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Michael B. kommt an Bord der „Sea Cloud“ mitten auf dem Atlantik zur Ruhe.

© Reinhart Bünger

Mit letzter Kraft an Bord: Die  Lebensbeichte eines Brokers, der den Kurs zu sich selbst sucht

Ein paar Wochen auf See reichen manchmal, um wieder in ein Gleichgewicht zu kommen, sich selbst zu spüren. Wie ein Brooker mit Burnout auf See wieder zu sich finden will.

Das Jahr geht zu Ende. Michael B. (Name von der Redaktion geändert) ist darüber überhaupt nicht froh. Er hat richtig Angst vor dem nächsten. Denn der Kapitalmarkt-Broker leidet unter Burnout, dem Erschöpfungssyndrom. Das hat er schriftlich. Vom Jahr 2002 an führte der Geschäftsführer mehr als fünf Jahre lang Prozesse gegen seine Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Fall ging durch die gesamte deutsche Presse. Zum ersten Mal wurde „Burnout“ als Berufskrankheit anerkannt.

Michael B. setzte sich als Erster in der Bundesrepublik Deutschland in Sachen Burnout gegen eine Berufsunfähigkeitsversicherung durch. Diese muss ihm nun seit rund zehn Jahren 10.000 Euro Rente monatlich zahlen. Glücklich hat ihn das nicht gemacht. Er ist weiterhin berufstätig.

Der Inhaber einer Firma mit sieben Angestellten bewegt im Geschäftsjahr rund 14 Milliarden Euro. Er selbst bewegte sich gegen Ende des Jahres kaum noch. Das war abzusehen. Deshalb hat er schon vor Monaten die Transatlantik-Crossing von Portugal nach St. John’s/Antigua (Kleine Antillen) auf der „Sea Cloud“ gebucht.

„Eigentlich ist mir der Törn in die Karibik viel zu kurz“, sagt Michael B. Der Dezember ist für ihn ein guter Monat, um einmal so richtig auszuspannen. Das Jahr sei ganz gut gelaufen. Da sei es gleichgültig, ob im Dezember noch etwas an Umsatz hinzu komme oder nicht. Der Laden werde eher weniger unter Volldampf laufen, vermutet er. „Wenn ich nicht da bin, machen die zu Hause nur selten ,Big Points'.“

Er selbst macht an Bord erst einmal ganz kleine Schritte und liegt unter freiem Himmel am liebsten auf riesigen blauen Schaumstoffkissen im Heck des Nostalgie-Segelschiffes. Er genießt es, sich geborgen zu fühlen. Und lässt sich von den Wellen schaukeln wie ein satter Säugling. „Vor zehn Jahren habe ich gemerkt, es geht nicht mehr“, erzählt der heute 63-Jährige. Erst nach vier Tagen an Bord und viel Schlaf hatte er keine Alpträume mehr. Er kennt das schon. „Ab dem fünften Tag fühle ich mich gut, und lege mich vorsichtshalber noch zwei bis dreimal tagsüber hin.“ Hier müsse er nicht mehr „mit Gewalt“ durchziehen.

Seit zirka 40 Jahren ist Michael B. als Kapitalhändler selbstständig. Er bewegt Millionenbeträge zwischen Banken, Sparkassen und der deutschen Versicherungswirtschaft. Wenn er heute nicht mehr weiter weiß, dann schlägt er Druck und Hektik durch einfache Abwesenheit ein Schnippchen. Eine Möglichkeit ist die „Sea Cloud“. Sonst sei er häufig in Malaysia untergetaucht: „Ein unkompliziertes Leben, nicht low level, aber sehr frei, sehr sicher.“ Die sechs Wochen dort hätten gerade so gereicht, um mit sich wieder in ein Gleichgewicht zu kommen. Sich zu spüren.

Im Januar beginnt aber nicht nur ein neues Jahr, sondern auch ein neuer Monat. Und davor graut Michael B. besonders. „Jeder Monat beginnt mit einer Null – und Du gehst zur Arbeit, weil etwas funktionieren muss, es muss!“ Mit seiner Belastbarkeit sei es aber nicht mehr so weit her. Wegen psychosomatischer Störungen ist er jetzt nicht nur durch die Bestätigung des Gerichtes berufsunfähig, sondern zusätzlich auch zu 70 Prozent schwerbehindert. Warum hört er nicht einfach mit dem ganzen Stress auf?

