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Reise: Lizenz zum Prickeln

An der Côte des Bar führt die Champagner-Route zu mehr als 500 Winzern. Schon Auguste Renoir lobte ihre Tropfen

Es ist eine ruhige Gegend, ein bäuerlich geprägtes Hügelland. Sanft geschwungene Höhenzüge, die gerade so hoch sind, dass der Blick noch über sie hinwegschweifen kann. Ein paar Wälder bereichern das hier vorherrschende Grün um eine weitere Nuance, in stillen Dörfern drängen sich schmucklose Natursteinhäuser um klotzige Kirchen. Doch wohin man auch schaut, man wird kaum ein Fleckchen finden, an dem nicht Armeen von Rebstöcken Stellung bezogen haben.

Mal ehrlich, die Heimat des Champagners stellt man sich anders vor. Man ist geneigt zu glauben, dass die Trauben für dieses Getränk, das immer noch als Symbol für Luxus und Genießertum herhalten muss, in einer spektakulären, weltoffenen Region heranreifen würden. Dabei vergisst man gerne, dass auch der Champagner ein Produkt ist, das sich harter Arbeit verdankt. Herkunft und Aura dieses besonderen Rebensaftes stehen in einem starken Kontrast – gerade hier an der Aube, der weithin unbekannten Ecke der Region Champagne, deren Charakter im herben Charme der Ursprünglichkeit gründet. Wer auf der Champagner-Route rund um die Städtchen Bar-sur-Aube und Bar-sur-Seine nach Entdeckungen sucht, kann sicher sein, vor den Winzerhöfen einen Parkplatz zu finden. Die Champagner-Metropolen Reims und Epernay sind weit entfernt.

„Fast ein Viertel der gesamten Rebstöcke der Champagne wachsen an der Côte des Bar“, erklärt Michel Drappier. Der Winzer aus Urville, dessen Familie seit 200 Jahren das Weingut bewirtschaftet, führt Besucher durch das Allerheiligste seines Betriebs. „Diese Keller sind von den Mönchen des Klosters Clairvaux im 13. Jahrhundert angelegt worden“, erklärt der Hausherr stolz. Hier reift der Wein in den Holzfässern und wartet in Flaschen abgefüllt in den sogenannten Rüttelpulten auf die tägliche Vierteldrehung von Hand. Drappier erklärt: „Dies führt dazu, dass sich die mit dem sogenannten Likör aus gesüßten Weinen zugesetzte Hefe nach rund vier Wochen im Flaschenhals konzentriert.“ Auf diese Weise entsteht der prickelnde Charakter. „Danach wird in einem schwierigen Vorgang, dem Degorgieren, der nicht zuletzt über die Qualität des Champagners entscheidet, der überflüssige Hefesatz freigesetzt.“

In den Kellern von Michel Drappier fallen Flaschen in unglaublichen Größen auf. Der Önologe versteht die hohe Kunst der Flaschengärung in Riesenformaten. Melchizedec, das den Inhalt von 40 herkömmlichen Flaschen aufnimmt, heißt das größte Format. Bei solchen Mengen hilft vielleicht der Verweis darauf, dass die edlen Drappier-Tropfen den geringsten Schwefelgehalt aller Champagner aufweisen. Und der regelt schließlich die Kopfschmerz-Wahrscheinlichkeit.

An der Côte des Bar führt die Champagner-Route zu mehr als 500 Winzern. Die meisten von ihnen sind „recoltants-manipulants“. Das heißt, nur eigene Trauben dürfen verwendet werden. „Und die werden ausnahmslos von Hand gepflückt“, sagt Guy Morize schmunzelnd, als mache ihm der Gedanke an die mühevollen Wochen im Weinberg nichts aus. Der gemütlich erscheinende Winzer kommt aus einem besonderen Ort. Les Riceys ist nicht nur die größte Winzergemeinde der Champagne, sondern auch die einzige mit gleich drei kontrollierten Herkunftsbezeichnungen. Am bekanntesten ist aber nicht der Champagner, sondern der Rosé des Riceys. „Den hat schon Ludwig XIV. geschätzt“, erzählt der Winzer, während er langsam den Korkenzieher dreht, so als wolle er die Vorfreude ein wenig anregen. Dieser erstklassige Rosé überrascht durch sein feines Bukett aus Wildblumen, Veilchen und Haselnüssen. Nach der Verkostung rät Guy Morize zu einer Wanderung durch die Weinberge. „Man sieht die Landschaft in einem ganz anderen Licht, wenn man ihre Produkte kennt.“

Einer, der sie geliebt hat, war Auguste Renoir. In mehr als 20 Jahren verbrachte der Maler die Sommer in Essoyes an den Ufern der Ource, wo man heute auf seinen Spuren spazieren kann. „Bei den Winzern fühle ich mich wohl, weil sie großherzig sind“, sagte Renoir einmal. Er hätte heute wohl den gleichen Eindruck.

Auch das nahe Troyes steht zumindest äußerlich ganz im Zeichen des Champagners, weist doch die Altstadt die Form eines Champagnerkorkens auf. Aber die Metropole des Départements Aube bietet mit ihrem komplett denkmalgeschützten Kern und dem größten Bestand an Fachwerkhäusern in Frankreich, mit Geschäften, Restaurants und Museen sozusagen eine „Entschädigung" für das herbe Bauernland der Umgebung.

Den Champagner-Freund wird es jedoch zurückdrängen in das grüne Auf und Ab an der Côte des Bar. Lebhaft geht es in den Dörfern der fünf Täler nur auf den Winzerhöfen – und bei Verkostungen – zu. Sonst herrscht hier eine Atmosphäre der Gemächlichkeit, die im Bewusstsein zu gründen scheint, Heimat eines besonderen Produktes zu sein, das ungeachtet konjunktureller Entwicklungen seinen Siegeszug um die Welt fortsetzt. Auch in anderer Hinsicht gibt man sich bescheiden. Repräsentative Residenzen der Winzer sucht man bis auf das prunkvolle Château Bligny vergebens.

So etwas wie die Hauptstadt der Champagner-Route ist Celles-zur-Ource, in dessen Grand Rue in jedem zweiten Haus ein Winzer lebt – 42 an der Zahl. Ein paar Kilometer weiter, im Weiler Courteron, ist Jean Pierre Fleury zu Hause, der erste Bio-Winzer der Champagne. Lange wurde er vom konservativen Champagner-Völkchen skeptisch beobachtet. Doch die 1989 begonnene Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung nach den Demeter-Richtlinien hat sich bewährt. Das Aroma des Fleury-Champagners ist unverfälschter Ausdruck des besonderen Bodens dieser Gegend. So schmeckt die Champagne.

Ulrich Traub

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