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Mosel: Aufstieg zur Traube

An der Mosel liegt der steilste Weinberg Europas. Wer die Rebstöcke am Calmont begutachten will, muss schwindelfrei sein

Waltraud Junk meint es ernst. „Ziehen Sie sich bloß ordentliche Schuhe an“, sagt sie. „Denn in einfachen Tretern können Sie den Weg nicht bewältigen.“ Waltraud Junk ist sogenannte Weinerlebnis-Begleiterin am Calmont. Jedes Wochenende führt sie einige Urlauber über den 290 Meter hohen Moselhang zwischen Bremm und Eller, um ihnen die Rebstöcke, Pflanzen und Tiere am steilsten Weinberg Europas zu zeigen – und sie vor Fehltritten zu bewahren.

„Es gab hier sogar schon Todesfälle, weil sich Wanderer überschätzt haben oder kein Wasser dabei hatten“, erzählt die 58-Jährige auf dem Calmont- Klettersteig. Die Sommersonne heize den Berg schließlich mächtig auf. Der schmale Wanderweg windet sich in 150 Meter Höhe um die schroffen Bergfalten des Steilhangs. Er durchquert mehrere Weingärten und bietet prächtige Panoramablicke auf die engste Moselschleife – birgt aber auch meterhohe Felsvorsprünge und Schieferwände, die mithilfe fest montierter Leitern, Trittkrampen und bis zu 26 Meter langen Halteseilen zu überwinden sind.

„Schwindelfrei sollte man hier schon sein, denn der Steilhang fällt manchmal direkt neben dem Klettersteig ab“, betont Waltraud Junk. Werktags sei auf dem Wanderweg nicht allzu viel los, aber an den Wochenenden könne es schon einmal zu Staus an den Kraxelstellen des „warmen Berges“ kommen.

„Bis zu 60 Grad Celsius haben wir hier schon gemessen, weil sich die Schieferhänge im Sonnenschein extrem aufheizen – das sollten Wanderer berücksichtigen“, mahnt die Fremdenführerin. Nun gut, jetzt im Herbst bestehe diese Gefahr nicht mehr so. Die 58-Jährige hält immer wieder an, um auf wilde Buchsbäume und Feigen oder auch auf Smaragdeidechsen, Apollofalter und Schlingnattern hinzuweisen. Das mediterrane Klima am Calmont sei für die Tiere genauso ideal wie für den Riesling: Mehrmals jährlich erklömmen die Winzer den bis zu 68 Grad steilen Moselhang, um ihre Rebstöcke für eine kleine, hochwertige Ernte zu pflegen. Ein einziger Hektar erfordere 1800 Stunden Handarbeit im Jahr, versichert Waltraud Junk. Da könne es kaum verwundern, dass mancher Winzer bei niedrigen Weinpreisen aufgebe. Heute seien von 22 Hektar nutzbarer Hangfläche am Calmont nur noch 13 bepflanzt.

„Der Klettersteig wurde 2001 unter Mitwirkung des Alpenvereins angelegt, um das Interesse am Calmontwein wieder zu erhöhen – und der Plan geht auf“, erklärt die Führerin. Immer mehr junge Urlauber seien an dem schroffen Schieferhang unterwegs. Um etwas zu kraxeln, die Stille zu genießen und den Steillagenweinbau kennenzulernen.

„Und mancher Wanderer stürzt am Ende doch noch ab – bei einer Weinprobe in Bremm oder Eller“, sagt Waltraud Junk.

Martin Seger

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