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Wo die wilden Kerle wohnen. Irgendwo in dieser grünen Landschaft verbergen sich viele trinkfeste Typen.

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Wo die wilden Kerle wohnen: Rollende Hügel und rollende Fässer

Kentucky ist die Heimat des Bourbon-Whiskey – und bietet neben Destillerien viel Natur und herrschaftliche Anwesen.

An Frankfort, der Hauptstadt Kentuckys, ist alles klein. Die Backsteinhäuser, die selten mehr als vier Stockwerke zählen. Die Innenstadt, die gerade mal aus ein paar Straßenblöcken besteht. Nicht zuletzt die Einwohnerzahl: 25.000 Menschen leben hier.

Nur ein neoklassizistischer Backsteinbau fällt aus dem Rahmen, sandfarben, mit Erkern, Zinnen und Säulen, einer Kuppel mit Glockenturm oben drauf und einem Park drum herum. „Das alte State Capitol“, sagt Ken Norton, während er vor eine Statue stehen bleibt. Sie stellt William Goebel dar, der im Januar des Jahres 1900 nach nur vier Amtstagen als Gouverneur des Staates Kentucky genau hier einem Attentat zum Opfer fiel, verübt von politischen Gegnern. Die Statue erinnert dran, wie rau es in Kentucky lange zugegangen ist.

Ken Norton ist Anwalt von Beruf und Genussmensch aus Leidenschaft. Ein Mann mit widerspenstigen, grau melierten Haaren, in Jeans und Polohemd. Ken setzt sich auf eine Holzbank vor Aenna’s Grill auf der St. Clair Street, Frankforts Vergnügungsmeile. Die ist gerade mal 200 Meter lang. Dafür reiht sich hier Kneipe an Kneipe. Vor allen stehen Tische und Stühle auf dem Bürgersteig, alle sind gut besucht. Ken ordert einen Woodford Reserve Double Oaked, einen, wie er es ausdrückt, „besonders eleganten Bourbon aus der Gegend um Frankfort“.

Lawrenceburg ist Heimat von Wild Turkey

Als der Kellner den Whiskey bringt, schwenkt Ken das bauchige Glas gegen das Licht. Keine Schliere trübt die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Sie duftet nach Vanille und roten Früchten und bietet einen Nachgeschmack von Nelken, Zimt, Pfeffer und Orangen. „Unglaublich, was der Brennmeister aus Getreide und Quellwasser gemacht hat“, schwärmt Ken Norton, „Mehr darf ein Bourbon nicht enthalten, nur Wasser und drei Sorten Getreide.“

Genau genommen muss der Getreide-Mix zu mindestens 51 Prozent aus Mais bestehen. Das verlangt ein Reinheitsgebot, das auf Betreiben der Brennereien Mitte der 60er Jahre durch den Kongress gepaukt worden ist. Es definiert Bourbon als „America’s Native Spirit“, als wahrhaft amerikanische Spirituose, der in nur in nagelneuen Fässern aus Eichenholz reifen darf – einmal gebraucht werden sie nach Europa verkauft, meist nach Schottland, wo sie bei der Herstellung von Scotch zum Einsatz kommen.

95 Prozent des weltweit hergestellten Bourbons kommen aus dem Bluegrass-Staat Kentucky – so benannt, weil die Weiden hier im Frühjahr blaugrün blühen. Am Stadtrand von Frankfort, in einem Backsteinkomplex in einem Eichenwäldchen, wird Buffalo Trace gebrannt, die in den letzten Jahren meist prämierte Spirituose der USA.

Die Nachbarstadt Lawrenceburg ist Heimat von Wild Turkey, einem Bourbon, der ursprünglich nur als Privatabfüllung bei der Truthahnjagd kredenzt wurde – daher der Name. Und in Versailles – sprich: Where-Sails – wird Woodford Reserve gebrannt. Versailles ist ein Refugium für Milliardäre. Grüne Weiden erstrecken sich über sanft fließende Hügel, die für den amerikanischen Süden typischen Rolling Hills, gesäumt von blütenweißen Zäunen. Vereinzelt Häuser, genauer: herrschaftliche Anwesen, gern inspiriert von Schloss Versailles, dem Prunk- und Protzbau des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV.

"Bourbon war das Zahlungsmittel der Siedler"

Die wahre Heimat des Bourbons ist Bardstown, ein Nest mit rund 11.000 Einwohnern und fünf Brennereien in der Stadt selbst und weiteren 15 im Umland. Von weltweit bekannten wie Jim Beam, über Insidertipps wie Willett bis zu ambitionierten Newcomern wie Limestone.

