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Luebeck

© Franz Lerchenmüller

Lübeck: Wo der Senator heimlich Torte aß

Der Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann ist an Drehorten in Lübeck neu verfilmt. Kinostart ist am ersten Weihnachtstag.

Das Marktgeschehen zwischen Buddenbrookhaus und Marienkirche ist reinstes 19. Jahrhundert. „Und bitte noch einmal!“ Ingo Scheither bückt sich, hebt den Sack voller Holzspäne von der Karre, wischt sich die Hände an der braunen Schürze ab, wendet sich seinem Nachbarn, dem Fischverkäufer zu. Wo bleiben denn heute nur die Kunden? Hühner gackern, der Gemüseverkäufer ordnet seine Kohlköpfe, beim Schmied stieben die Funken und nebenan räuchern die Aale. Alles nur Kulisse. Die 16 Millionen Euro teure vierte Verfilmung von Thomas Manns nobelpreisgekröntem Roman „Buddenbrooks“ kommt am ersten Weihnachtstag in die Kinos.

Fahrradständer und Verkehrsschilder wurden für die Filmarbeiten abgeschweißt, das Kopfsteinpflaster aus Kunststoff ist ausgerollt, die Einfahrt zum Parkhaus mit einer Backsteinfassade verblendet. „Aus“, schreit Regisseur Heinrich Breloer plötzlich. Der Brunnen, an dem eine Magd Wasser zapfen soll, funktioniert wieder mal nicht. Die Techniker fluchen, der Regisseur knurrt entnervt, ob überhaupt jemand ahne, wie teuer solche Unterbrechungen seien.

Ingo Scheither und die anderen Statisten widmen sich wieder ihrer Hauptbeschäftigung: Warten, warten, warten. Dass der 56-jährige Sozialarbeiter mit dem weißgrauen Lockenkopf hier für 80 Euro am Tag den schmutzigen Marktknecht gibt, war eher Zufall. Er hatte seinen Sohn zu dem Bewerbungstermin begleitet und war von den Cas ting-Leuten quasi nebenbei „entdeckt“ worden. Wochen später kam die Aufforderung, sich einzufinden. Und jetzt versucht er wie alle anderen, nicht direkt in die Kamera zu blicken und möglichst ungekünstelt zu agieren.

Einige Dutzend Lübecker wurden im Sommer 2007 als Statisten bei den Dreharbeiten zu den „Buddenbrooks“ eingesetzt. Die vierte Verfilmung des Weltromans ist die erste, die hauptsächlich in der Hansestadt gedreht wurde. 16 Millionen Euro investierte die Bavaria Film, Stars wie Armin Müller-Stahl, Iris Berben, August Diehl und Jessica Schwarz geben dem opulenten Streifen Glanz.

Gästeführerin Heide Aumann zeigte bereits 2006 Regisseur und Kameramann die malerischsten Plätze Lübecks und begleitet heute Besucher bei einem Rundgang auf den Spuren der Dreharbeiten. Das setzt einiges an Wissen voraus, denn Lübeck ist in Sachen Mann ja alles zugleich: die Stadt, in der Thomas geboren wurde und zur Schule ging, der Ort, an dem er seine Buddenbrooks handeln und wandeln ließ, und neuerdings eben auch Filmkulisse.

Im Rathaus mit seinen schwarzglasierten Ziegeln stürmten die Film-Arbeiter die Treppe hinauf und verlangten nach der „Republike“, weil doch „Revolu tschon öwerall“ sei. Die Große Petersgrube, ein Bilderbogen gotischer, barocker und klassizistischer Fassaden, wurde ordentlich eingesaut, um Thomas Buddenbrook einen eindrucksvollen Tod auf schmierigem Pflaster zu ermöglichen. Den Grünstreifen vor dem Holstentor trennte man durch zwei Zäune mit Backsteinmuster vom fließenden Verkehr, verhängte den Blick auf die Kaufhäuser der Holstenstraße mit einer stilvollen Fototapete, und wieder und wieder fuhr die Kutsche mit Tony Buddenbrook ab nach München.

