zum Hauptinhalt
„Seeheilbad“, ein Titel, mit dem sich nicht jeder Ort am Meer schmücken darf. Zingst auf dem Darß hingegen wurde es offiziell erlaubt. Doch nicht allein wegen seiner Seebrücke.

© Kur- und Tourismus GmbH Zingst/Sarah Kunze

Gütesiegel: Ein Strand macht noch kein Seebad

Gütesiegel sollen Erholungssuchenden die Auswahl des Kurortes erleichtern. Doch es gibt verwirrend viele Labels.

Kirchberg im Bayerischen Wald ist ein „Erholungsort“. Die oberbayerischen Gemeinden Kochel und Walchensee nennen sich „Luftkurort“. Bad Tölz und Bad Heilbrunn sind sogar „heilklimatische Kurorte“. Wer soll da noch durchblicken? Derzeit gibt es rund 350 Heilbäder und Kurorte in Deutschland, davon sind 244 Mitglieder im Deutschen Heilbäderverband organisiert.

Heilbäder und Kurorte sind „Kompetenzzentren für die Gesundheit“. Merkmale der Orte: „Hier werden natürliche Heilmittel des Bodens, Wassers oder Klimas und traditionelle Heilverfahren angewandt“, heißt es auf der Homepage des Verbandes. „Zudem bieten die Orte reizvolle Landschaften und saubere Luft, ein vielseitiges Angebot an Freizeitaktivitäten, ausgesuchte Kunst- und Kulturangebote, die Möglichkeiten einer vielschichtigen gesunden Ernährung und eine angemessene Infrastruktur.“

Kurorte unterteilen sich in sieben Kategorien: Heilbad, Kneippheilbad, Kneippkurort, Schrothheilbad, Schrothkurort, heilklimatischer Kurort und Luftkurort. Über die Anerkennung entscheidet in manchen Bundesländern, etwa in Bayern, das Innenministerium, gemeinsam mit dem Fachausschuss für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen, dem auch Mediziner, Chemiker und Meteorologen angehören. In anderen Ländern kümmert sich das Wirtschafts- oder Gesundheitsministerium darum.

Die Einhaltung der Kriterien wird alle paar Jahre kontrolliert

Was sagen diese Labels eigentlich aus? Und was bringen sie letztlich dem Urlauber? „Die Gütesiegel helfen Urlaubern bei der Orientierung“, sagt Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbandes. Gemeinsam mit dem Deutschen Heilbäderverband hat der Verband vor mehr als 50 Jahren diese Prädikate geschaffen. „Sie verpflichten die Orte, gewisse Qualitätsstandards einzuhalten, die in einem Kriterienkatalog festgeschrieben sind“, erklärt Gilles.

Die Einhaltung der Kriterien wird alle paar Jahre aufs Neue kontrolliert. Die Anforderungen steigen mit jeder Stufe: klimatische und lufthygienische Voraussetzungen, genügend Ärzte und Gesundheitsangebote sowie touristische Einrichtungen wie Schwimm- oder Hallenbäder, Kneippeinrichtungen, aber auch Lesesäle.

Ganz ähnlich funktioniert das auch an der Küste: Nicht jeder Ort, der an der See liegt, darf sich automatisch „Seebad“ nennen, sagt Martin Lohmann vom Kieler Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa. Um dieses Prädikat zu erhalten, darf das Zentrum des Ortes nicht mehr als zwei Kilometer vom Strand entfernt liegen. Daneben braucht es medizinische Einrichtungen, um eine medizinische Kur zu gewährleisten. Außerdem müssen Luft- und Wasserqualität die Erholung und Genesung der Reisenden unterstützen. Auch ein Kurarzt und touristische Infrastruktur wie Parks und Strandpromenaden sind vorgeschrieben.

Strenger sind die Kriterien für die Vergabe des Titels „Seeheilbad“. So müssen an diesen Orten auch Heilmittel wie Meersalz oder Meeresschlick vorhanden sein. Es wird eine noch bessere touristische Infrastruktur erwartet und mindestens eine Badearztpraxis.

Wer kennt den Unterschied zwischen Kneipport und Kneippbad?

