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Heiliger: Nikolaus im Boot

Die Wunder des Heiligen sind legendär. Im türkischen Myra ist er um 300 nach Christus gestorben. Und zieht Menschen aus aller Welt in seinen Bann.

Eintritt wie im Schwimmbad. Ein bisschen Zucht und Ordnung muss beim heiligen Nikolaus schließlich sein: Erst wer sein Ticket in einen Metallschlitz schiebt und sich durchs Drehkreuz zwängt, hat Zugang zur Erinnerungsstätte beispielhafter Mildtätigkeit. Und da wollen sie alle hin, gläubige Russen, urlaubende Deutsche, streunende Katzen, Wallfahrer, Heiratswillige, Seeleute: Nikolaus-Aura einatmen in der St. Nikolaus Kirche am Meer.

Bevor man sie betritt, kann man zur Stärkung noch einen frisch gepressten Orangensaft an einer Getränkebude am Eingang bekommen oder Halsketten und Armbänder, die Frauen an ihresgleichen loswerden wollen. Und wer wollte dem Nikolaus nicht in schönstem Putz entgegentreten?

Den Töchtern eines verarmten Mannes in Patara – wo er selbst um 300 nach Christus geboren wurde – hat der gute Mann einst Gold für die Aussteuer durch den Kamin gesandt. So rettete er sie vor dem Freudenhaus, auf das ihr Vater in seiner Not verfallen war. Und legte zugleich den Grundstein zu seinem Nachleben als Santa Claus.

Das ist der Grund, weshalb die wahre Weihnachtsstube einen Kamin braucht. Historisch korrekt kann der Gabentisch eben nur per Rauchfang bestückt werden. Doch Vorsicht: Der Heilige, den kein Mensch mit Gott Amor verwechselt, winkt sogar Freier heran. Zumindest kennt die Kunstgeschichte Darstellungen davon. Auf einer stürmischen Seefahrt soll er auch noch einen ertrunkenen Seemann mit Gebeten ins Diesseits zurückbeordert haben. Diese Leistung wies den Sohn eines wohlhabenden Weizenhändlers aus Kleinasien für alle Ewigkeit als Schutzheiligen der Seeleute aus. Über die byzantinische Tradition wiederum gebührt ihm ein Platz ganz oben auf der Heiligenskala Russlands.

Wie schön, dass es einen Ort auf der Welt gibt, wo man Hagios Nicholaos, der an einem 6. Dezember gestorben sein soll, förmlich riechen kann: Nicht, dass hier jemand mit Weihwasser um sich sprenkelte, Tannenduft versprühte oder noch seltsamere Rituale abhalten würde. Die kleine Kirche im türkischen Myra, das heute Demre heißt, besticht gerade durch mangelndes Zeremoniell, stilgeschichtliche Brüche und die Wärme, mit der die Menschen verschiedener Kulturkreise und Religionsgemeinschaften dem weltberühmten Wohltäter begegnen.

Ein Schneemann war er nicht. Nikolaus gehört nicht auf Schlitten, sondern ins Fischerboot: Er kam von der türkischen Südküste. Inmitten von Apfelsinenplantagen hat er als Bischof von Myra die frohe Botschaft verbreitet. Das Volk selbst soll seine Kirche errichtet haben.

Längst liegt natürlich kein Stein von damals mehr auf dem anderen. Was das Gotteshaus über die Jahrhunderte erlitten hat – Einsturz, Wiederaufbau, Arabereinfall, Zerstörung, baugeschichtlich unbekümmerte Restaurierung – lässt sich an jeder Mauerfuge ablesen. Marmorsäulen, die nichts tragen außer prächtigen Kapitellen, stehen mitten im Raum. Auf wertvolle antike Mosaiken setzen die Massen unbedacht ihren Fuß um das „Nikolausgrab“ zu betrachten

Wer’s glaubt, wird selig. Die Gebeine des Heiligen Nikolaus befinden sich schließlich nicht in seinem zerbrochenen Sarkophag, sondern im apulischen Bari. Ausgerechnet Seeleute hatten sie gestohlen.

