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Museumsbesuch: Alles auf den Nierentisch

Mode, Spielzeug, Wohnzimmernippes: Ein Museum in Bremerhaven zeigt, was Menschen in den 50er Jahren gefiel.

Dieses Gotteshaus hat ein ganz erstaunliches Innenleben. Wo einst der Altar emporragte, stehen heute ein Goggomobil und ein Sachs-Motorrad vor einer Texaco- Zapfsäule. Im Kirchenschiff, wo die Gläubigen seinerzeit knieten, reihen sich die Geschäfte einer „Wirtschaftswunderstraße“ aneinander: Tante-Emma-Markt, Textilgeschäft, Friseursalon, Schreibwarenladen und – natürlich – Kneipe. Auf der anderen Seite finden sich: Küche an Jugendbude an Elternschlafzimmer – die Räume einer Sozialwohnung aus den 50er Jahren. Und hinter dem ehemaligen Chor haben eine Arztpraxis, eine Amtsstube und die gediegene Gaststätte „Waidmannsruh“ ihre Türen geöffnet, ganz so, als wären die letzten Patienten, Antragsteller und Gäste eben erst hinausgegangen.

Natürlich begann auch diese Kirche einmal als Kirche. 1948 wurde sie auf dem Gelände der Carl-Schurz-Kaserne im Bremerhavener Stadtteil Meddewarden für die amerikanischen Truppen gebaut. 1993 zogen die Soldaten ab. Zwölf Jahre später richtete Baronin Kerstin von Freytag Löringhoff ihr „Museum der 50er Jahre“ darin ein.

Zwischen Feuerzangenbowlegeschirr, XOX-Keksdosen und Tom-Prox-Heften wandert der Besucher hin und her. Er bewundert in Franz Geigers Schreib- und Tabakwarengeschäft Zigarrenabschneider, Griffelkästen und Buntpapierbögen und versucht, in den Fotos über der Boch-Ola, der „hässlichsten Musiktruhe der Welt“, Claus Biederstaedt und Ruth Leuwerik zu erkennen. Irgendwann aber fragt er sich: Was treibt wohl jemanden an, so viel Kram zusammenzusammeln? Ist dies das Werk eines Messies, der einfach nichts wegwerfen kann?

„Ich kaufe sogar noch dazu, bei Haushaltsauflösungen, Auktionen und über Anzeigen“, sagt die Museumsgründerin. „Denn tief in mir drin habe ich ein Spurensucher-Gen.“ Die 53-jährige Historikerin und Psychologin war ein Besatzungskind. Ihre Mutter kam als Opernsängerin aus Würzburg, ihren Vater, den GI aus den USA, hat sie erst spät ausfindig gemacht. Das Museum war ihr Versuch, sich der eigenen Vergangenheit und der Geschichte ihrer Eltern zu versichern. Deshalb sammelte sie. Holte vom Sperrmüll. Baute auf. Lagerte ein. Und hat inzwischen in der Auseinandersetzung mit den fünfziger Jahren „die Sache mit der Herkunft“ für sich selbst erledigt und zu den Akten gelegt.

Der Besucher lernt zunächst einmal. Er steht 1949 vor dem Kohleofen, der Kochkiste, dem Wäschestampfer und dem Sack „Maiskernpuder – Geschenk der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika“ – und staunt zwei Abteilungen weiter und zehn Jahre später, welch gewaltige Fortschritte Deutschland inzwischen gemacht hat: Wie selbstverständlich gehört jetzt ein Gasofen in die Küche, dazu Waschmaschine und Mixer. Und die Farbe der „Schwedenmöbel“ darf dann schon mal gern ein pastellenes Lindgrün sein: Das kommt, wie so viel Gutes, topaktuell aus Amerika, es steht dort für Frische und Gesundheit und kündigt schon mal die „Iss-dich-schlank- Welle“ an.

Natürlich fehlen auch nicht die legendären Nierentische, die der Epoche ihren Namen gaben, auch wenn weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ein entsprechend geformtes Möbel besaßen. Es gibt Tütenlampen und Vasen, die an Herzen oder Lebern erinnern, und der Besucher versteht jetzt, was jene „organoiden Formen“ sind, die den Stil der zweiten Hälfte der 50er Jahre kennzeichnen, ehe sie von geometrischen Mustern verdrängt werden.

