zum Hauptinhalt
Rathmore Country House in der Grafschaft Wicklow – Urlaub auf dem Bauernhof, ganz auf die irische Art.

© Volkmar Heinz

Irland: Die Spitzbuben von Wicklow

Südlich von Dublin faszinieren Landschaft, gastliche Menschen – und schaurige Geschichten.

Seit Rathmorefarm kein Bauernhof mehr ist, ticken die Uhren anders. Belinda geht nicht mehr in aller Herrgottsfrühe in den Stall, sondern – etwas später – in ihr Café, um Frühstück für die Gäste vorzubereiten. Full Irish Breakfast natürlich: Aufs Büfett stellt sie Porridge, den Haferbrei, Toast, Joghurt, Jam und Marmelade. Auf Backblechen und in Töpfen verteilt sie, was gebraten, gekocht oder gegrillt auf die Teller gelegt wird: Eier und Schinkenspeck, weiße Bohnen in Tomatensoße, würzige kleine Schweinswürstchen, Tomaten, Champignons. Dazu gibt es noch Black Pudding, also Blutwurst mit Grütze, oder White Pudding, nur Grütze ohne Blutwurst. Wer hier zulangt, übersteht den ganzen Tag. Und wer Belindas zahlreiche Ausflugstipps befolgt, hat ohnehin kaum Zeit für lange Restaurantbesuche.

Dass Rathmorefarm kein Bauerhof mehr ist, liegt an der Autobahn, die vor einigen Jahren von Dublin gen Süden nach Wexford gezogen wurde. Für sie musste ein Flüsschen umgeleitet werden und rückte näher an die Farm heran. An den neuen Ufern war es dann verboten, 120 Kühe zu halten. Also bauten Belinda, ihr Mann und dessen Familie das Anwesen völlig um. Die Ställe rund um den Hof wurden zu Ferienwohnungen, innen mit gefliesten Bädern und modernen Küchen. Außen aber behielten die Cottages ihr bäuerliches Aussehen aus vielfarbigen Natursteinen.

Aus der Bäuerin Belinda ist nun eine Herbergsmutter, Hoteldirektorin und Fremdenführerin geworden. Die Gäste stattet sie mit Landkarten aus, markiert darauf Fahrtrouten und Wanderstrecken, kreuzt Sehenswürdigkeiten an, notiert den Namen der Menschen, nach denen man fragen soll. Denn bei ihr gehören zum Full Irish Breakfast noch jede Menge Infos über die Region: Die Grafschaft Wicklow, die sich südlich von Dublin von der Ostküste der Insel bis zu den kahlen Bergen des Nationalparkes Wicklow Mountains dehnt, bietet viel von dem, was Irland ausmacht: Strände, weite Weidelandschaften, alte Wälder, historische Städtchen, Seen, Wasserfälle, Herrenhäuser und Gärten, in denen sogar Palmen wachsen.

In die Mount User Gardens gleich in der Nähe kommt Belinda sogar manchmal mit, denn für diese großzügige, von einem Fluss durchzogene Anlage schwärmt sie ganz besonders. Hier hat sie, die Protestantin, vor vielen Jahren mit ihrem Mann, dem Katholiken, Hochzeit gefeiert. Es sei ein romantisches Fest gewesen, erzählt sie, obwohl das ungleiche junge Paar bis zu seiner Trauung vielen Widerständen trotzen und um Toleranz bitten musste.

Irlands Geschichte ist allgegenwärtig, die jüngste wie die ganz alte. Gäste, die sich dafür interessieren, schickt Belinda zum Beispiel ins Wicklous Goal, das einstige Gefängnis von Wicklow. Wo früher Verbrecher und Spitzbuben, vor allem aber Patrioten eingekerkert waren, um zumeist ins ferne Australien verschifft zu werden, ist heute ein Museum. Sie bekomme noch immer Gästehaut, erzählt Belinda, wenn sie die Szenerie des Laderaumes eines Gefangenentransporters betritt, wenn die Wellen an den Schiffsrumpf klatschen, wenn Wächter brüllen, wenn lebensgroße Figuren angestrahlt werden und zu sprechen beginnen, wenn der Geschundene sein Schicksal beklagt, wenn die von einem englischen Matrosen geschwängerte Irin weint. Und die Besucher begegnen nicht nur Puppen. Museumsmitarbeiterin Emely sitzt in einer Zelle und erzählt eintretenden Besuchern ihre Geschichte, also die der jungen Elisa, die 1845 nach Australien verbannt wurde, weil sie angeblich ihr Baby getötet hatte. Und der Gefängnisaufseher – gemimt von Patrick – führt mit rauer Stimme und ernstem Gesicht durch die Kerker.

