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Baja California: Wo Hippies träumen wollen

Hotel California: Der Song der Eagles ist legendär. Im mexikanischen Todos Santos hört man ihn oft. Denn hier sollen ihn die Musiker erfunden haben.

„Ich nahm eine zwölfsaitige Akustikgitarre zur Hand und begann, gedankenverloren darauf herumzuzupfen“, schreibt Don Felder in seiner Autobiografie „Mein Leben mit den Eagles“. Ein Blick aufs Meer, eine Prise Salzluft in der Nase – schon hat er eine lässig swingende Reggaemelodie aus dem Ärmel geschüttelt. Ein paar Tage später spielt er sie den „Göttern“ vor, wie Schlagzeuger Don Henley und Glenn Frey, der andere Gitarrist, gruppenintern genannt wurden. Frey murmelt, das Lied könne vom kalifornischen Traum handeln, was Henley zu einer Textzeile inspiriert: „What a lovely place“.

Diesen schönen Ort aus Don Henleys Fantasie soll es wirklich geben. In Baja California, der mexikanischen Halbinsel, die wie ein ausgestreckter Finger in den Pazifik ragt. Knapp 1800 Kilometer sind es von Tijuana oben an der Grenze zu den USA bis nach Los Cabos, dem Urlaubsort aus der Retorte unten an der Kuppe. Knapp 1800 einsame Wüstenkilometer, und immer das gleiche Bild: links schroffe Bergspitzen, rechts der Pazifik, dazwischen eine Ebene aus Kakteen. Ein kühler Wind streicht durchs Haar. Nur der süßliche Marihuanaduft fehlt, warm smell of colitas, wie es in „Hotel California“ heißt. Die Zeiten sind nicht mehr so. Eine Autostunde vor Los Cabos zweigt eine staubige Wüstenstraße ab nach Todos Santos, einer Mischung aus Künstlerdorf und Hippie-Oase.

Debbie Stewart empfängt in der Lobby des Hotel California. Über ihr ein bunter Kandelaber, an den Wänden Kunst, zumeist Landschaftsbilder und ab und an etwas Abstraktes. Die Glocke der Missionskirche nebenan läutet – wie im Song der Eagles. Nicht die einzige Parallele, flötet Debbie. Vom Dach des Patio trompeten vier Figuren aus Eisen herunter, eine stilisierte Volksmusikkapelle, wie man sie oft sieht in Baja California. Mit viel Wohlwollen kann man in ihnen die Geister sehen, die im Song der Eagles im Innenhof tanzen.

Die Eagles. „Alle Welt glaubt, sie seien einmal hier gewesen“, sagt Debbie Stewart. „Und wer weiß, vielleicht trifft das für den einen oder anderen von ihnen zu. Die Leute fragen mich: Wo sind die Eagles? Warum gibt’s keine CDs zu kaufen?“

Gute Fragen. Aber lieber wüsste man, warum dieses Hotel California ganz anders aussieht als auf der Plattenhülle. Ein nüchterner, karmesinroter Ziegelbau, kastenförmig mit überdachten Balkonen, aber ohne Türmchen drauf und Palmen drum herum. Natürlich, Rockfans wissen, dass auf dem Cover das noble Beverly Wilshire Hotel in Los Angeles abgebildet ist. Und auch Debbie Stewart irritiert: Sie trägt Businesslook: Bluse, enger Rock, halbhohe Pumps – alles in Beige. Nicht eben die Hippiefrau, die man erwartet hätte. „Ich? Ein Hippie?“ – gespieltes Entsetzen. „War ich nie! Ich war immer eine normale verheiratete Frau. Ich wusste nichts über Musik, die Eagles, das Album ’Hotel California’ und all das.“ Kaum zu glauben, warum sonst hätte sie das Hotel vor sieben Jahren mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann übernehmen und aufwendig restaurieren sollen? „Das war eine Wette auf die Zukunft“, erklärt sie. In Los Cabos boomte der Tourismus – nur eine Frage der Zeit, bis für Todos Santos und das Hotel California ein Stück vom Kuchen abfiele.

