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Reise: Goldene Früchte am Turm

40 000 Einwohner, 300 Baudenkmäler: Das sächsische Pirna ist ein Juwel der Renaissance

Immer wieder einmal kommen Besucher aus Dresden nach Pirna. In Dresden haben sie Veduten Canalettos gesehen, die Pirna zeigen, gleich elf Stück. Berühmt ist das Gemälde mit dem Marktplatz als „Canalettoblick“. Pirna, fragen die Touristen dann, wo liegt denn das? „Zwanzig Kilometer weiter“, erfahren sie in den Kunstsammlungen, „und Sie finden die Stadt noch so wie auf der Leinwand gemalt.“ Nicht jeder fragt das, und nicht jeder fährt hin. Sind sie einmal da, heißt es „was für eine schöne Stadt“. In Pirna hört man das gern, besonders im Canalettohaus am Markt, wo die Touristeninformation zu Hause ist.

Es ist Abend. Das freistehende Rathaus ist wie auf einer Bühne angestrahlt, umgeben von einem Kranz pastellfarbener Bürgerhäuser. Für die aufstrebende Macht des Dritten Standes steht sein verspielter barocker Turm, der über den engen Gassen ein Zeichen in den Himmel setzte. An der Ostseite befindet sich ein Schlagwerk. Mit einer Tatze schlägt dort gerade ein Löwe gegen einen Birnbaum, der goldene Früchte trägt. Acht Uhr. Pirna kommt nicht von Birna für Birne wie man womöglich vermutet, hört man manch einen hier sächseln, sondern von „na pernem“. Sorbisch ist das und heißt: „auf hartem Stein“ erbaut. Manche führen es auch auf das slawische „pir“ zurück. Es verweise auf Brandrodung.

Die beiden besten Gasthäuser sind heute Abend gut besucht, auch in den übrigen Lokalen sitzen ein paar Besucher. Auf den Straßen jedoch sieht man kaum eine Menschenseele. Schummrig und still ist es abends in Pirna. Sehr still für eine Stadt mit 40 000 Bewohnern und 300 ansehnlichen Baudenkmälern. Sie hätten mehr Besucher verdient. So wie die Wirte, Hoteliers, die Frau in der Kaffeerösterei, die Kleinkunstbühne. Stimmungsvoll ist es allerdings. Die Ruhe hat etwas Historisches, der Schein der Laternen passt so recht zu den einige hundert Jahre alten Bauten, die Zeichen des Kommerzes sind gedämpft. Seinen Markt würde Canaletto auf Anhieb wiedererkennen.

Hier steht das Canalettohaus aus Spätgotik und Renaissance und Blickfang in der Vedute vom Markt. Von 1752 bis 1755 weilte der Venezianer hier in Sachen Auftragskunst für Kurfürst August II. Warum Pirna? Manche Einheimische vermuten, er war in eine Pirnaerin verliebt. Vielleicht. Aber Grund seines Aufenthaltes war wohl der Sonnenstein, die damalige Landesfestung Sachsens am Fuße des Sandsteingebirges. Sie ist auf jeder der Veduten zu sehen. Vielleicht entstand eine Art Imagebroschüre – elf Seiten von besonders prominenter, eben von Canalettos Hand mit der Botschaft: eine imposante Bastion, ein starker Herrscher, eine prächtige Landschaft. Und deshalb Pirna.

Aus dem Gebirge kam Sandstein für die schöne Steinmetzkunst in der Stadt, später für Frauenkirche und Semperoper in Dresden, den Reichstag in Berlin. Der Stein, Tuch, Stapelrecht und Handel schufen Wohlstand, die Bauten repräsentieren ihn.

Gemeinhin bilden Veduten die Wirklichkeit ab. Pirnas Markt hingegen ist fast schöner als gemalt. Lange ist das noch nicht so. In den achtziger Jahren stand es sehr schlecht um die Altstadt, 40 Jahre lang hatte sich ein Braun mit schweflig-gelbem Unterton über alles gelegt. Aus Schloten war es aufgestiegen und rieselte nieder, aus Zweitakter-Auspuffrohren wurde es in die Straßen geblasen. Auch in Pirna.

