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Kutsche

© Peter Frischmuth

USA: Westwärts weht der Wind

Grüße an John Wayne: Mit der Überlandkutsche stilecht unterwegs im Staat Washington.

Pferde wiehern, Räder rollen. Kein Zweifel: Kutscher Don Super und seine Frau Kristen sind konzentriert bei der Sache. Auf dem Bock haben sie alle Hände voll zu tun, Zügel und die vielen Riemen im richtigen Griff zu behalten und das von sechs Pferdestärken gezogene Gefährt eine Anhöhe hinaufzudirigieren. Die Postkutsche, originalgetreuer Nachbau eines gut 150 Jahre alten Abbot & Downing Mountain Stage Wagon, ächzt durch die leichte Kurve eines ausgefahrenen Weges in den einsamen Wäldern hinter dem Kaskadengebirge im US-Bundesstaat Washington.

„Buck, move on, move on! Okay – good boy.“ Der einzige Hengst im Sechsergespann ist anscheinend dankbar für die lautstarke Ansprache und legt sich mächtig ins Geschirr. Pferdeflüsterer sind die beiden Supers zwar nicht, die Tiere finden trotzdem ihren Rhythmus. Don schiebt den ausgebeulten Filzhut mit der breiten Krempe aus der Stirn und nickt dem Passagier augenzwinkernd zu. Der hat wegen der besseren Aussicht als einziger oben auf dem schwankenden Gefährt Platz genommen und krallt sich ans Gestänge des Dachgepäckträgers. Zu den anderen in den Innenraum der Postkutsche? Nein danke! Wer will sich schon das einmalige Erlebnis entgehen lassen, ungefiltert Westernluft zu schnuppern. Außerdem wäre es peinlich, schon beim ersten leichten Schaukeln feige den Posten zu räumen.

Don hat im Freien gearbeitet, solange er denken kann. Hat im Wald Holz geschlagen und die schweren Baumstämme mit Pferden zur Straße gezogen. Reitunterricht hat er gegeben, irgendwann organisierte er eine Planwagentour, dann kam die Postkutsche dazu. Sein Großvater war nach dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland eingewandert und hatte sich im Westen gleich in eine Frau der Oglala-Sioux verguckt. Der Enkel Don liebt nun seit mehr als 20 Jahren Kristen, die ihren Beruf als Krankenschwester längst gegen ein Leben in der Natur, mit Pferden und Kutschen eingetauscht hat. Ihr Wissen kommt ihr und Don dennoch zugute, denn eine gute Krankenversicherung können sich die beiden nicht leisten.

Das Gespann folgt der historischen Chesaw–Republic-Postkutschenroute, die bis 1912 rund 50 Jahre lang Passagiere, Fracht und Post über das Hochland im Nordosten des Bundesstaates Washington zu den einsamen Bergarbeitersiedlungen beförderte. Heute wie damals eine staubige Angelegenheit. In den weiten Wäldern des Okanogan-Nationalforstes sind asphaltierte Straßen selten. Dafür hat die kleine Gesellschaft wenigstens keine Indianerüberfälle zu erwarten, wie in John Fords „Stagecoach“ („Höllenfahrt nach Santa Fé“), in dem eine stilechte Postkutsche, auch aus der Werkstatt von Abbot & Downing, die Hauptrolle spielte und John Wayne als Gesetzloser Ringo Kid der Durchbruch zum Hollywoodstar gelang. Trotz grober historischer Schnitzer gilt der 1939 gedrehte Streifen noch immer als einer der besten Westernfilme aller Zeiten.

Die Postkutschen der legendären Butterfield Overland Mail Company, die vor mehr als 160 Jahren St. Louis in Missouri mit San Francisco an der kalifornischen Pazifikküste verbanden, benötigten für die mehr als 5000 Kilometer lange, strapaziöse Reise etwa dreieinhalb Wochen. Am Ziel stiegen die Passagiere wie gerädert aus ihrem Gefährt. Als die erste Eisenbahnstrecke 1869 den nordamerikanischen Kontinent durchquerte, hatten Postkutschen für den Langstreckentransport ausgedient und beschränkten sich auf regionale Zubringerdienste.