Ihr Kalkül scheint aufgegangen zu sein. Im Restaurant sind alle Tische besetzt. Hier wird englisch gesprochen. Von Leuten in Shorts, Turnschuhen und T-Shirts, deren Aufdrucke vom vergangenen Urlaub erzählen: Bahamas, Dominikanische Republik, Costa Rica. Und aus den Boxen läuft – na, was wohl?

Auch vor dem Hotel California schieben sich Touristen vorbei. „Man kann die Uhr nach ihnen stellen“, sagt Howard Ekman, ein kleiner, drahtiger Mann mit Glatze. „Zwischen sieben und acht Uhr morgens gehen die Kreuzfahrtschiffe in Los Cabos vor Anker. Eine gute Stunde, um von Bord zu gehen, noch einmal so lange für die Fahrt – ab zehn wird es voll in Todos Santos.“ Manchmal setzt Howard sich dann auf die Bank vor dem Hotel California und sieht dem Treiben zu. Das fällt für ihn in die Kategorie „Überprüfen, ob die Lebensqualität noch stimmt“.

Als Howard Ekman sich in Todos Santos niederließ, war dies ein weltvergessenes Kaff mit knapp 4000 Einwohnern, davon 50, 60 Gringos, Einwanderer aus den USA, zumeist Hippies oder Surfer. Telefon, Internet und sonstigen neumodischen Schickschnack gab es nicht. Heute hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt. Und die Gringos machen fast die Hälfte der Bevölkerung aus. Die Hauptstraße vor dem Hotel California ist asphaltiert, der Mittelstreifen bepflanzt. In der Ladenzeile haben Souvenirshops eröffnet. Nach rechts, den Hang hinunter, schließen sich Galerien an, bergauf ebenso. In den Schaufenstern hängen Landschaften und Sonnenuntergänge in allen erdenklichen Formen und Formaten – es ist keine große Kunst, die hier verkauft wird. In Todos Santos gibt Howard Ekman ein Anzeigenblatt heraus. Es läuft gut, sagt er, es wartet nur auf jemanden, der bereit ist, mehr zu arbeiten. Ein spitzbübisches Lachen – kein Zweifel, er wird das nicht sein. Er zieht ein paar Fotos aus seiner Tasche. Das Hotel California vor 20, 25 Jahren: „Eine richtige Absteige war das, in der kaum ein Lichtschalter und kaum eine Steckdose funktionierte. Heißes Wasser gab es nicht“, anstelle von Betten habe es Pritschen mit kratzigen Laken gegeben.

„Wir tranken Champagner wie Wasser und schnupften Kokain, dass es beinahe gereicht hätte, ein kleines Land in der Dritten Welt zu finanzieren“, erinnert sich Eagles-Gitarrist Don Felder in seiner Autobiografie. „Wir übertrafen uns gegenseitig darin, welchen Luxus wir uns in unseren Hotelzimmern gönnten, nur um die anderen zu ärgern.“ Kaum vorstellbar, dass ausgerechnet diese in sich zerstrittenen, von Ehrgeiz zerfressenen Neureichen hier übernachtet haben sollen. Haben sie auch nicht, sagt Howard Ekman und kramt die Kopie eines Faxes hervor. Darin versichert Schlagzeuger Don Henley, nie in Todos Santos gewesen zu sein. Und mit dem Lied soll dieses Hotel California nichts zu tun haben.

Howard Ekman grinst. Seine Recherchen haben ergeben, dass ein Makler das Gerücht in den 80er Jahren in die Welt gesetzt hat, um den Tourismus anzukurbeln. Und Manuel Valdez, der ehemalige Betreiber des Hotels, hat es weitergesponnen. „Er hat mir erzählt, dass er persönlich die Eagles beherbergt und seine Frau sie bekocht habe.“

Im Souvenirshop gegenüber drängt sich die Kundschaft. Es gibt Shirts, Tassen, Becher, Kugelschreiber und allerlei Andenken mehr. Auf der Hälfte der Artikel prangt das Logo „Hotel California“, auf der anderen steht „Tequila Sunrise“ – auch das ist ein Song der Eagles. Und mittendrin Manuel Valdez. Er steckt in Klamotten eines Designers, der sein Logo viel zu groß auf die Kleidung druckt, ein großer, massiger Mann, unrasiert, mit schwarzen kurzen Haaren, listigen Augen und einem Faible für prätentiöse und verklausulierte Sätze: „Die Marken Hotel California und Tequila Sunrise haben wir auf uns registrieren lassen, um unsere Marketinganstrengungen vor möglichen Verwertungsversuchen seitens der Betreiber des Hotels zu schützen.“ Ein Streit um Verwertungsrechte – wie profan.

