler und Kunsthandwerker aus Osteuropa arbeiten und ausstellen. Das Klappern der Mühlen wird sie dabei sicherlich beflügeln.

Adresse: Wind- und Wassermühlenmuseum, Bromer Straße 2, 38518 Gifhorn, Telefonnummer: 053 71/ 5 54 66, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr. Der Eintrittspreis beträgt zehn Euro für Erwachsene und vier Euro für Kinder

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