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Viel Platz für einen Traum. Auf den Inseln des Hawaii-Archipels gibt's viele Strände zum Untertauchen.

© GollhardWieland/laif

Hawaii: Aloha kommt von Herzen

Der Hawaii-Archipel mit seinen vielen Inselchen ist seit langem beliebt bei Touristen aus aller Welt. Sie sollen unsere Traditionen kennenlernen, wünschen sich Einheimische – und erzählen davon.

Die Luft ist dünn. Ein wenig schwindlig wird einem davon, hier oben in dieser kargen Mondlandschaft des Haleakala-Vulkans, dem höchsten Punkt der hawaiianischen Insel Maui. 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Auf dem steinig-staubigen Weg zum Kraterrand kraxelt auch ein japanischer Tourist, neben sich sein Chihuahua. Eine uniformierte Wärterin stoppt ihn resolut. „Es tut mir leid, aber Hunde sind hier nicht erlaubt.“ Zu groß ist die Gefahr, dass unter Artenschutz befindliche Insekten diesem Jäger anheimfallen oder Kot und Urin das fragile Ökosystem stören, das sich hier oben, weit oberhalb der Baumgrenze, in einer Million Jahren eingerichtet hat. Der Gipfel des Haleakala ist ein Symbol der Verwundbarkeit Hawaiis. Überlebensraum zahlloser vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten.

Und dort unten liegen sie, wie auf eine Perlenschnur gezogen: die größeren Inseln von Hawaii. Mitten im Pazifischen Ozean. An einem klaren Tag kann man von hier aus Oahu, Kauai, Molokai und Big Island sehen, vier der rund 137Eilande, die zu Hawaii gehören. Bewohnt sind allerdings nur sieben. Weltvergessene 3800 Kilometer sind wir entfernt vom nächst gelegenen Festland – Nordamerika im Osten. Fünf Flugstunden von Los Angeles.

Schon im Flugzeug der Hawaiian Airlines, die diese Strecke bedient, ist alles anders. Helle, lange Bögen traditioneller hawaiianischer Musik stimmen da vorfreudige Fluggäste auf ihr Reiseziel ein. Nicht etwa westlicher Pop, sondern das, was wir im Plattenladen unter „Weltmusik“ finden. Und wann haben Sie zum letzten Mal eine Stewardess mit wallend-offenem Haar – ohne Hütchen – gesehen? Hawaii grenzt sich ab, pflegt seine eigene Identität. Der „Spirit of Aloha“ macht’s möglich. Genauso wie er Businessmeetings im Hawaiihemd gestattet. Auch wenn sie bitte aus Seide sein sollten.

Im idyllischen Lavendelhain Hosmer Grove, gelegen auf den ersten Kilometern der zweistündigen Autostrecke zum Gipfel des Haleakala-Vulkans, führt Jason einen kleinen, generatorbetriebenen Imbiss. Exotische Kleinigkeiten bietet er an: Avocado Burritos, Papaya-Mango-Obstschalen und Teriyaki-Burger, jene Fleisch- oder Fischstückchen, die in einer Sauce aus Soja, Ingwer und Honig eingelegt wurden.

Es ist die einzige Raststätte auf der langen, sich scheinbar endlos hinaufschlängelnden Strecke weit über den Wolken. Jasons Firma, Maui Executive Catering, richtet normalerweise die verschwenderischen Hochzeitsbuffets an der wohlhabenden, sonnigen Südseite Mauis aus. Frisch getraute Liebespaare schwärmen oft ein Leben lang davon. „Wir haben Hochzeitskunden aus allen Ländern der Welt: Australien, Japan, den Philippinen – auch Europa“, berichtet der 39-Jährige, der ursprünglich aus Indiana kommt und auf jedem Surfbrett eine gute Figur machen würde.

„Diese Idee kommt einem nur in den Flitterwochen“

Manche Gäste zieht es in grüne Höhen, wie auf Kauai.
Manche Gäste zieht es in grüne Höhen, wie auf Kauai.

© laif

Etwa 600 000 Touristen gaben sich im vergangenen Jahr auf Hawaii das Ja-Wort oder verbrachten hier ihre Flitterwochen. Mehr als die Hälfte davon reiste von außerhalb der Vereinigten Staaten an. „Stellen Sie sich vor, Sie heiraten bei Sonnenuntergang an einem der ruhigen Strände auf Kauai oder Sie werden während Ihrer Trauung von vorbeiziehenden Delfinen in der Hulopoe Bay auf Lanai begleitet“, lockt der deutsche Ableger des Aloha- Staat-Marketing, Hawaii Tourism Europe, auf seiner Website und fährt fort: „Geben Sie sich das Jawort mit Blick auf die Küste von Waikiki auf Oahu oder auf Molokai am Rand einer 2000 Fuß (609 Meter) hohen Klippe. Es erstaunt nicht, dass Hawaii eines der beliebtesten Flitterwochenziele der Welt ist.“

Auch Frank und Bettina aus Berlin haben sich von diesem Versprechen locken lassen. Und genießen nun das gebuchte Verwöhnprogramm. In weiße, flauschige Bademäntel gehüllt, haben sie es sich auf Naturholzliegen im luftigen Bambus-Wartebereich bequem gemacht. Hin und wieder nippen sie an Gläsern mit erfrischendem roten Eistee. Und dann sind sie dran. Hier beginnt das Paradies. Am Strand von Waikiki. Mit einer verheißungsvollen Paarmassage namens „Khakara Harmony“ im Spa des Sheraton-Hotels. Kostenpunkt: 165 Dollar pro Nase.