Vier Mädchen schlendern herein, Amerikanerinnen. Ob er Manuel sei, sie hätten gehört, dass er die besten Bloody Marys in ganz Todos Santos mixt. „Kommt drauf an, wie scharf ihr seid“, antwortet Manuel und komplimentiert sie in die Bar nebenan. Die heißt Tequila Sunrise und gehört ihm auch. Mit großer Geste gibt er Wodka, Eis und Tomatensaft aus dem Tetrapack in den Mixer, fügt Pfeffer, Salz, Zitrone, Tabasco hinzu und in Abwandlung der Rezeptur ein paar Schuss Damiana, einen südkalifornischen Malvenlikör. „Con personalidad“, raunt Manuel beim Servieren, ein Drink mit Persönlichkeit.

Bei den Mädchen kommt sein rustikaler Charme an. Manuel Valdez plustert sich noch ein bisschen mehr auf. Seit 26 Jahren lebt er in Todos Santos. Und ja, der Ort hat ihm Glück gebracht. „Als ich herkam, war ich wie viele junge Leute, ich hatte eine ganze Welt vor mir und Schwierigkeiten, mich anzupassen. Heute verspüre ich Dankbarkeit, dass dieser ehrwürdige Ort mich akzeptiert hat.“ Vielleicht hat Todos Santos aber auch nur auf einen wie ihn gewartet. Ein Ort ohne nennenswerte Vergangenheit, ohne Geschichte. Wie das leere Blatt für den Schriftsteller oder die weiße Leinwand für den Maler. Bleibt die Frage nach dem angeblichen Besuch der Eagles. Manuel Valdez windet sich: „Dazu möchte ich mich lieber nicht äußern.“

Abends in der Bar des Hotel California. Alle Läden sind geschlossen, die Touristen längst auf dem Weg nach Los Cabos. Übernachtungsgäste? Fehlanzeige. Howard Ekman schaut auf ein Bier vorbei. Was er sieht, gefällt ihm: „Dies ist und bleibt in ruhiges Städtchen, wo um zehn alles schließt.“ Natürlich fehlt es nicht an Versuchen, das zu ändern. In der Nachbarbucht will ein Konsortium die Cala de Ulloa hoch ziehen, ein Feriendorf mit Golfplatz, Jachthafen und allem, was dazugehört. Aber das Projekt stockt, wie so vieles in und um Todos Santos. Auch das findet Howard Ekman gut: „Das hält Leute fern, die hier nichts verloren haben.“

Je später der Abend, umso mehr Einheimische machen sich an der Theke breit – als hätten sie nur darauf gewartet, dass die Touristen verschwinden. Ein großer Mann, ganz in Schwarz, mit Gaucho-Hut und Dreitagebart, bestellt eine Damiana. Der Künstler Gabo. In der Kunstszene von Todos Santos ist Gabo eine Ausnahme. Er ist Mexikaner und richtet sich mit seinen abstrakten Gemälden nicht an die übliche Laufkundschaft. Vermutlich deshalb strahlt sein Ruf weit über Todos Santos hinaus.

Die Eagles? Gabo nippt an seiner Damiana und holt Luft. Genau hier hat er vor vielen Jahren mit einem Freund gesessen, „einem verrückten Kerl“. „Ich war dabei, als er diese schöne Geschichte erfand und als er Manuel Valdez davon erzählte. So nahmen die Dinge ihren Lauf, und heute ist das bereits eine Legende.“ So kann man das natürlich sehen: die Geschichte von den Eagles und dem Hotel California als volkstümliche Überlieferung. Oder wie Don Felder es in seiner Autobiografie ausdrückt: „Das Hotel California ist immer das, was man darin sehen möchte.“ Gabo nickt: „Wir alle wissen, dass unser Hotel California nicht das aus dem Lied ist. Aber insgeheim möchten wir lieber das Gegenteil glauben. Deshalb ist diese Lüge zur Wahrheit geworden.“

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