zum Hauptinhalt
310924_0_968497ee.jpg

© CuboImages

Reise: Insel der Hoffnung

Ihr Lampedusa gilt den Italienern als Naturjuwel. Für afrikanische Bootsflüchtlinge war es bis vor kurzem das rettende Ufer

Klein und verschlafen, ein Anhängsel Italiens, mehr in Afrika als in Europa: Lampedusa. Ein Naturjuwel abseits vom Touristentrubel – und doch im Fokus: Die Insel kam zu zweifelhaftem Ruhm aufgrund von erschütternden Fernsehbildern. Gestrandete Bootsflüchtlinge aus Afrika waren vor Jahresfrist zu sehen, alle mit der Hoffnung, in Lampedusa im wahrsten Wortsinn das rettende Ufer erreicht zu haben. Nun sind die Auffanglager geschlossen. Die Inselbewohner atmen auf, für sie kann der Alltag wieder einkehren.

Denn Italiens südlichste Insel ist vor allem ein Ziel für Natururlauber. Türkisblaues Wasser, weiße Sandstrände und schroffe Felsen prägen das Bild. Wer Lampedusa besucht, fährt deshalb mit dem Eindruck heim, auf einer Insel mit einigen Widersprüchen gewesen zu sein.

Aus der Luft sieht das winzige Eiland südlich von Sizilien aus wie der Rücken einer steinernen Schildkröte. Erst aus der Nähe eröffnet sich dem Besucher eine herbe Schönheit: Kristallklares Wasser umspült die Felsen und Strände. Wohin das Auge reicht, wachsen inmitten von stacheligem Gestrüpp und Gestein wilde Blumen und Kräuter: Gelbe Margeriten und rosa Malven halten sich tapfer auf den Felsen neben wildwachsenden Artischocken und Fenchel.

Die größte der drei pelagischen Inseln, nur etwa 120 Kilometer von Tunesien entfernt, gehört geografisch schon zu Afrika. Politisch war sie lange heiß umkämpft: Von den Griechen über die Phönizier, Römer und Sarazenen bis zu den Aragoniern waren alle versessen darauf, Lampedusa in ihren Besitz zu bringen, um von dort aus Afrika zu erobern.

Der Großteil der rund 5000 Inselbewohner lebt im einzigen Ort, der ebenfalls Lampedusa heißt. In der Hauptstraße Via Roma reihen sich Gemüse- und Schreibwarenhändler an die Bank und das Postamt. Neben dem Pub, der bis in die Nacht geöffnet hat, gehören natürlich auch mehrere Kaffeebars zu einem ordentlichen italienischen Ort.

Vom Alltagstempo her scheint die Insel schon mehr zu Afrika als zu Italien zu gehören. Kleine Jungs spielen Fußball auf dem dafür eigentlich ungeeignet holprigen Kopfsteinpflasterplatz vor dem Bürgermeisteramt. Einige alte Männer stehen plaudernd um einen Gemüsewagen, Frauen eilen mit plärrenden Bambini an der Hand durch den Ort. Ein Hund wacht auf einer Mauer träge über das Geschehen.

Jedes Jahr im Februar jedoch erwacht der Ort zeitweilig aus der scheinbaren Lethargie: Die Wale kommen! Die Wanderungen der Meeressäuger dauern in der Regel bis April. Fast alle ansässigen Fischer bringen dann ihre Boote auf Vordermann und bieten Ausfahrten für Touristen an. Delfine und Meeresschildkröten hingegen sind für Besucher kaum noch etwas Besonderes: Sie lassen sich sogar vom Strand aus gut beobachten. Fast die ganze Südküste ist ein Naturschutzgebiet. Als besonders schön empfinden Touristen – hauptsächlich Norditaliener – die „Spiaggia dei Conigli“ und die „Cala Pulcino“ – den „Strand der Hasen“ und den „Kükenstrand“.

Regenwasser ist die einzige Frischwasserquelle Lampedusas. Von vereinzelten Olivenbäumen und Palmen abgesehen, bestimmen Feigenkakteen und Agaven das Bild. Ab und an trifft der Besucher auf einen privaten Gemüsegarten und ein paar herumstreunende Ziegen. Der karge Boden ist aber für Ackerbau und Viehzucht eher ungeeignet. Haupteinkommensquellen sind der Fischfang und der Tourismus.

Durch die Schlagzeilen über überfüllte Flüchtlingslager und das hier stationierte Militär hat der Fremdenverkehr allerdings starke Einbußen erlitten. „Zu Ostern hatten wir in der Vergangenheit normalerweise 300 bis 500 Gäste, je nach Wetterlage. Dieses Jahr waren es noch knappe 30“, klagt Emanuele Billardello, der sein Geld mit Bootstouren und der Vermietung von Apartments an Touristen verdient.

Dass sich die Situation wieder ändert, hoffen die Bewohner nicht. Bereits im Mai hatte die konservative italienische Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi damit begonnen, in Zusammenarbeit mit Libyen Bootsflüchtlinge direkt nach Afrika zurückzuschicken, bevor sie einen Fuß auf italienischen Boden setzen können. Seit Beginn Anfang November sind die Lager ganz geschlossen, doch das Abschiebeprogramm war und ist umstritten. Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingshilfswerk der UN (UNHCR) protestierten wiederholt, ein solches Vorgehen sei nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar. Libyen verfüge nicht über ein ausreichendes Asylrecht, und die Lager dort entsprächen nicht europäischen Standards. Allerdings haben die „sbarchi“, wie die Flüchtlingslandungen in Italien genannt werden, drastisch abgenommen, und damit auch die geballte Präsenz von Militär und Polizei. Anfang 2009 war Lampedusa schlecht informierten Touristen dagegen noch wie ein besetzter Felsen erschienen.

Wer heute den stillen Ortskern der Insel besucht, kann kaum glauben, dass auf dem nur 20 Quadratkilometer großen Eiland im Jahr 2008 rund 32 000 Verzweifelte aus Afrika strandeten. Nur noch wenig erinnert daran, dass Lampedusa bis vor kurzem für Tausende von Verzweifelten, die in überfüllten Holzkähnen und Schlauchbooten die gefährliche Überfahrt von Afrika wagten, das „Tor nach Europa“ war.

Im Inneren der Insel liegen auf dem „Cimitero delle Barche“, dem „Schiffsfriedhof“, übereinandergestapelt noch hunderte von der See zerstörte Fischerboote. Östlich der Hafeneinfahrt verweist das Denkmal „Porta d’Europa“ des Künstlers Mimmo Paladino auf die ungezählten Opfer, die auf diesen Reisen im Mittelmeer verschwanden.

Katie Kahle

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false