Allerdings zeigt auch das Museum von Antalya ein paar Nikolausknochen, und zu guter Letzt schmiedet sich jeder so seine eigene Legende. Die Vorstellung, dass das weite Meer sein Grab ward, ist ja auch sehr hübsch.

Damit man ihn gleichwohl fest mit Myra verknüpft, verkauft der Saint Nicholas Shop in der Museumsstraße Heiligenbildchen und Ikonen aller Art. Fliegende Händler halten Nikoläuse in denkbar vielen Materialien und Größen bereit, während Reproduktionen diverser Nikolaus-Bildnisse ganze Ladenfronten schmücken. Es weihnachtet schrill, wohin man blickt.

Als monumentale Bronzefigur mit milden Zügen, Sack über der Schulter und Kleinkindern am Rockzipfel steht die beliebte Figur im Grünen neben der Kirche, mit roter Mütze als unübersehbares Wahrzeichen für die Touristen im Stadtzentrum. Optisch attraktiver als das Nikolausgrab sind freilich das in den Fels gehauene antike Theater von Myra und die Felsengräber direkt daneben.

Wie Myra war auch Phaselis etwas weiter nördlich an der Küste ein wichtiges Handelszentrum. Gleich drei Häfen besaß die mächtigste Hafenstadt des antiken Lykien. Heute streift man durch Ruinen unter Pinien. Das Meer ist so klar, dass die Götter selbst darin abgetaucht wären.

Zunächst hatten Kriegsheimkehrer aus Troja hier Fuß gefasst. Als Gründungsjahr gilt indes 690 vor Christus. Ein Siedlertrupp soll dem Hirten Cylabros Ländereien abgeschwatzt haben gegen getrockneten Fisch. Das trug ihm Ehre ein! Man glaubte, allein ihm den Fischreichtum zu verdanken. Goldbrasse, Seebarsch, blaue Krebse, Wels am Spieß? Für Fischesser ist die Gegend das Paradies.

Im Jahr 546 angelten sich die Perser Phaselis, 333 vor Christus weilte Alexander der Große im Winter dort. War es der gute Wein, der ihn hielt? Türkischer Rebsaft soll den Eroberer öfters über die Maßen entspannt haben. Wie Nikolaus kommt im Übrigen auch die Weintraube aus Anatolien.

Ebenso strömten Piraten nach Phaselis und machten vor Olympos nicht Halt: Eine längst versunkene Stadt, noch so richtig in der Natur versteckt, jedoch erreichbar über eine unbefestigte Straße, die parallel zu einer Schlucht verläuft.

Olympos ist nicht von dieser Welt. Das haben insbesondere Jugendliche kapiert, die in den Sommerferien im einsamen Waldtal ihre Zelte aufschlagen und die Orangen von Olympos gleich von den Bäumen essen. Die Frage ist nur: Pirates Camp oder Lila Pansiyon?

Diese Typen pfeifen auf die uniformen Ferienanlagen, die sich rund um den Urlauberknotenpunkt Kemer stapeln und suchen das Ursprüngliche. Na ja: Den Orange Club mit der Tequila Night zu haben, ist schon nett.

Wie eine erhabene Kulisse wirkt das mächtige Taurusgebirges, bis zu 3000 Metern hoch. An seinem Fuß finden sich schroffe Felsen, abgeschiedene Buchten, antike Spuren im grünen Hain. Die Altertümer am Cirali Strand, die sich den Blicken der wenigen Besucher zu entziehen suchen wie Susanna im Bade denen der lüsternen Alten, sind keine imposanten Tempel. Vom Theater ist wenig zu erkennen, das Gebiet fällt allmählich an die Natur zurück.

Auf schmalem steinigen Pfad pirscht man im Gänsemarsch vom Oto Park, über den gackernde Hühner wackeln, in die Tiefen des Nationalparks, hinein in die stille Natur. Moment mal, schlich da nicht eben ein Nymphchen durchs Schilf? Und der Heilige Nikolaus trug ihr ein Goldstück nach?

Kein Grund zum Gram: Wer seine Liebste nicht so aufwendig beschenken kann, mag ihr weit Köstlicheres bieten. Wir sind in der Gegend besonderer Naturschätze: Die heißen Mandel, Nuss und Granatapfelkern.

Dorothee Baer-Bogenschütz

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