Das Erscheinen der „Buddenbrooks“ im Jahre 1901 sorgte in Lübeck für heftige Empörung. Bald kursierten Enthüllungslisten: Wer ist wer in dem Roman? Noch 1955 konnte die Ehrenbürgerschaft für Thomas Mann allein deshalb beschlossen werden, weil sich ein Teil der Abgeordneten der Stimme enthielt. Heute ist das anders, sagt Heide Aumann. „Ich kriege immer wieder mal zu hören: ,Wissen Sie, unsere Vorfahren kommen auch im Roman vor.‘ Und ich frage dann: ,Ach ja, und was für eine Geborene sind Sie denn?‘“

Für das verwinkelte Gängeviertel erhielt Heide Aumann eine besondere Aufgabe. Sie sollte ein kleines heruntergekommenes Objekt finden, für jenes Versteck, das Senator Möllendorp am Ende seines Lebens öfter aufsuchte: „Eine Kammer, ein wahres Loch“, zitiert die Führerin wieder einmal Thomas Mann, „wohin er sich heimlich geschlichen hatte, um Torte zu essen ... und dort fand man auch den Entseelten, den Mund noch halb voll zerkauten Kuchens, dessen Reste seinen Rock befleckten.“ Sie schlug ein von Efeu überwuchertes Häuschen im Hellgrünen Gang vor. Ob die Crew sich dafür entschieden hat, erfährt auch sie erst bei der Premiere: Bis dahin ist alles höchst geheim.

Die Schauspieler, erzählt Frau Aumann, zeigten sich sehr angetan vom Drehort Lübeck. Iris Berben und Jessica Schwarz ließen sich von ihr durch die Stadt führen. Sie wurden trotz ihrer Sonnenbrillen erkannt, aber kein einziges Mal angesprochen. Hanseatische Dezenz – „das putzt ungemein“, hätte Thomas Mann gelobt.

Der Saal der Gemeinnützigen mit seinen grauen, laubverzierten Säulen und den Bildern der Altvorderen wurde zur Börse. Hier tätigten die Herrn in Gehrock und Zylinder ihre Geschäfte und tauschten den neuesten Klatsch aus. Es sind entscheidende Szenen, denn Heinrich Breloer ging es nicht nur um die „Familie, die bei sinkender Vitalität an Sensibilität gewinnt“. Ebenso sehr interessierte ihn, wie eine traditionsverhaftete Stadt in den Wirbel der ersten Globalisierungswelle im 19. Jahrhunderts geriet und Kaufleute an den Herausforderungen der modernen Zeit zerbrachen.

Wer den Lübeck-Tag stilecht ausklingen lassen möchte, ordert abends im „Schabbelhaus“ das sogenannte Buddenbrookmenü. Das Restaurant der Kaufmannschaft gleicht bis ins Detail jenen lübschen Kaufmannshäusern aus dem 19. Jahrhundert, in denen die Manns und Konsorten tafelten. Im Kerzenlicht schimmern die Steinfliesen, die Kellner tragen auf: Heiße Kräutersuppe, die Röllchen von Seezungenfilets mit Hummer- und Champignonsauce, und schließlich kommt auch der „kolossale, ziegelrote, panierte Schinken, geräuchert, gekocht“. Genau wie im Roman? Nun ja, ein bisschen Rosmarin und Knoblauch gönnt Chef Roberto Rossi der „säuerlichen Chalottensauce“ schon, und im „Plettenpudding“ geben die Amarettini anstelle der Makronen dem Traditionsdessert eine italienische Note.

Was übrigens den Statisten und Sozialarbeiter Ingo Scheither angeht: Der bekam am Ende des Drehtages das Angebot zu einem weiteren Auftritt. Er musste jedoch aus Zeitgründen passen. Verhindert per Dienstplan – so ist schon so manche Hollywoodkarriere im Sand verlaufen.

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