Jeder an Bord macht irgendwann seine Lebensbeichte.

Weit fort und hoch hinaus. - Schwindelfreiheit gehört zur Berufsbeschreibung der Sea Cloud Mannschaft. Und auch manche Passagiere gehen über sich hinaus...
Weit fort und hoch hinaus. - Schwindelfreiheit gehört zur Berufsbeschreibung der Sea Cloud Mannschaft. Und auch manche Passagiere gehen über sich hinaus...

© Reinhart Bünger

„Ich habe immer Angst, es wird weniger“, sagt Michael B. „Ich habe vor jedem neuen Jahr Angst, dass wir einbrechen: Weil wir ganz oben sind.“ Wohlmeinende haben ihm geraten zu verkaufen. Die eine oder andere Privatbank würde sich wohl für das Unternehmen interessieren, allein um den Kundenstamm zu erweitern. Aber Michael B. weiß nicht so recht. Nur, dass für ihn in ein, zwei Jahren Schluss sein soll, Schluss sein muss!

So lange will er sich mit Auszeiten, Schlaf, Aspirin, Valium und sonstigen Uppers und Downers auf Top-Niveau halten, damit er sein bisheriges Leben so weiterführen kann wie bisher. „Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und musste mir auch Liebe und Anerkennung hart erarbeiten. Heute arbeite ich nur noch, um den Laden zusammen zu halten.“

Der Süddeutsche hat mit dem verdienten Geld regelrecht geprasst, wie er freimütig sagt. „Ich bin neureich, leiste mir die teuersten Weine, die besten Zigarren, ich suche in Allem das Besondere – ich habe das Leben in vollen Zügen genossen. Doch abends ausgehen? Das kann ich gar nicht mehr, weil ich so etwas von flach bin und mich nur noch über die Runden quäle.“ Was macht ihn so kaputt? „Mich erdrückt, dass alles auf meinen Schultern liegt. Selbst, wenn es objektiv gesehen gar nicht so ist. Natürlich habe ich auch Angst, Marktanteile zu verlieren, die wir uns in Jahrzehnten aufgebaut haben.“

Diese Ängste dürften auch bei Kapitalhändlern ohne Burnout durch die Finanzkrise nicht geringer geworden sein. Die Marktlage ist sehr schwierig, sagt auch Michael B. „Im Kapitalhandel ist richtig Flaute. Bald wird es Eurobonds geben, die zwar keiner haben möchte, aber dann ist wenigstens für zwei bis drei Jahre Ruhe.“

Auch für ihn? Michael B. denkt nach. „Meine Auszeiten begannen mit einer Arktisfahrt – wo man zusammen gewesen ist und jedem alles erzählt hat – da ist jeder ehrlich zu jedem.“ Und dadurch werde er ruhiger. An Bord der „Sea Cloud“ habe er  ursprünglich Schwellenängste gehabt. Dann aber habe er feststellen können, dass ganz normale Menschen an Bord seien, keine prestigesüchtigen Wichtigtuer und arroganten Geldverdiener. Jetzt, bei der vierten Fahrt, fühle er sich auf dem Schiff richtig zu Hause.

Der Publikumsdurchschnitt sei sehr angenehm. „Und deshalb macht jeder an Bord hier irgendwann seine Lebensbeichte. Hier werden Dinge erzählt, die man längst weggehobelt hatte.“ Nun gut, aber wie könnte eine dauerhafte Befriedigung aussehen? „Ich stelle mir das toll vor“, sagt Michael B., „mit weniger Geld mehr Lebensqualität zu bekommen. Ich würde gerne in die Natur gehen und mich komplett neu aufstellen, Dinge tun, die ich jetzt noch gar nicht kenne.“

Michael B. ist auf zwei Reisen – die eine hat er sich geleistet und sie führt nach St. John’s auf Antigua zu den Kleinen Antillen. Die andere ist unbezahlbar und führt zu sich selbst. Den Kurs muss er noch finden.

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