Bausubstanz, die Jahrhunderte überlebt hatte, wurde in vierzig Jahren ruiniert. Geld, Werkstoffe und Wissen fehlten – und bei den Herrschenden der Wille zum Erhalt. Die Altstadt verfiel zunehmend, ein Elend. Als das verfallene sogenannte Teufelserkerhaus abgerissen werden sollte, gingen die Menschen auf die Straße. „Rettet Pirna“, riefen sie Das war 1989. Gewagt war das, doch Pirna gewann. Im letzten Augenblick bewahrten sie das Haus der Spätrenaissance vor dem Abriss und das Kuratorium Altstadt, das aus dieser Bewegung entstand, hilft seitdem das historische Erbe zu pflegen. Heute erblüht das Pirn’sche Glück in vielen Farben in der Altstadt, und die Menschen kehren dorthin zurück.

Auf das Erbe der Renaissance ist man stolz, hier hat es sich erhalten, schwärmt man im Canalettohaus. Pirna sei so etwas wie das kleine Dresden aus der Epoche vor dem großen Dresden, die Renaissance dort nun überbaut vom Barock. Stimmungsvolle Innenhöfe gehören zu Pirna, und die Häuser erzählen von Geschichte, viele in der Formensprache jener Zeitenwende, von der man sagt, da begann die Neuzeit. Ja, die spätgotische Marienkirche bekam später eine neue Haube, der Rathausturm ist barock, manch ein Haus mit barocken Accessoires modernisiert. Es gibt anmutige Fensterfolgen der Spätgotik wie am Kirchplatz, alles fügt sich zu einem harmonischen Ganzen. Doch es ist die Renaissance, die Pirna diesen besonderen Charakter gibt, ihre kunstvollen Erker und Giebel, die exquisiten Steinmetzarbeiten wie am Blechschmidthaus, benannt nach dem bedeutendsten Baumeister aus dieser Blütezeit der Stadt. Erhabenes Entree in ein neues bürgerliches Selbstverständnis sind Hausportale, aufwendig in Stein gehauen wie hier ein verziertes Sitznischenportal der Spätrenaissance mit seinem Flachreliefbildnis und seinem Steinmetzzeichen.

Zwei Mal kam der Sensenmann und nahm viele aus der Stadt mit. Es war die Zeit des Schwarzen Todes. Da war zudem die Reformation im Gange, Deutschland religiös erregt, auch das sollte hier viele Leben kosten. 1639 mordeten und plünderten die Schweden. Als sie die Stadt aufgaben, sollte sie eingeäschert werden. Das sprichwörtlich gewordene „Pirnsche Elend“ konnte der Apotheker Theophilus Jacobäer mit seinem Husarenritt durch die feindlichen Truppen nach Dresden nicht abwenden, von wo er unter Lebensgefahr mit einem Schutzbrief zurückkehrte. Pirna war gerettet und doch ins Elend gestürzt – geschleifte Stadtmauern, ausgebrannte Türme, Not und Tod.

Aber die Stadt kam wieder auf die Beine. Am Markt steht noch das Haus der Apotheke mit Löwenskulptur, Apothekermörser und Gedenktafel für den Retter. Johannes Tetzel, der Ablassprediger, gilt mit als Auslöser des großen sozial-religiösen Konfliktes. Er wurde um 1465 hier in der Schmiedegasse geboren. ,,So balt der Gülden im Kasten klingt, Im Huy die sehl in Himmel sich schwingt.“ Dieser Ablass lockte die Sünder, entzweite die Christenheit und stürzte seine Geburtsstadt ins Elend. Die Pirnaer haben das „Tetzelhaus“ dennoch restauriert, schöner wohl, als es zu seinen Lebzeiten war.

Auf dem Tisch im Restaurant dampft Sächsischer Sauerbraten an Lebkuchensauce. Süß mögen es die schlauen Sachsen. Dem Porzellan haben sie seine Geheimnisse entlockt, den Kaffeefilter haben sie erfunden. Und das mit mehr Besuchern in Pirna, das schaffen sie auch noch. Auf dem Elberadweg radeln die Touristen längst auch in die Stadt oder erkunden von hier die Sächsische Schweiz.

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