„Als Seeheilbad anerkannt zu werden, ist ziemlich schwierig“, sagt Lohmann. „Aber ob das so wahnsinnig wichtig für Touristen ist, ob sie jetzt in einem Seebad oder Seeheilbad ein Hotelzimmer beziehen, bezweifele ich.“ Der Ort müsse vor allem hübsch anzuschauen sein, natürlich am Meer liegen und gute Hotels und Lokale aufweisen, findet der Wissenschaftler. „Früher, als die ambulante Kur noch von den Kassen bezahlt wurde und zwar nur, wenn es ein Heilbad war, spielten solche Etiketten eine wesentlich größere Rolle.“ Der Werbeeffekt solcher Labels halte sich zudem in Grenzen. „Die Prädikate sind ohnehin keine Garantie, dass ich gesünder wieder nach Hause komme. Wenn ich im Heilbad nur Wein statt Wasser trinke, ist es völlig gleichgültig, wo ich meinen Urlaub verbringe.“

Außerdem leben Seebäder wie St. Peter-Ording, das als einziges deutsches Seebad eine eigene Schwefelquelle hat, mehrheitlich von den normalen Touristen, die ohnehin kommen und surfen, baden, sich erholen wollen. Ganz ohne Kur-Hintergedanken.

Gilles sieht es ähnlich: „Es stimmt, wir haben 17 verschiedene Bezeichnungen. Ich behaupte, der Gast kann das nicht auseinanderhalten. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Kneipport und Kneippbad?“ Die Geschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbandes plädiert für ein Regelwerk, das unterschiedliche Qualitätsstandards festlegt – etwa Luftqualität, Lärmschutz oder medizinische Kompetenz am Ort. Heilbad und Kurort seien Oberbegriffe und stellten verschärfte Anforderungen, sagt Gilles. Wohingegen „Erholungsort“ und „Luftkurort“ eher touristische Prädikate seien, die keine medizinischen Richtlinien erfüllen müssten. Der Deutsche Tourismusverband hält daher weiterhin an den Labels als sinnvollem Instrumentarium fest. „Die großen Kurorte und Heilbäder stehen alle für gute Infrastruktur, gute Luft und ein gut gepflegtes Ambiente. Das trifft auch auf Seebäder und Seeheilbäder zu.“

Der Titel "Kurort" macht sich für Gemeinden bezahlt

Martin Lohmann hat in seinen Studien herausgefunden: Bei den zuletzt 70 Millionen Urlaubsreisen der Deutschen fallen nur sechs Prozent in die Kategorie „Gesundheitsurlaub“. „Gesundheitsurlaub als Trend wird derzeit überschätzt. Das ist die Konsequenz des demografischen Wandels: Wer fit ist – und die heute 60-Jährigen sind fast alle fit –, macht keinen reinen Kururlaub. Das machen erst die über 80-Jährigen.“

Auch wenn die Mehrheit der Deutschen nicht nur einen Urlaubsort wählt, weil ein „Heil“ oder „Kur“ im Namen steckt: Für die Orte sind die Prädikate dennoch erstrebenswert. Denn: Der Titel macht sich im wahrsten Wortsinn bezahlt.

Wenn eine Gemeinde ein staatliches Prädikat vorweisen kann, darf sie Kurtaxe erheben – eine wichtige Einnahmequelle, mit der sie die Promenade, den Strand und den Kurpark pflegen und ihr Ortsbild verschönern kann. Die Höhe regelt jede Gemeinde selbst – in Bad Reichenhall beträgt sie zurzeit 3,10 Euro pro Person und Tag, im brandenburgischen Bad Freienwalde wird eine Kurabgabe von 1,50 Euro pro Tag fällig.

Wird da nicht viel Schindluder getrieben? „Nein“, sagt der Reiserechtler Paul Degott, „die Einhaltung der Kriterien wird akribisch kontrolliert.“ Das Label sei nichts, was sich jede Kommune selber mal einfach so vergeben kann. „Wer sich vollmundig so deklariert, es aber nicht ist, bekommt Probleme“, warnt der Jurist.

Die Vergangenheit habe auch gezeigt, dass Orte ihren Status als Kurort oder Heilbad verloren haben, weil sie die Voraussetzungen nicht mehr erfüllten – geschehen etwa im vergangenen Jahr im rheinland-pfälzischen Bad Bodendorf. Der Ort erfülle die Voraussetzungen als „staatlich anerkanntes Heilbad“ nicht mehr, befand Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), die auch für den Tourismus zuständig ist. Deshalb habe sie das Heilbadprädikat für den Sinziger Stadtteil widerrufen. Mit der Entscheidung hätte der Ort im Kreis Ahrweiler laut Kurorte-Gesetz auch den Zusatz „Bad“ im Namen verloren. Doch die Entscheidung darüber lag beim Kreis und beim Innenministerium. Das „Bad“ blieb.

Claudia Schuh

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false