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Israel: Dem Mythos auf der Spur

Israel, das Heilige Land, gilt als Sehnsuchtsziel vieler Menschen. In sechs Folgen nehmen wir Sie mit.

Fast alles ist erlaubt in Köln und Jerusalem. Es wird getrunken, geküsst, getanzt und gelacht. Wenn es ums Feiern geht, zeigen sich die beiden heiligen Städte am Rhein und am Ölberg von ihrer ausgelassensten und farbenfrohesten Seite. Nur die Anlässe sind verschieden. Denn wo es beim Karneval darum geht, der bevorstehenden Fastenzeit ein Schnippchen zu schlagen, ist es beim Purimfest die Erinnerung an die trickreiche Errettung der jüdischen Gemeinde vor den politischen Machenschaften am persischen Hof.

Ein Ereignis, das fast ebenso tief in der Volksseele verankert ist wie die Befreiung von ägyptischer Fronarbeit vor mehr als dreitausend Jahren. Fluchtpunkt war damals das „gelobte Land“, in dem man sich später in der „Stadt Davids“ um den Ehrfurcht gebietenden Salomonischen Tempel versammelte. Zehn Einheiten Schönheit habe Gott auf die Erde herabgesenkt, so schwärmte man, und allein neun davon seien vereint im Heiligen Jerusalem.

Kein Wunder, dass man diese Stadt gar zum Mittelpunkt der Welt erklärte oder – in christlicher Zeit – sie zum Mythos vom „himmlischen Jerusalem“ hochstilisierte. Und dann erhob man sie unter dem Einfluss des Islams erneut zur Heiligen Stadt, ausgestattet mit dem dritthöchsten Rang aller muslimischen Heiligtümer nach Mekka und Medina. So entwickelte sich Jerusalem zur „Stadt der Religionen“, die ihre jeweilige Identität dort suchten und fanden. Nicht selten wurde dabei die „Stadt des Friedens“ zum Zankapfel, wobei jedoch die Notwendigkeit des gemeinsamen Auskommens ein zumeist friedliches Miteinander erzwang.

Besonders anregend und zugleich aufregend bei einer Entdeckungsreise in Israel ist daher die religiöse Spurensuche. Das Aufspüren des Mythos, der das Wesen des Heilige Landes und besonders der Heiligen Stadt Jerusalem bis heute ausmacht. Er reicht vom Berg Zion bis hin zum Stadtteil Mea Shearim, wo bei exotisch anmutender Kleiderordnung die traditionelle Schriftgelehrsamkeit der jüdischen Orthodoxie ihr Zentrum hat.

Treffpunkt aller gläubigen Juden jedoch ist die Klagemauer, der repräsentative Rest des kurz vor der Zeitenwende errichteten und von den Römern sogleich wieder zerstörten Herodianischen Tempels. Im Sechstagekrieg wurde sie zurückerobert, als sich die israelischen Truppen durch das Löwentor hindurch ihren Weg dorthin bahnten. Seitdem bietet sich für Juden aus aller Welt die Möglichkeit, an den gewaltigen Steinquadern Gott ihre persönlichen Anliegen vorzutragen.

Anrührend für den Beobachter ist die Innigkeit, mit der hier die Gebete zelebriert werden. Doch niemand weiß, was in dem jungen Soldat vorgeht, der sich bei geschlossenen Augen und abgelegtem Gewehr zum Zwiegespräch sammelt. Oder in dem schwarz gekleideten Frommen, der mit wippendem Oberkörper einen Text rezitiert und abschließend einen gefalteten Zettel mit seiner persönlichen Botschaft in eine der Mauerspalten zwängt.

Spuren hat natürlich auch die christliche Tradition hinterlassen. Unübersehbar die 14 Kreuzesstationen der Via Dolorosa, an deren Ausgangspunkt in der Burg Antonia sich einst Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld wusch. Die schmale Straße führt durch die verwinkelte Altstadt hinauf zum Hügel Golgatha, auf dem Jesus seinen Kreuzestod erleiden musste. Und genau über dieser Stelle wölbt sich seit Kaiser Konstantins Zeiten die Kuppel der Grabeskirche, in der am Ostersonntag in liturgischem Jubel auch die Auferstehung Christi gefeiert wird.

Auch die muslimische Tradition ist hier fest verankert. In den Straßen und Gässchen des muslimischen Viertels, in denen sich auf Märkten und in kleinen Läden orientalisches Flair wie kaum sonst irgendwo entfaltet. Eine Erinnerung an jene Zeit, als Saladin die von den Kreuzfahrern beherrschte Stadt zurückeroberte und ihr ihre muslimische Ausprägung verlieh.