„Diese Idee kommt einem wirklich nur in den Flitterwochen“, gesteht Bettina. „Für diesen Preis bekomme ich zu Hause in Deutschland drei Massagen.“ Aber sie bezahlt hier für ein „einzigartiges Inselerlebnis“, will man dem Flyer Glauben schenken. Eine Mischung aus japanischer Shiatsu- und traditioneller hawaiianischer Lomi-Lomi-Massage. Die körperlich fühlbar gemachte kulturelle Verschmelzung von Osten und Westen, Tradition und Moderne, für die Hawaii steht.

Gerade mal 234 Jahre ist es her, dass der Archipel im Pazifik von dem englischen Seefahrer James Cook entdeckt und fortan von der westlichen Welt für seine Zwecke nutzbar gemacht wurde. Eine Geschichte, die in der forcierten Aneignung durch die Vereinigten Staaten im Jahre 1893 ihren tragischen Höhepunkt fand. Denn was Kapitän Cook 1778 vorfand, war keine einsame Insel, sondern eine nahezu 2000 Jahre alte Gesellschaft mit ihrer ganz eigenen reichen kulturellen Identität.

Die der hawaiianischen Ureinwohner. Polynesier, die sich im Jahre 500 vor Christus auf einfachen Kanus rund 5000 Kilometer über das Meer wagten. Den Weg in die neue Heimat wiesen ihnen Vögel, als Navigationshilfen dienten Sterne und Winde. Sie waren es, die diesen „Spirit of Aloha“ – die Kultur der Herzlichkeit – prägten, der heute noch in einem Atemzug mit Hawaii genannt wird. Sie waren es auch, die die üppigen Lu’aus ausrichteten, die in ihrer ganzen Authentizität zu erleben Reisende heute noch 150 Dollar ausgeben. Die zu Ukulele und Falsettgesang den bedeutungsschweren Hula-Tanz erdachten und eine aus mageren 13 Buchstaben bestehende Sprache entwickelten, von der die Straßen- und Ortsnamen in Hawaii heute noch zeugen.

Sie singt über ihr Land, und ihre Augen füllen sich mit Tränen

Hübsch bekränzt. Auch Touristen werden auf Hawaii gern mit Blumen geschmückt.
Hübsch bekränzt. Auch Touristen werden auf Hawaii gern mit Blumen geschmückt.

© Reuters

Aunty Tutu ist eine der 250 000 Einwohner der Insel, durch deren Adern hawaiianisches Blut rinnt. Ihr Großvater stammte aus Oahu. Die hochgewachsene Rentnerin erzählt im Foyer des Royal Hawaiian Centre in Waikiki von ihrer Kindheit, während sie einem Dutzend Touristen Akkorde auf der Ukulele beibringt („uku“ ist Hawaiianisch für Floh, „ulele“ bedeutet springen). „Als Kinder saßen wir oft mit den ,kupuna‘, den Ältesten, zusammen, spielten auf einer verschrammten Ukulele und sangen alte Lieder.“

Auf ihrem grasgrünen Kleid ranken weiße Schmetterlingslilien. Um ihren Hals trägt sie einen Lei-Kranz, jenes typische, aus Blüten gefädelte Gebinde. Es ist das hawaiianische Symbol für Herzlichkeit und Respekt, das noch in den 1950er Jahren jeder Tourist bei der Ankunft am Flughafen Honolulu als Willkommensgruß um den Hals gehängt bekam. Und dann, als Aunty Tutu mit bebender Stimme von der Liebe der Hawaiianer zu ihrem Land und der Kostbarkeit ihres Volkes singt, füllen sich ihre Augen mit Tränen. Tränen, die die aus fremden Welten angereisten Zuschauer nur schwer einordnen können. Tränen, die auf anrührende Weise von einem unbeugsamen Nationalstolz erzählen und vom Überlebenskampf der bedrohten Kultur der Hawaiianer.

