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Seht her, frisch auf dem Markt! Die Kamtschatka- oder Königskrabbe wird aus der Beringsee gefischt. Sie hat allerdings ihren Preis.

© Alexandr Piragis, picture-alliance

Gourmets auf Kamtschatka: Schätze Sibiriens

Auf einer Kreuzfahrt entlang der Ostküste Russlands erwartet die Passagiere spektakuläre Natur und kulinarische Köstlichkeiten.

Das sehen selbst eingefleischte Kreuzfahrer nicht alle Tage: Mitten im Marco- Polo-Restaurant thront ein überdimensionaler runder Tisch, beladen mit einer Besonderheit. Es ist Punkt 19 Uhr, und die „Hanseatic“ schippert irgendwo am Ende der Welt durch die raue Beringsee. Nur noch zwei Stunden bis zur Datumsgrenze und 6000 Meter Wasser unterm Kiel. Ganz artig stehen die verwöhnten Gäste jetzt in Reih und Glied. Denn diesen seltenen Leckerbissen will sich wirklich niemand entgehen lassen.

Tranchierte Königskrabben, frisch gefangen in den Küstengewässern nahe Petropawlowsk, der Provinzhauptstadt Kamtschatkas. Dieser letzte Zipfel im Nordosten Sibiriens, der immerhin noch etwas größer als Deutschland, Belgien, die Niederlande und die Schweiz zusammen ist. Dieses geheimnisvolle Land zwischen Ochotskischem Meer und Beringsee, in das keine einzige Straße führt, in dem sich die Vulkane so eng wie nirgendwo sonst auf der Welt drängen, wo schwergewichtige Kamtschatka-Braunbären in den Flüssen auf Lachsfang gehen und an dessen Küsten Buckelwale und Orcas vorbeiziehen.

„Wenn wir so exotische Ziele wie Kamtschatka anlaufen, erwarten unsere Gäste ein authentisches Spezialitätenbüfett der Region“, verrät Andreas Rühlow. Der 40-jährige Berliner ist Chefkoch der „Hanseatic“, des einzigen Expeditionsschiffes weltweit mit Fünf-Sterne-Standard. „Kaum jemand unserer Gäste kann sich allerdings vorstellen, was wir mitunter hinter den Kulissen so alles veranstalten müssen, um Sibirischen Kaviar, geräucherten Blaurückenlachs oder Königskrabben auf den Tisch zu bekommen.“

Da gibt es auf der einen Seite natürlich ein ganz banales logistisches Problem. Was nicht gebunkert ist, kann man nicht schnell mal eben um die Ecke im Supermarkt nachkaufen. Und was gebunkert ist, muss sachgerecht gelagert werden. Kein Problem bei Fleisch, Fisch, Käse und Eiscreme. Das alles wird einfach tiefgefroren. Dies gilt ebenso für einen Teil des Gemüses. Auch die sogenannten Trockenlebensmittel wie Mehl oder Spaghetti lassen sich einfach transportieren.

„Eine echte Herausforderung stellt jedoch die Frischware dar. So ein Salat ist eben wirklich nur eine begrenzte Zeit knackig, egal, wie ideal wir ihn einlagern“, erklärt der Maître de Cuisine. „Sowie wir die Möglichkeit haben, kaufen wir an Land sofort Obst und Gemüse nach. Dumm nur, dass es in Petropawlowsk- Kamchatsky nur zwei Sorten Salat auf dem Markt gab.“

Da Rühlow aber seit mehr als 20 Jahren auf Kreuzfahrtschiffen den Kochlöffel schwingt, war ihm das Problem hinreichend bekannt. Also orderte er in Deutschland fünf Tonnen Frisches und ließ die Ladung mit der Air-Berlin-Sondermachine einfliegen, die die Gäste von Düsseldorf nach Kamtschatka brachte. Ein kleines Kunststück, was dem Berliner da gelang, da eigentlich nicht rechtens. Die frischen Lebensmittel müssen außerhalb der EU nämlich in dem Land gekauft werden, wo das Schiff auf Reede liegt. Aber in Russland geht mit Verhandlungsgeschick so einiges, was zum Beispiel in den USA oder Kanada undenkbar wäre. Man muss sich eben auskennen mit der russischen Seele und wissen, dass (fast) alles seinen Preis dort hat.

In einigen Regionen wie Indien oder Afrika halten korrupte Beamte ganz unverhohlen ihre Hand auf – selbst bei Vorgängen, die völlig legal sind, ärgert sich Rühlow. Auf der anderen Seite kann es passieren, dass die übermotivierten US-Zöllner einen ganzen Tiefkühlcontainer voller dringend benötigter Lebensmittel schlicht und ergreifend zurückgehen lassen, nur weil ein paar Salamiwürste mit in der Tranche waren, die nicht hätten eingeführt werden dürfen. Dann heißt es improvisieren für die 20-köpfige Küchencrew.

Acht europäische und zwei philippinische Köche bilden den Stamm, zehn Küchenhelfer schälen Kartoffeln und schrubben die enge Küche, von der ein echter Koch auf See weiß: Das, was man am meisten auf einem Schiff hat, ist kein Platz. Der wird beispielsweise für feinste argentinische Steaks benötigt, wenn die „Hanseatic“ beispielsweise vor Buenos Aires liegt. Weil das Fleisch erst nach Hamburg zum Veterinär muss und dann zurück nach Südamerika. Denn auch die EU-Amtsschimmel haben sich ein endloses Regelwerk ausgeheckt. Nur dass sie bei der Umsetzung nicht gar so pedantisch wie ihre angelsächsischen Kollegen sind.

Andere Lebensmittel, wie die Kartoffel, will Rühlow hingegen nicht in Argentinien kaufen. Sie sei dort viel zu mehlig kochend und erinnere ihn überhaupt mehr an eine Futterrübe. Die asiatischen „Stein“-Kartoffeln kauft er allerdings auch nicht unterwegs, so knallfest kochend seien die.

Da hatte er in Petropawlowsk auf dem Markt mehr Glück. Die Russenknolle ähnelt in Aussehen und Geschmack ihrem europäischen Pendant. Obendrein stimmte der Preis. Das ist wichtig bei den Mengen, obgleich ihm die Hapag in Hamburg da einigen Spielraum zubilligt.

Alles andere wäre allerdings auch kaum nachzuvollziehen. Ein Alleinreisender, der schnell mal 20 000 Euro für eine Reise auf den Tisch legt, erwartet weder Steinkartoffeln noch eine mehlige Pampe. Dafür aber vor Kamtschatka fangfrische Königskrabben aus der Beringsee. Diese sind mitunter nicht mit Gold aufzuwiegen. Dafür aber mit High Heels und Dessous. Beides heiß begehrt bei den sibirischen Frauen, nicht nur in kalten Winternächten. Hat ein Krabbenfischer „so einen gewissen lüsternen Blick drauf“, bringt Rühlow die luststeigernde Ware von Orion und Co. ins Spiel. Meist funktioniert der Tauschhandel.

Die Gäste im Marco-Polo-Restaurant haben für derlei Hintergrundinformationen keine Antennen. Nach nur einer Stunde ist der runde Tisch mit den wirklich besonderen Königskrabben restlos geplündert.

Marc Vorsatz

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