Das heutige Tagesziel ist die noch einige Meilen entfernte, einsam gelegene Diamond Belle Ranch, eine rustikale Unterkunft am Südufer des Walker-Sees. Die Zugpferde der Kutsche, eine Kreuzung von kräftigen Belgiern mit vielseitigen Morgan-Pferden, verfallen in einen gemütlichen Trott. Langsam ziehen Espen, Birken und Cottonwood Trees, eine Pappelart, vorbei. In der Ferne ist der 2215 Meter hohe Mount Bonaparte gut zu erkennen. Die Spur einer Wildkatze kreuzt den sandigen Weg durch den dunkleren, von Fichten, Kiefern und der Lärchenart Tamarack bewachsenen Wald. „Das war ein Berglöwe, ein Puma. Es muss ein junger gewesen sein, man sieht keine Krallen am Fußabdruck. Die sind wie Gespenster, tauchen auf und verschwinden, zu sehen sind sie selten“, weiß Elija. Er begleitet die Kutsche mit dem Pferd. Eigentlich studiert er in Walla Walla, im Süden des Bundesstaates Washington. Aber sobald es seine Zeit erlaubt, schwingt er sich in den Sattel. Ein Pferdeverrückter.

Elija verrät den Gästen auch, wo seine eigentliche Leidenschaft liegt: Bullenreiten. Bei diesem gefährlichen Hobby riskiert er in vielen Rodeos im amerikanischen Westen seine Knochen. Wie aufs Stichwort sind plötzlich lautes Muhen und anfeuerndes „Ho!“ und „He!“ im Wald zu hören. Braune und schwarz- weiß gescheckte Rinder brechen durch das Unterholz, versuchen, von johlenden Cowboys angefeuert, sich an der Kutsche vorbeizudrängen. Die geduldigen Zugpferde werden unruhig, Staub, Rinder, Reiter, eine unübersichtliche Situation. Endlich hat sich das Vieh vorbei gedrängelt, die Situation beruhigt sich. Kurz vor der Jagdsaison lassen die Rancher ihre im Nationalforst frei laufenden Rinder auf die Weiden der Ranch treiben. Wenn das Jagdfieber ausgebrochen ist, will kein Viehbesitzer seine Tiere noch in freier Wildbahn haben.

Hinter einer verfallenen Siedlerhütte taucht der fast kreisrunde Walker-See mit einer Lodge am Ufer auf, das Nachtquartier der Reisenden. In aller Ruhe werden die Pferde abgespannt, Don führt sie erst zum Tränken an den See, später erhalten sie Heufutter. Bald köcheln für die Gäste in einem massiven, mit glühenden Kohlen bedeckten gusseisernen Topf köstliche Bohnen vor sich hin. In einer zweiten Kasserolle gart ein Dump Cake, ein schlichter Rührteig mit Erdbeeren und Äpfeln. Ein echter Genuss.

Am Lagerfeuer werden dann Geschichten erzählt: vom Cowboy, der bis an die Theke geritten kam, um einen Drink zu bestellen. Oder von dem, der locker bis vor den Altar trabte und sich trauen ließ, ohne abzusitzen. Schließlich holt Andy, Gastgeber in der Lodge, seine Gitarre. Sein Kumpel John, dessen Nachname Kiesecker unzweifelhaft auf deutsche Vorfahren hinweist, spielt entspannt Banjo, singt von „Seven beers with the wrong woman“ und einer Schönen am Fluss, der „Sandy River Belle“.

Seltsam, ein Tag, wie eine Folge von Westernklischees, und doch echt. „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen“, hatte Autor William Faulkner aus Mississippi einmal geschrieben. Eine Wahrheit, die auch im einst wilden Westen zutrifft.

Axel Pinck

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