Das alles ist sehr farbenfroh, vielgestaltig und abwechslungsreich, und die Älteren seufzen bei ihrer Entdeckertour immer wieder mal nostalgisch „Ach ja, so was hatten wir auch im Wohnzimmer“, während die Jüngeren öfter ungläubig den Kopf schütteln: „A nöö!“

Doch um diese Reaktionen hervorzurufen, hat die Baronin ihr Museum nicht eingerichtet. Sie will etwas anderes.

Das Elternschlafzimmer – Fluchtburg der Erwachsenen

Ihr geht es auch darum, die „mentale Seite“ jener Zeit zu beleuchten. Kann man, fragt sie, der Mode, dem Spielzeug, dem Wohnzimmernippes entnehmen, was die Menschen dachten, empfanden und verdrängten? Oder anders: Spiegeln die Dinge vielleicht sogar wider, wie es „so vielen Deutschen gelang, gleichsam übergangslos aus der NS-Zeit in die ,moderne Zeit‘ hinüberzuwechseln“?

Deshalb hat sie eigene Texte zu einzelnen Schwerpunkten dieses „verlogen-vorsichtigen Jahrzehnts“ – wie sie es formuliert – geschrieben. Und die bringen Erscheinungen zusammen, analysieren, erklären – und dabei ergeben sich noch mehr Fragen. Denn es geht um jene Jahre, in denen es in manchen Familien schon verpönt war, nach dem Beruf des Vaters vor 1945 zu fragen. Leisetreten ist angesagt, nach dem weltweiten Dröhnen deutscher Knobelbecher.

„Dezente Einfügung, Harmonie und Vermeidung von Peinlichkeit sind oberstes Gebot bei der Wahl der Kleidung“, rät das „Einmaleins des Guten Tons“ von Dr. Gertrud Oheim, Bibel aller Karrierebewussten. Das Elternschlafzimmer – Doppelbett in hellem, poliertem Holz mit angerüschter Überdecke, Bettumrandung, Nachttische, Frisierkommode, Wäschetruhe – wird zur Fluchtburg der Erwachsenen. Gespräche dort „gehen Kinder nichts an“. Die Damenbinde auf dem Bett, scheinbar versehentlich liegen gelassen, beleuchtet grell, wie verpönt das Thema Sexualität ist.

Doch es ist noch ein zweiter, ganz anderer Pol, der die Zeit prägt. Neben der etwas stickig-miefigen Idylle aus Mecki, Schwarzwaldmädel und Jägerstammtisch erwächst eine neue Lust am Leichten, ein Wunsch nach Aufbruch und Teilhabe an der Welt. Da raschelt der Tüll des Petticoats, da rekelt sich die Schwarze mit dem blonden Pferdeschwanz neben dem fragilen Salzstangenhalter aus Kupferdraht und in den Büchern stöckeln gertenschlanke Lockenköpfchen in schwingenden Röcken neckisch an Eiffelturm und Petersdom vorbei. Fast dürfen wir schon wieder wer sein in der Welt!

Ist diese Ausstellung, wie manche Besucher bemängeln, unpolitisch? Was für ein grandioses Missverständnis. Gewiss, da hängt kein Wahlplakat „Keine Experimente! Konrad Adenauer“ und es ist nicht explizit die Rede von Wiederbewaffnung, KPD-Verbot und Eichmann-Prozess. Aber wer lesen kann und sich Zeit nimmt, dem erzählt dieses Museum ungeheuer viel über die Befindlichkeit jener Jahre, die ja gerade den Boden für ihren dumpfen politischen Konservatismus bildete.

Zwischen den ausgestopften Auerhähnen, dem „Lachsalve“-Fragespiel und den Kneipenstühlen mit dem Qualitätssiegel „Bombenfest“ glaubt man manches geradezu körperlich zu spüren: das Unbehagen, die Enge und die Verlogenheit dieser Zeit, die ihre Kinder schon ein knappes Jahrzehnt später auf die Straßen treiben wird.

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