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Mecklenburg: Fährmann, hol över

Auf dem Schmalen Luzin in Mecklenburg existiert eine der letzten handbetriebenen Seilfähren Europas.

Zwischen dem dichten Laub des Buchenwaldes glitzert verheißungsvoll blau-grau das tiefe Wasser des Schmalen Luzin. Eine steile, gut hundert Stufen lange Natursteintreppe führt hinunter zum Arbeitsplatz von Thomas Voigtländer. Er ist Fährmann, sein Nachen eine der letzten handbetriebenen Seilfähren Europas. Natürlich ist sie eine Attraktion für alle Urlauber, die an der Feldberger Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Aber, und darauf legt Voigtländer großen Wert: „Sie ist ein normales öffentliches Verkehrsmittel.“

Ruhig liegen die großen Hände des Fährmanns auf dem fast mannshohen Rad, greifen gemächlich um und ziehen den Kahn an einem zwischen den Ufern gespannten Stahlseil lautlos über den See. Der bärtige Mecklenburger ist 48 Jahre alt. Der Schmale Luzin dagegen hat schon etwa 15 600 Jahre auf dem Buckel, und es gibt viel über ihn zu erzählen. Als ehemalige Schmelzwasserrinne entstand er während der sogenannten Weichsel-Eiszeit und füllte sich später dauerhaft mit Wasser. Eine Vergangenheit, die man bei genauem Hinsehen noch immer erahnen kann. Gerade mal 150 bis 300 Metern breit ist der sieben Kilometer lange Luzin. Seine Ufer fallen steil ab, das glasklare Wasser ist an einigen Stellen bis zu 34 Meter tief.

„Wissen Sie, woher der See seinen Namen hat?“ Voigtländer blinzelt über den Rand seiner Sonnenbrille, schmunzelt und erzählt seinen Fahrgästen von jenen Zeiten, als die wenigen Einwohner drüben im Hullerbusch noch fast ausschließlich vom Fischfang lebten. Zwei Angler seien damals mit ihrem Boot hinausgefahren, um herauszufinden, wie tief das Gewässer ist. Im Gepäck hatten sie einen schweren, gusseisernen Topfdeckel, den sie an einem Seil hinabließen. Doch sie verschätzten sich gewaltig: Der Strick war zu kurz. Immer wieder verlängerten sie ihn und probierten es aufs Neue. Vergeblich. Als sie am fünften Tage wieder ausholten, um ihre selbst gebaute Messapparatur zu versenken, dröhnte eine Stimme aus den Tiefen empor: „Lot sin! Lot sin!“ – auf Hochdeutsch: „Lass sein! Lass sein!“ Thomas Voigtländer nickt bedeutungsvoll und ergänzt: „Das war der Luzin-Geist.“

Auf der Feldberger Seite des Sees betreibt Voigtländer neben der seit mehr als 100 Jahren bestehenden Fährverbindung auch noch einen Bootsverleih nebst kleinem Imbiss. Von dort aus hat er das gegenüberliegende Ufer immer gut im Blick. Regulär pendelt er alle halbe Stunde, aber, keine Frage: Wenn jemand außer der Reihe kommt, macht er sich auch auf den Weg. Schulkinder, die öfter zu Besuch sind, rufen in solchen Fällen lauthals: „Fährmann, hol över!“ Andere klappen einfach eine kleine, an einer Astgabel befestigte Tafel um, so dass die rot angemalte Rückseite zu sehen ist.

Überwiegend Touristen sind es, die sich hier übersetzen lassen. Denn im Naturschutzgebiet Hullerbusch mit seinen mehr als 300 Jahre alten Buchen gibt es zahlreiche schöne Wanderwege und Naturlehrpfade. Eine Strecke, die der Fährmann besonders empfiehlt, führt zunächst hinauf auf den Hauptmannsberg, von dem aus man einen guten Ausblick über die benachbarten Seen hat. Von dort geht’s weiter durch ein Kesselmoor mit vielen seltenen Pflanzenarten, vorbei am Teufelsstein, dessen gut sichtbare Gletscherschrammen auch als Krallenabdrücke des Satans gedeutet werden, bis nach Carwitz.

In dem Dörfchen lebte einst der Schriftsteller Hans Fallada. Das 1875 erbaute Büdnerhaus, in dem er mit seiner Familie wohnte, dient heute als Museum. Wenige Schritte davon entfernt können sich Kinder auf einem Spielplatz austoben, der Falladas „Geschichten aus der Murkelei“ gewidmet ist. Beinahe genauso spannend wie Wippe, Schaukel und Co ist allerdings die Bäk, jener Bach, der direkt vorbeifließt und in dem sich prima Staudämme bauen lassen.

Ein Tipp für alle Angler: Hier bieten viele Vermieter von Ferienwohnungen und Pensionen Bett und Boot an – das eigene Paddelboot für jeden Gast gehört fast schon selbstverständlich dazu.

Von Carwitz aus führt der Weg schließlich am See entlang zurück zur Fährstation. Von Mai bis Ende Oktober tut Thomas Voigtländer dort an sieben Tagen der Woche seinen Dienst. Zuverlässigkeit müsse schon sein, schließlich sei sein Nachen auch für jene da, die im Hullerbusch wohnen. Wie viele das sind? Der Mann grübelt einen Moment, dann zählt er auf: „Da gibt es ein Hotel, eine Schäferei und fünf oder sechs andere Gebäude ...“ Mit einem Schmunzeln setzt er hinzu: „Ich wohne auch da drüben. Wenn die Saison zu Ende ist, dann packe ich die Fähre ein und nehme sie mit nach Hause.“

Die Feldberger Seenplatte ist etwa 30 Kilometer östlich von Neustrelitz gelegen, eine Region für Wassersportler und Naturliebhaber. Der Weg zur Luzinfähre ist in Feldberg gut ausgeschildert. Von Mai bis Ende Oktober kann man sich täglich zwischen 10 und 17 Uhr, am Wochenende und im Hochsommer bis 18 Uhr übersetzen lassen. Außerhalb der Saison oder bei sehr schlechtem Wetter sollte man sich unter der Telefonnummer 01 70 / 307 01 28 mit dem Fährmann verabreden. Weitere Informationen unter: luzinfaehre.de

Katja Bülow

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