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Lourdes: Amen vor dem Morgengrauen

Vor 150 Jahren soll in Lourdes die Muttergottes erschienen sein. Zigtausende Pilger kamen seither. Heute predigt Papst Benedikt XVI.

Schlüssel sind stumme Objekte – normalerweise. An einem Ort der Wunder aber kann selbst ein Autoschlüssel eine Geschichte erzählen. Jemand hat ihn an den Fels genagelt, und krumm wie er ist, hatte der Wagen wohl einen schweren Unfall. Der Fahrer muss ihn überlebt haben – hinge der Schlüssel sonst in der Grotte von Lourdes? Aus Dankbarkeit vielleicht; oder als Zeichen der Hoffnung.

Lourdes, dieses Städtchen zwischen den französischen Ausläufern der Pyrenäen, gehört zu den größten Heiligtümern – weil dort vor 150 Jahren einer armen Müllerstochter die Muttergottes erschienen sein soll. Bernadette Soubirous war damals 14 Jahre alt und Lourdes ein Nest im Schatten seiner trutzigen Burg. An den Ufern des Gaves, der von den Bergen herab fließt, sollte das Mädchen Feuerholz sammeln; der 11. Februar 1858 war winterkalt. Nahe der Grotte von Massabielle, wo sich Abfall sammelte und Schweine suhlten, hörte Bernadette plötzlich „ein Geräusch wie ein Windstoß, doch kein Baum bewegte sich“. Dann bemerkte sie in einer Felsnische eine „kleine Dame“ in einem weißen Kleid.

Noch 17-mal in den folgenden Monaten offenbarte sich die Jungfrau Maria dem Kind. Die Quelle, die das Mädchen auf ihr Geheiß in der Grotte freigrub, sprudelt seitdem ununterbrochen. Und weil noch während der Erscheinungen kranke Menschen, die an der Grotte beteten, plötzlich gesund wurden, sprach man von Wundern. Das ist bis heute so geblieben: Von den 7500 ärztlich dokumentierten unerklärlichen Heilungen hat die Kirche 67 als Wunder anerkannt.

Es ist noch früher Tag, sanft bricht die Stunde der Dämmerung an. Über den Gassen, die sich bergauf, bergab um das Heiligtum winden, beginnt sich der Lourdes-eigene Klangteppich zu weben. Murmeln, Singen, Lachen, Beten in allen Sprachen der Welt und dazu der Vierklang der Glocken, das Ave von Lourdes. Die Menschen sind unterwegs zur Messe, in der Grotte feiern an diesem Morgen zuerst die Spanier, nach einer Stunde versammeln sich die Gläubigen aus Deutschland um den heiligen Ort. Einzelne Pilger, aber auch Gruppen warten auf den Segen, ganz vorn die Kranken in ihren Rollstühlen.

Mit dem letzten Amen hat die Sonne den Frühnebel verzehrt, und die natürliche Schönheit, die diesen Ort umgibt, zeigt ihr Gesicht: In grünen Wellen steigen die Hügel aus der Ebene, einer über dem anderen, bis hinauf zu den Dreitausendern. Still träumen Felssteinhäuser zwischen Weiden und Äckern; nur die Stadt Lourdes ist fast immer hellwach.

Stunde um Stunde ziehen die Menschen andächtig durch den zerklüfteten Bauch der Grotte; sie berühren den Fels, bringen Blumen und Kerzen. Eine Engländerin hat ein Bündel Briefe dabei, später fließen diese Zeilen ein in die Fürbitten der Priester. Die Quelle sprudelt inzwischen unter Glas. Doch ein Teil des Wassers wird abgezweigt und neben der Grotte durch eine Leitung geschickt. Mit Kanistern und Flaschen warten Menschen geduldig an den Hähnen, bis sie an der Reihe sind. Sie alle wissen, dass nicht das Wasser Körper und Seele heilt, sondern der Glaube.

Pater Uwe Barzen hat einen Lieblingsplatz in Lourdes. Seit sechs Jahren leitet er am Wallfahrtsort die deutsche Pilgerseelsorge und hat alle Hände voll zu tun. Doch immer wenn er Zeit hat, geht Pater Barzen über die Brücke zum anderen Ufer des Gave und verweilt gegenüber der Grotte. „Von hier aus“, sagt er, „habe ich einen besonderen Blick auf das ganze Kirchenensemble.“ Über der Grotte wachsen drei Gotteshäuser in den Himmel. Die Einweihung der Krypta 1866 hat Bernadette noch miterlebt; als man 1901 die Rosenkranzbasilika weihte, lebte sie nicht mehr – sie ist nur 35 Jahre alt geworden. Das große Mosaik über dem Hauptaltar hätte der einfachen, bescheidenen Seherin Freude gemacht: Umrahmt von kindlichen Engelgesichtern, breitet Maria die Arme aus und empfängt die Welt. Und es scheint, als berge ihr Lächeln ein Geheimnis.

Immer mehr Pilger strömten im Laufe der Jahrzehnte aus allen Ländern in das 15 000-Einwohner-Städtchen – Kranke, Gesunde, Helfer und Neugierige. Sechs Millionen sind es in diesem Jahr, und alle zusammen haben den Wallfahrtsort zur zweitgrößten Hotelstadt Frankreichs gemacht, nach Paris. Majestätisch beherrschen die Grandhotels der Jahrhundertwende die krummen Gassen, dazwischen bescheidenere Herbergen und Souvenirläden, die keinen Wunsch nach einer Erinnerung oder einem Geschenk offenlassen.

Nur zwischen November und Ostern kommt Lourdes ein wenig zur Ruhe – normalerweise. Doch in diesem Jahr ist Jubiläum, zum 150. Mal jährt sich die Erscheinung der Müllerstochter Bernadette, die 1933 heiliggesprochen wurde. Gedenkfeiern, Begegnungen und Prozessionen wechseln sich bereits seit dem 8. Dezember, Mariä Empfängnis, ab. Heute ist der Höhepunkt: Der Papst kommt nach Lourdes.

Die kleine Gruppe aus dem Allgäu wartet reisefertig in der Hotellobby, sie war mit ihrem Gemeindepfarrer und dem Bayerischen Pilgerbüro nach Lourdes gereist. Fünf aufregende Tage liegen hinter den Wallfahrern. Sie haben verschiedene Gottesdienste gefeiert und sind den Spuren der Bernadette gefolgt. „Besonders schön“, erzählt ein Teilnehmer, „waren die Lichterprozessionen am Abend.“ Er und seine Frau, beide Ende 70, waren neugierig auf diesen Ort, „ein bisschen behindert sind wir ja auch schon“, sagt er und lächelt. „Wir haben natürlich nicht damit gerechnet, dass wir geheilt werden. Aber man wird zufriedener“, fügt er leise hinzu. Und die kleine Glasflasche mit dem Wasser, die die Form der Jungfrau Maria hat, bekommt zu Hause einen Ehrenplatz.

Christiane Zander

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