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Israel: Genuss ist heilig

Koscheres Essen, erstklassige Weine: Eine Gourmet-Reise durchs Gelobte Land ist überraschend – und äußerst delikat.

Judäa liegt friedlich unter der Mittagssonne, Weinreben und Olivenbäume überziehen die dünn besiedelten Hügel. Hätte der Weg nicht durch zwei Checkpoints geführt, man könnte vergessen, dass hier eine sehr bekannte Grenze verläuft.

Schon vor 3000 Jahren wurde in Judäa Wein angebaut. Als sich nach der Gründung Israels 1948 die Pioniere im Hichlal- Tal niederließen, mussten die Hügel rundum allerdings erst wieder urbar gemacht werden. Heute fahren amerikanische Reisegruppen und Fahrradtouristen die zahlreichen kleinen Winzereien ab. Die Kela David Winery von Amos Barzilai war 1992 eine der ersten. Der wortkarge Tiermediziner mit dem weißen Majestix-Bart arbeitet allein, ein Einsiedler, der hier draußen das Glück gefunden hat.

Einsiedler sind auch seine Weine: Der besonders temperamentvolle Merlot; der Petit Sirah mit Schokoladenbouquet und Lakritznote; und der halbtrockene Muscat, der an Rosenwasser erinnert. Dazu gibt es Brot mit Barzilais Olivenöl und eine ausgezeichnete Käseauswahl, darunter ein herrlich trockener Roquefort.

Hier stehen wir, nicht weit von der Sperranlage zum Westjordanland, am Tresen einer winzigen Wirtsstube, und in der Erinnerung klingen all die Genüsse der letzten Tage nach: Die erstklassigen Weine der Tishbi-Familie. Die koschere Gänsestopfleber in Jerusalem. Und die Pralinen aus der Schokoladenfabrik auf den Golanhöhen.

Schokolade auf den Golanhöhen? Genuss und Gefahr liegen nah beieinander: Während des jüngsten Libanonkrieges gingen hier die Raketen der Hisbollah nieder. In der Regel lebt es sich hier aber in friedlicher Ungewissheit. Im Kibbuz Ein Zivan hat sich Carina Chaplinsky niedergelassen, Tochter eines argentinischen Chocolatiers, und stellt handgemachte Pralinen und Schokoladenlikör mit höchstem Koschergrad her.

In der Küche legt die Chefin selbst die Tülle an, gerade verpasst sie einem bestellten Schokoladenhaus den Dachfirst. Chanukka steht vor der Tür, und wie vor jedem Feiertag gehen bei De Karina Sonderbestellungen ein. Chaplinsky hat es in Jerusalems Feinkostboutiquen geschafft, und die inzwischen privatisierte Staatsairline EL AL reicht ihre Kreationen den Businesspassagieren zum Dessert.

Die sehr süßen Pralinen tragen die Namen der Gipfel in der Umgebung. „Hermon“ hat eine weiße Kuppe, wie das Original, auf dem Israelis im Winter Ski fahren, wenn mal das Geld für den hier sehr beliebten Alpenurlaub nicht reicht. Die Form gleicht auch den Steinhaufen, die als Schutz vor feindlichem Feuer entlang der Straße aufgetürmt sind, die zurück zum See Genezareth führt, Richtung Haifa. Die Hafenstadt, bekannt für das relativ selbstverständliche Zusammenleben von jüdischen und arabischen Israelis, hat ein schönes neues Boutique-Hotel. Vom Jacuzzi auf dem Dach der Villa Carmel lassen sich durch Baumwipfel die Lichter des Hafens erkennen, wo seit dem 19. Jahrhundert die Einwandererschiffe anlegten. Zum Frühstück empfiehlt sich eine Schakschuka, das traditionelle Rührei mit Tomaten.

Zwanzig Minuten südlich liegen die Ursprünge israelischen Weinanbaus. Baron Edmon Rothschild, Förderer der Kolonisation in Palästina, brachte um die Jahrhundertwende französische Rebstöcke in den Kibbuz Zichron Yaakov, wo bis heute die die größte Winzerei des Landes steht, die Carmel Winery.

Jahrzehnte wurde israelischer Wein in Kooperativen hergestellt und war entweder Opferwein oder süß und perlig. Im benachbarten Benyamina hat sich 1985 der erste Winzer selbstständig gemacht, Yonatan Tishbi. Bei der Probe am langen Holztisch unter der Gartenlaube sticht ein interessanter Chardonnay heraus, mit blumigem Bouquet und honiggelber Farbe, der im Eichenfass eine eigenwillige Bienenstock-Note gewonnen hat. Heute führt Tishbis Sohn Golan das Familienunternehmen, das im Jahr eine Million Flaschen herstellt. Tishbi-Weine werden in edlen New Yorker Restaurants ausgeschenkt wie dem Waldorf Astoria oder den Craft Restaurants. Golan Tishbi zeigt stolz seine neueste Trophäe, ein goldener EL-AL-Flieger: Er hat es auf die Weinkarte der Airline geschafft.

Zur Probe gibt es köstliche Weinmarmeladen von Tishbis Schwester auf hauseigenem Sauerteigbrot. „Drei Monate habe ich experimentiert, bis ich den Teig perfekt hatte“, erzählt Tishbi und gewährt einen Blick auf seine gewaltige fünfzig Jahre alte Knetmaschine aus dem schwäbischen Winnenden. Golan Tishbi legt Wert darauf, der einzige sowohl biologisch als auch vegan produzierende Winzer Israels zu sein. Die Befolgung der Speisegesetze aus der Kashrut ist für ihn sowieso eine Selbstverständlichkeit. „Koscher ist einfach eine Gesundheitsfrage“, erklärt er.

„Die Menschen denken oft, koscheres Essen sei langweilig und salzig“, erzählt Oren Yerushalmi. Der junge Koch hat vor zwei Jahren das Scala übernommen, ein Restaurant im David Citadel Hotel vor den Mauern der Jerusalemer Altstadt. „Ich habe den Ehrgeiz zu zeigen, was für großartige Erfahrungen mit koscherer Küche möglich sind.“ Prompt schaffte er es in der Zeitschrift „Food & Wine“ unter die zehn besten Hotelrestaurants.

Im Gegensatz zu Tel Aviv sind gute koschere Restaurants in Jerusalem selten. „Ich beschränke mich auf das, womit ich aufgewachsen bin: die Küche des Nahen Ostens“, sagt Yerushalmi, der im viel gerühmten Tel Aviver Catit gelernt hat und in New Yorker Restaurants wie dem WD-50. Doch bezieht er italienische und französische Techniken mit ein. Seine Foie Gras ist ungewöhnlich mild und begeistert in der Kombination mit Apfelstückchen, Datteln, Marone und gerösteten Pinienkernsplittern.

Das Restaurantdesign von Pierro Lissoni mit Marmor und dunklem Holz ist dem Koch selbst zu kühl und elegant, er hätte es gerne fröhlicher. „Ich möchte Menschen glücklich machen“, sagt der Sohn einer gläubigen persischen Familie und empfiehlt sich mit jungenhaftem Lächeln als hervorragender Botschafter für dieses gastfreundliche Land voll versteckter, verbotener und heiliger Genüsse.

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