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Stillleben im Dorf. Bornholmer lieben Glas. Und manche von ihnen stellen es selbst her, Mundgeblasenes in vielen Farben und Formen.

© Gerald Haenel/laif

Kunst auf Bornholm: Jeder macht sein eigenes Glas

Fisch und Farben: Wer Bornholm mit allen Sinnen genießen will, fährt im Herbst auf die dänische Insel.

Allein das Licht macht die Reise zu einem kleinen Wunder. Wer Bornholm, Dänemarks kleine Insel vor der südschwedischen Küste, noch nicht im Herbst erlebt hat, kann sich von Pete Hunner dazu inspirieren lassen: „Das trockene Gelb eines abgeernteten Weizenfeldes, auf das ein Sonnenstrahl fällt, der seinen Weg durch das dunkle Blaugrau des Himmels gefunden hat, die Sonnenuntergänge mit ihren kühlen und feurigen Farben …“ Jeden Tag aufs Neue gerät der Glasbläser über das Zusammenspiel von Landschaft, Meer und Licht ins Schwärmen. Mit seiner Frau Maibritt Friis Jönsson fängt er Tag für Tag diese Farben ein.

Die kleinen Kunstwerke, die bei Baltic Sea Glass entstehen – Vasen, Schalen in Muschelform, Flaschen, Weingläser und grüne, blaue, weiße Schnapsgläser – werden in Glasvitrinen ausgestellt. Verträumt spiegelt sich in ihnen der Hintergrund: Wiesen, Felsen und das weite Meer. „Das brillante Licht, der Himmel und das ständig wechselnde Wetter, die Uferfelsen und ihre Reflexionen im Meer“, das sind die unerschöpflichen Zutaten, aus denen das Glasbläser-Ehepaar seine Inspiration bezieht. Und wenn die Sonne untergegangen ist und die Glasbläserei geschlossen wird, stellt Pete Hunner das Schild mit dem Wort „Feuerabend“ auf. Was Urlauber für ein geniales Wortspiel halten, ist allerdings ein Versehen: Als der Künstler den Schriftzug aufs Schild malte, hielt er das Wort für die korrekte deutsche Übersetzung.

Es gibt auf der Insel noch ein halbes Dutzend weiterer Glaspuster, wie Glasbläser auf Dänisch heißen. Das Atelier im Fachwerkstädtchen Gudhjem nennt sich Glasrøgeri, weil es in einer ehemaligen Heringsräucherei untergebracht ist. Früher säumten die Ufer der Insel unzählige dieser Fischräuchereien, heute sind nur noch ein paar davon in Betrieb. Von Weitem schon sind sie an ihren Kaminen zu erkennen, die wie eckige, auf dem Kopf stehende Trichter aussehen.

Wenn geräuchert wird, kräuseln sich weiße Rauchsäulen über den Schloten, und es riecht würzig nach Erlenholz. Mit Wasser, das sie über die brennenden Holzscheite gießen, und mit nassen Lappen, die sie mithilfe von Stangen über das Feuer halten, sorgen die Mitarbeiter in den kleinen Betrieben für eine gleichmäßige Rauchentwicklung. Dreieinhalb Stunden dauert es, bis sich die silbrig glänzenden Heringe, zum Räuchern paarweise an den Kiemen verhakt und aufgehängt, in goldgelbe Bücklinge verwandelt haben. Welch eine Delikatesse!

Auch auf Bildern von Oluf Høst, dem berühmtesten Bornholmer Maler, sind die charakteristischen Räucherkamine fast immer zu finden. Vor allem aber war der Künstler Meister darin, das Bornholmer Licht einzufangen, seine Bilder sind von glühender Farbigkeit. Viele hängen in seinem Haus in Gudhjem, wo er mit seiner Familie von 1929 bis zu seinem Tod 1966 wohnte. Heute gehört es als Museum zu den größten Touristenattraktionen der Insel. In Høsts Atelier im ersten Stock sieht es so aus, als hätte er nur für ein paar Minuten den Raum verlassen: An der Staffelei lehnt ein Bild, dicke und feine Pinsel und bunte Farbpaletten liegen auf dem Tisch.