Hawaii – das ist der einzige Bundesstaat der USA, der einst ein souveränes Königreich war. Dass sein Sturz unrechtmäßig stattfand, dafür entschuldigte sich Präsident Bill Clinton 1993 zum 100. Jahrestag dieses Putsches per Gesetz. Eine Geste, die der regen hawaiianischen Unabhängigkeitsbewegung und der Renaissance der traditionellen Kultur des Staates Auftrieb gab. Sie ist auch ein Grund dafür, dass Touristen Hawaii heute besser begreifen können. Selbst wenn sie nur der Palmen, der Strände oder der Korallen wegen kommen, überall werden sie mit den lebendigen Traditionen der Bewohner konfrontiert. Das ist immerhin sehr viel mehr, als man auf dem US-amerikanischen Festland von der Kultur der Indianer und in Australien von dem Einfluss der Aborigines sagen kann.

Vor der Tür des Royal Hawaiian Centre, in der Fußgängerzone von Waikiki, verdingen sich Aunty Tutus Landsleute für einen geringen Verdienst. Sie tragen Reklametafeln für eine lokale Schießanlage herum. „Do you want to shoot some guns?“, fragen sie vorbeischlendernde Touristen. AK-47, Maschinengewehre, .500er Magnums. Alles sei vorhanden. Wie passt das zusammen?, fragt man sich. Aloha und Waffen. Ein Zugeständnis der friedliebenden Hawaiianer an Touristen aus dem schießfreudigen Festland der Vereinigten Staaten von Amerika?

Wohl kaum. Geschäftsmodelle wie diese Schießanlagen stellen eine passable Einkommensquelle für pensionierte Soldaten dar. Fast ein Viertel der Fläche Oahus, der meistbesuchten Insel Hawaiis, ist im Besitz des amerikanischen Militärs. Dies ist eine Facette des strategisch gelegenen Paradieses, der Reisende – abgesehen von der Gedenkstätte Pearl Harbour – kaum je begegnen. Mit dem „Spirit of Aloha“, das wissen Aunty Tutu und die ihren auch, hat sie nichts zu tun.

An den Gebärden Timos sieht man, welches Unrecht Hawaii geschah

Die meisten Besucher von Hawaii wollen an die Strände.
Die meisten Besucher von Hawaii wollen an die Strände.

© laif

Auch Touristenführer Timo ist ein echter Hawaiianer. Jetzt führt er im Zentrum, in Downtown Honolulu, eine Gruppe Besucher auf die schattige Veranda des Iolani Palace. Es ist der einzige königliche Palast der USA und Symbol der einstigen politischen Souveränität Hawaiis. Hier lebten von 1882 bis 1893 die letzten beiden Monarchen des Hawaiischen Königreichs, King Kalakaua und seine Nachfolgerin Queen Liliuokalani.Sie erfreuten sich an den Vorzügen von Elektrizität, Toilettenspülungen und hauseigenen Telefonen, noch bevor das Weiße Haus damit ausgestattet war.

Wie auf Schulbänken sitzen die Touristen da und lauschen den ungewohnt strengen Anweisungen zu Beginn der Führung. Taschen und Rucksäcke sollen sie vor dem Körper tragen. Schutzhauben aus Baumwolle sollen sie über die Schuhe stülpen. Die Welt, die die Fremden betreten werden, so scheint es, soll auch gleichzeitig vor ihrem Einfluss geschützt werden. Und dann wird klar, warum. Oben im ersten Stock des Palastes, direkt über dem Thronsaal, am Ende eines auf Hochglanz gebohnerten Koa-Akazien-Flurs, hält Timo inne, atmet tief durch und erklärt.

„Hier sehen Sie das Schlafzimmer, in dem Königin Liliuokalani nach dem tragischen Sturz durch die Amerikaner gefangen gehalten wurde. Acht Monate lang hörte sie die Wachen vor ihrer Tür auf- und abschreiten.“ An den Gebärden Timos sieht man, welche Schmach er damit verbindet und welches Unrecht Hawaii damit geschah. In dieser Zeit der Gefangenschaft im noch gestern eigenen Heim schrieb Königin Liliuokalani viele identitätsstiftende Lieder, die heute noch als hawaiianische Volkslieder gelten. Oft werden sie gesungen – und auch Aunty Tutu hatte es getan. Und dabei, wie alle sehen konnten, fast geweint.

Reiseführer bei Tag, Musiker bei Nacht; Am Abend spielt Timo die Bassgitarre in der Mai Tai Bar auf der Strandseite des Sheraton-Hotels in Waikiki, in dem Bettina und Frank am Vortag ihre Paarmassage genossen haben. Gemeinsam mit seinem Gefährten Kamakakehau Fernandez an der Ukulele durchdringt der warme und berührende Falsettgesang der Hawaiianer die nur von Ölfackeln beleuchtete Nacht. In ihren Melodien schwingt das Wissen um eine reiche, stolze Kultur, die alle Einheimischen bewahren wollen. Das spüren die Gäste aus aller Welt – und viele fasziniert es. Wer wieder Abschied nimmt, fühlt sich als Freund. Nicht mehr als Fremder.

Anja Löbert

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