"Old MacDonald had a farm, I-a-i-a-o …"

Der Schäfer P. J. – Patrick John Odea – ist gar nicht belämmert.
Der Schäfer P. J. – Patrick John Odea – ist gar nicht belämmert.

© Volkmar Heinz

Viel weiter zurück in die irische Historie führt ein Besuch in Glendalough, wo man laut Belinda unbedingt gewesen sein muss. Als es dort im 6. Jahrhundert weder Weg noch Steg gab, hatte sich der heilige Kevin das Tal mit den beiden Seen ausgeguckt, um sich niederzulassen und ein Kloster zu gründen. In dessen Blütezeit vom 7. bis zum 13. Jahrhundert lebten bis zu 3000 Menschen hier. Heute sind nur noch die Reste der Klosterstadt zu besichtigen: moosüberwucherte Mauern, die anmuten, als seien sie direkt aus dem Boden hervorgewachsen, Grabsteine, die sich neigen und einander stützen.

Die Aufgabe des Gästeführers Dara ist es, anderthalb Jahrtausende in einem 30- Minuten-Rundgang unterzubringen. Er legt sich sogar mit Reiseführerautoren an: „Da steht tatsächlich, der hohe Rundturm mit der Tür drei Meter über dem Erdboden sei gebaut wurden, damit sich die Mönche vor den Wikingern verstecken konnten. Man stelle sich vor: Die Wikinger kommen übers Meer und weil ihnen die Tür zu hoch ist, kehren sie wieder um?“ Nein, Dara ist überzeugt, diese Türme waren Landmarken. Und die Grabkreuze? „Die gibt es in allen Keltisch sprechenden Ländern. Aber natürlich behaupte ich jetzt einfach mal, die haben wir hier erfunden.“

Es ist leicht, mit Iren ins Gespräch zu kommen. Etwas Englisch ist nützlich; Gälisch sprechen sie bei Fremden nur, wenn man sie aus Neugier darum bittet. Ein handlicher Reiseführer, dieser oder jener der zahlreichen Prospekte, die in den Tourismusbüros ausliegen, eine Gastgeberin wie Belinda und der Zufall – das genügt um die Gegend kennenzulernen.

Per Zufall lernt man zum Beispiel Leute wie P. J. kennen. P. J. – Patrick John Odea – ist Schäfer und trägt gerade behutsam ein eben geborenes Lamm von der Weide in den Stall. Dass da einfach ein paar Fremde auf seinen Hof kommen, um den Winzling zu bestaunen, stört ihn überhaupt nicht. Schon ist man im Plausch über Schafe im Besonderen und die Landwirtschaft im Allgemeinen und natürlich über das Wetter, das wieder mal zu kühl und feucht ist. Zumindest für das Lämmchen.

Auch Belinda hat noch einen Bauern in ihrem Bekanntenkreis, den man unbedingt besuchen sollte: MacDonald, der Bio-Joghurt und original irischen Käse macht. „Ich bin der, von dem das Kinderlied handelt“, behauptet der Spaßvogel und singt: „Old MacDonald had a farm, I-a-i-a-o …“ Joghurt und Käse schmecken in jedem Fall, wie Belindas Gäste schon aus dem Café wissen. Dort frühstücken übrigens nicht alle Gäste, die in den 27 Cottages und den Bed & Breakfast- Zimmern (B & B) von Rathemorefarm wohnen. Wer mag, kauft auf dem Wochenmarkt oder in einem der vielen kleinen Eckläden ein und kocht selber.

„Self Catering“ (Selbstversorgung) hat in Irland Tradition. Die ersten Ferienhäuschen wurden 1970 offiziell registriert, Ferienwohnungen gibt es seit 1983. Rund 3500 Ferienhäuser sind allein auf der Webseite www.entdeckeirland.de zu buchen. „Da gibt es ganz moderne Bungalows, tolle Villen und kleine historische Häuschen“, erzählt Belinda und wirbt auch für ihre Mitbewerberinnen. „Viele Vermieterinnen bieten auch ein Programm. Bei einer meiner Kolleginnen kann man sogar stricken lernen. Und ich organisiere meinen Gästen alles, was sie wollen. Ich hatte schon Kurse in irischem Volkstanz auf dem Hof oder habe den Fischer angeheuert für Touren auf dem Meer.“ Selbst wer Whiskey verkosten will, ist auf Rathemorefarm richtig; Belindas Mann hat eine Destillerie gepachtet und brennt seinen eigenen – ganz offiziell.

Ein Dutzend Kühe hat Rathemorefarm – neben all den Streicheltieren – übrigens behalten. Sie stehen aber nicht mehr im Stall, sondern im Sommer wie im Winter auf einem Hügel hoch über dem Anwesen. Von dort aus können sie beim Wiederkäuen weit übers Meer schauen und die Champignons beim Wachsen beobachten. Die wiederum werden fürs Full Irish Breakfast gegrillt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false