zum Hauptinhalt
Aufwärts schieben, abwärts ziehen. So funktioniert die Zahnradlok der Snowdon Mountain Railway, die den Waggon zum Gipfel bringt.

© mauritius images

Mekka für Dampflokfreunde: Auf der Schieferbahn

In Wales wurden früher Bodenschätze per Schiene aus den Bergen an die Küste gebracht. Jetzt nutzen Touristen zahlreiche Strecken.

Zugbegleiter Wayne beruhigt die Gäste. „Um vier Uhr klart der Himmel immer auf“, versichert er auf dem Weg zum Gipfel des Mount Snowdon. Allerdings, es ist bereits halb fünf und der weiße Mantel, den sich der 1085 Meter hohe Berg umgelegt hat, rollt immer tiefer hinab ins Tal. Der Snowdon ist die höchste Erhebung in Wales. Bis Ende des 19. Jahrhunderts konnten Ausflügler ihn nur zu Fuß oder auf Pferderücken erklimmen. Doch seit 1896 gibt es die Snowdon Mountain Railway. Diese dampfbetriebene Zahnradbahn schnauft binnen einer Stunde über acht Kilometer bis zum Gipfel.

„Unsere vier Dampfloks sind um die 100 Jahre alt und stammen aus Winterthur in der Schweiz“, erzählt Wayne, während er vorn im Wagen darauf achtet, dass die Strecke nicht von Schafen versperrt wird. Falls doch, drückt er auf einen Knopf und signalisiert so dem Lokführer, dass er verlangsamen oder sogar stoppen muss. Die Zugeinheit besteht nur aus einem Waggon, der bergauf von der Zahnradlok geschoben und bergab gezogen wird.

Nordwales ist ein wahres Mekka für Dampflokfreunde. Mehr als 15 Schmalspurbahnstrecken gibt es auf einer Fläche von gerade mal 20 000 Quadratkilometern. Jedes Schienenfahrzeug hat seinen eigenen Charme. Und viele „Volunteers“, die freiwilligen Helfer, ohne die die kleinen Bahnen nicht überleben könnten. Aus allen Teilen der britischen Insel und auch von jenseits des Kanals kommen Ehrenamtliche und leisten zwei- bis dreimal pro Jahr ihren Dienst während ihres Urlaubs auf einer der Linien ab. Für keinen ist es eine Pflicht, sondern pure Leidenschaft.

Zehn Züge vermarkten sich unter dem Namen „Great Little Trains of Wales“. Kleinere Bahnen wie die Bala Lake Railway, die seit 1972 an der Ostgrenze des Snowdonia-Nationalparks fährt, vorbei am Bala, dem größten walisischen Natursee, zählen ebenso dazu wie die Welsh Highland und Ffestiniog Railway. Seit 2011 sind beide Schmalspurlinien im Herzen des Snowdonia-Nationalparks über den Bahnhof Porthmadog zu einer knapp 65 Kilometer langen Strecke miteinander verbunden.

Die blaue „Garratt 87“, die einst in Südafrika Zuckerrohr und Holz beförderte, wird heute vom Chef des Unternehmens, Paul Lewin, selbst gesteuert. Er ist Bahnenthusiast von Kindesbeinen an und gab dafür sogar seinen Job bei einer Ölfirma auf. „Genau wie die Ffestiniog Railway wurde die Welsh-Highland-Bahn im 19. Jahrhundert zu Zeiten Königin Viktorias gebaut, um Schiefer aus den Bergen an die Küste zu transportieren“, erklärt Andrew Thomas, einer der etwa 60 Festangestellten des Unternehmens. Nach 1941 war die Strecke stillgelegt und demontiert. Erst 1997 wurde Abschnitt für Abschnitt für touristische Zwecke neu eröffnet.

Die Reise nach Porthmadog beginnt hinter dem Schloss Caernafon an der Irischen See. Es wurde im 13. Jahrhundert vom englischen König Edward I. erbaut, nachdem er Wales erobert hatte. 1911 fand im Innenhof der gut erhaltenen Burgruine erstmals die zeremonielle Verleihung des Titels „Prince of Wales“ an den britischen Thronfolger statt. Der zweite und vorerst letzte, der diesen Titel in Caernarfon erhielt, war am 1. Juli 1969 der damals 20-jährige Prinz Charles, ältester Sohn von Königin Elizabeth II.