Viele lassen sich vom Licht der Insel Bornholm inspirieren

Schon vor hundert Jahren hat das magische Licht auf Bornholm, das vor allem an der Ostküste von besonderer Intensität ist, zahlreiche Maler vom dänischen Festland auf die Insel gelockt. Die Kustoden im schneeweißen und mit zahlreichen Exponaten dänischer Künstler gespickten Bornholmer Kunstmuseum hören es gar nicht gerne, dass diese Landschaftsmaler unter der Rubrik „Bornholmer Schule“ zusammengefasst werden. Ihnen wäre „Bornholmer Inspiration“ lieber – und dieser Begriff wäre tatsächlich treffender.

Die Maler, die sich heute vom Licht der Insel Bornholm inspirieren lassen, stellen meist in ihrer eigenen Galerie aus. Es ist ganz selbstverständlich, dass man ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen darf. Den Glasbläsern natürlich auch, den vielen Bornholmer Keramikern, den Schokoladenherstellern, den Bonbonkochern, den Lakritzmachern. Einen guten Überblick über die Bornholmer Kunsthandwerker vermittelt Grønbechs Gård. Das Ausstellungshaus des Verbandes für Kunst und Kunsthandwerk auf der Insel trennt die Spreu vom Weizen.

Im umgebauten, rund zweihundert Jahre alten, prächtigen Kaufmannshof im Städtchen Hasle an der Westküste werden nur Künstler vorgestellt, die den hohen Qualitätsansprüchen des Verbandes entsprechen. Wer einem von ihnen etwas abkaufen will, muss dessen Atelier oder Werkstatt aufsuchen.

Bornholm ist so klein – 40 Kilometer in der Länge, 30 in der Breite – , dass Auto fahrende Besucher immer schnell an ihrem Ziel sind. Radfahrer haben es da schwerer. Immer weht ein Wind auf der Insel, und immer kommt er – gefühlt – von vorn. Zudem ist Bornholm kein plattes Land. An der Ostküste schlängelt sich sogar die einzige Serpentine Dänemarks von Gudhjem hinauf auf die Hauptstraße. Dennoch ist Bornholm eine beliebte Fahrradinsel. Die 230 Kilometer Radwege sind ausgezeichnet beschildert. Die meisten liegen weit vom Verkehr entfernt und führen zum Teil auf alten Eisenbahntrassen quer über die Insel durch Felder und Wälder. Kein Wunder, dass auf jedem zweiten Auto auf der Fähre „Povl Anker“ von Sassnitz nach Bornholm Fahrräder auf dem Dach befestigt sind.

Ob als Auto- oder als Radfahrer: Immer wieder kommen Inselbesucher an einem der Wahrzeichen Bornholms vorbei, an einer der vier mittelalterlichen Rundkirchen. Unumstritten ist, dass sie als Wehrkirchen genutzt wurden. Aber wurden sie einst zu diesem Zweck errichtet? Der deutsche Schriftsteller Hans Henny Jahnn („Fluss ohne Ufer“), der lange auf der Insel lebte, hält die Kirchen für heidnischen Ursprungs – „vorgeschichtliche Bauten, die in die christliche Geschichte eingegangen sind“.

Das Licht auf Bornholm hat ihn zu der Überzeugung gebracht, dass die Rundkirchen ursprünglich Sonnentempel waren. Der Unterraum war danach der Wintersonne geweiht, der Oberraum der Sommersonne. Wer erlebt, wie die Herbstsonne durch das schwere Gemäuer dringt und die mittleren Säulen der Rundkirchen mit ihrer erstaunlich frisch wirkenden Freskobemalung in Szene setzt, mag die These des Schriftstellers gern unterstützen.

Horst Schwartz

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