Augenfälligstes Symbol islamischer Herrschaft jedoch ist der Felsendom. Seine goldene Kuppel wölbt sich über die Felskuppe des Berges Morija, auf der muslimische Frömmigkeit die Himmelfahrt des Propheten Mohammed lokalisiert. Erst beim zweiten Blick wird in der Nähe die Fassade der Al-Aqsa-Moschee erkennbar, die den Felsendom nicht an Ausstrahlung, wohl aber an Heiligkeit übertrifft.

Israel ist allerdings weit mehr als Jerusalem. So liegt es nahe, auch dem Geburtsort Jesu einen Besuch abzustatten und das Fluidum der Geburtsgrotte von Bethlehem, nur wenige Kilometer entfernt von den Mauern Jerusalems, in sich aufzunehmen. Und auch seiner Heimatstadt Nazareth im nördlichen Galiläa einen Besuch abzustatten, wo sich in Anspielung auf die alttestamentliche Verheißung eine Kirchenkuppel wie eine riesige Blüte über die zentrale Gedenkstätte wölbt.

Von hier aus machte sich Jesus auf den Weg zum See Genezareth, wo er als frommer Jude natürlich auch die heute noch in Resten vorhandene jüdische Synagoge von Kapernaum besuchte oder am Seeufer von Tiberias seine Jünger in die Nachfolge berief. Der schönste, ja bezauberndste Ort jedoch ist der „Berg der Seligpreisungen“ am Nordufer des Sees, wo er seine berühmte Bergpredigt hielt und alle diejenigen als glückselig bezeichnete, die einfältig „wie die Vögel unter dem Himmel“ bereit seien, sich auf eine völlig neue Denk- und Lebensweise einzulassen.

Ganz anders die von pulsierendem Leben erfüllten Küstenstädte Haifa und Tel Aviv. Besonders kosmopolitisch präsentiert sich Tel Aviv, das Geschäftszentrum des Landes. Vor gerade einmal hundert Jahren nördlich von Jaffa unter schwierigsten Bedingungen auf ein paar Sanddünen erbaut, gibt es Märkte und Boutiquen, Straßencafés und Parks. Dazu überrascht die Stadt mit einem verführerischen Strand vor imposanter Wolkenkratzerkulisse.

Und doch wäre das Heilige Land Israel unvollständig beschrieben ohne seine Wüste im Süden. Auf den ersten Blick ein Niemandsland, ist sie doch ein Anziehungspunkt von geradezu unglaublichem Reiz. Im Zentrum dieses Interesses steht das Tote Meer, mit 400 Metern unter dem Meeresspiegel der geografisch tiefstgelegene Ort der Erde.

Ein weiterer Höhepunkt ist hier die Felsenfestung Massada, von deren Plateau aus am frühen Morgen die absolute Stille der Wüste hörbar wird. Die Festung mit ihrem Herodes-Palast steht symbolisch für jüdische Tapferkeit und militärisches Durchhaltevermögen. Denn hier oben verschanzten sich einst die Aufständischen gegen die römische Besatzungsmacht, um dann doch in aussichtsloser Lage dem eigenen Leben ein Ende zu setzen.

Vor allem jedoch lebt die Spurensuche im Heiligen Land von den Begegnungen mit seinen Bewohnern. Zum Beispiel mit Mohammed, dem jungen Palästinenser aus Jericho, der an den steinernen Zeugnissen der „ältesten Stadt der Welt“ seine Gedanken über ein zukünftiges Miteinander der unterschiedlichen Volksgruppen preisgibt. Oder mit Avraham, dem „jüdischen Patrioten“, der als Mitglied der Friedensbewegung The Parents Circle in den Schulen des Landes für eine vorurteilsfreie Sichtweise wirbt.

Die jedoch ist häufig nicht mehr als ein frommer Wunsch. Und doch gibt es immer wieder Zeichen der Hoffnung. So wie in Beit Jala, einem Ort in der Nähe von Bethlehem, wo sich Christen in dem Rehabilitationszentrum Lifegate für die Betreuung und Förderung körperlich behinderter palästinensischer Kinder und Jugendlicher einsetzen. Ein soziales Engagement, in dem sich christliche Kultur von ihrer besten Seite zeigt.

Bernd Kregel

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