Zu Besuch bei Thomas, der kleinen Lokomotive

Brian Metcalf, Schaffner.
Brian Metcalf, Schaffner.

© Axel Baumann

Die Welsh Highland Railway zuckelt durch saftig-grüne Weiden, auf denen unübersehbar viele Schafe grasen oder dösen. Später rattert das Bähnlein entlang dem Fluss Gwyrfai und zuckelt schließlich am Nordufer des Sees Llyn Cwellyn vorbei.

Es gibt einen Erste-Klasse-Panoramawagen mit gepolsterten Sesseln und kleinen Tischen sowie unterschiedliche offene oder geschlossene Waggons, die schlichter gepolstert und mit einfacher Holzverkleidung ausgestattet sind. Den Pullman-Panoramawagen „Glaslyn“ taufte Queen Elizabeth II. im April 2010 höchstpersönlich. „Sie saß auf dem Stuhl, auf dem Sie jetzt sitzen“, sagt Andrew Thomas zu der jungen Frau in Reihe drei. „In der ersten Reihe direkt hinter den halbrunden Panoramascheiben durfte die Königin aus Sicherheitsgründen nicht Platz nehmen.“

Inzwischen schnauft der Zug am Ufer des Glaslyn-Flusses entlang, um nach zweieinhalb Stunden in die Hafenstation von Porthmadog einzulaufen. Wer mit der Ffestiniog Railway noch eine Stunde weiter bis nach Blaenau Ffestiniog fahren möchte, der steigt hier um und lässt sich von einer „Double-Fairlie-Lokomotive“ ziehen. Ihr charakteristisches Kennzeichen sind zwei Schornsteine, zwei Rauchkammern und ein Doppelkessel, der mitten durch das Führerhaus verläuft.

Wenn es bisher mit der Aussprache noch ging, so wird es bei der Talyllyn Railway schon schwieriger. 350 ehrenamtliche „Pufferküsser“ haben sich dieser seit 1951 wieder verkehrenden ehemaligen Schieferbahn verschrieben. Die rot-schwarze Lok „Sir Handel“ wird von einem hauptberuflichen Lokführer gesteuert. Wenn Andy Young bei Cross Country Trains durch die Lande braust, hat er allerdings nur 25 Kilometer pro Stunde auf dem Tacho. Seine Heizerin, Sarah Foster, ist Kunstlehrerin und verbringt wie Vater und Bruder jedes Jahr einige Wochen auf der Talyllyn Railway.

Auch Rachel Palfreyman verbindet tiefe Liebe zu den Stahlrössern. Als 14-jähriges Mädchen wurde sie 1982 vom Dampflokvirus infiziert. Bei Sturm, Regen und Kälte wie heute schippt Rachel Kohle auf den glühenden Rost, überwacht das Feuer und kontrolliert den Wasserstand im Kessel.

Susan Whitehouse ist sogar schon seit 50 Jahren dabei. „Bis aufs Lokfahren mache ich alles“, sagt sie, während sie durchs angeschlossene Museum führt. Hier erfährt der Besucher vieles über Schmalspurbahnen in Großbritannien, aber auch einiges über den Erfinder von „Thomas the Tank Engine“. In Deutschland sind die Kinderbücher unter dem Titel „Thomas, die kleine Lokomotive“ bekannt. Pfarrer Wilbert Awdry erdachte ab 1943 Geschichten für seinen Sohn Christopher. „Ab 1951 war er ehrenamtlicher Helfer bei der Talyllyn Railway. Vorkommnisse und Personen auf unserer Bahnlinie inspirierten ihn zur Erfindung der Skarloey Railway“, berichtet Susan Whitehouse. „Seit 30 Jahren verfasst nun schon Sohn Christopher die Kindergeschichten.“

Begegnen kann der Wales-Besucher dem erfundenen „Thomas the Tank“ sogar in der Wirklichkeit. In Llangollen dampft die hellblaue Lok mit dem freundlich lächelnden Gesicht mehrmals im Jahr auf der Mitte der 70er Jahre wieder verlegten Normalspurtrasse der Llangollen Railway durchs Flusstal des Dee.

Grüne Landschaft, drei Millionen nette Menschen, mindestens doppelt so viele Schafe, ein paar Schlossruinen und ganz viele Dampfloks – croeso i Gymru – willkommen in Wales.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false