Auf der Main Street in Bardstown dreht sich alles um Whiskey. Die Süßwarenläden verkaufen Bourbon-Pralinen und Kekse, die Köche der Restaurants würzen ihre Speisen damit.

Robert Llewellyn, den alle nur Bob nennen, ist Historiker, ein großer, sehniger Mann mit randloser Brille, und seit vielen Jahren mit Ken Norton befreundet. Bob blickt von einem Hügel in Bardstown auf ein Museumsdorf aus dem 18. Jahrhundert. Die Holzhütten, alles Originale, stehen dicht an dicht im Kreis. So konnten sich die Bewohner besser verteidigen. Kentucky war damals noch Grenzland, ein Teil des Wilden Westens. Immer wieder gab es Scharmützel mit Indianern.

Bob öffnet eine Tür. Die Hütte ist bescheiden, fensterlos, die Holzbalken sind mit Lehm abgedichtet. Eine Leiter führt auf den Dachboden – dort hat die Familie geschlafen. Unten Tisch und Stühle, ein Kaminofen. Und ein primitiver Destillationsapparat. „Das Gerät stand draußen, darunter brannte ein Feuer“, erläutert Bob. „Durch Kupferrohre ist der gebrannte Whiskey in ein Fass gelaufen. Bourbon war das Zahlungsmittel der Siedler. Geldscheine gab es hier kaum, Gold hatte sowieso niemand, dazu waren die Leute zu arm. Bourbon wurde an den Devisenmärkten sogar offiziell als Währung gehandelt, für diesen Teil der Welt jedenfalls.“

Die Talbott Tavern in Bardstown ist ein historisches Gebäude aus Quadersteinen mit burgunderroten Fensterläden. Es wurde 1779 erbaut und ist damit das älteste in Kentucky. Präsident Abraham Lincoln hat hier übernachtet und der französische Thronfolger Louis-Philippe, bevor er von 1830 bis 1848 als Letzter aus dem Geschlecht der Bourbonen König von Frankreich werden sollte. Auf das französische Königshaus geht auch die Bezeichnung Bourbon zurück.

In Kentucky wird und wurde alles Französische stets hoch gehalten

Warum gleich ein Fass aufmachen? In der weltberühmten Buffalo Trace Distillery in Frankfort wird der Bourbon erst mal eingelagert.
Warum gleich ein Fass aufmachen? In der weltberühmten Buffalo Trace Distillery in Frankfort wird der Bourbon erst mal eingelagert.

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Ken Norton schwingt sich auf einen Hocker an der Bar. Dass ausgerechnet das amerikanischste aller Produkte einen Namen trägt, der dem Französischen entlehnt ist, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Man erinnere sich an die Zeit nach 9/11, als amerikanische Patrioten, verärgert über mangelnde Unterstützung aus Paris, ernsthaft vorschlugen, Pommes Frites in Liberty Fries umzubenennen, statt sie weiterhin als French Fries zu bezeichnen.

Ken Norton grinst: In Kentucky hat man sich an diesem Unsinn natürlich nicht beteiligt, hier wird und wurde alles Französische stets hoch gehalten: ein gewisses Laissez-faire, die unamerikanische Überzeugung, dass Geldverdienen kein Selbstzweck ist.

Ein neuer Gast hat am Tresen Platz genommen. Er ist groß und breitschultrig, mit schmerzhaft zupackendem Händedruck. Ken stellt ihn als Drew Kulsveen vor, den Brennmeister von Willett und als einen kommenden Star der Zunft. „Ich bin doch nur das Gesicht der Firma“, wehrt Drew Kulsveen ab. „Die Leute denken, dass alles vom Brennmeister abhängt, aber in Wirklichkeit ist das nicht so.“

Ist es selbstverständlich doch, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Chris Morse von Woodford Reserve und vor allem Jimmy Russell von Wild Turkey sind maßgeblich verantwortlich für den Aufstieg der beiden Marken in die Liga der Premium-Spirituosen. Dafür werden sie in Kentucky verehrt wie anderswo große Künstler. Und Kunst ist es ja auch, wie sie aus Getreide und Wasser wahre Gaumenfreuden zaubern.

In den Speichern, in denen der Bourbon lagert, herrschen unterschiedliche Mikroklimata. Zwischen Erdgeschoss und fünftem Stock kann der Temperaturunterschied bis zu 20 Grad betragen und die Luftfeuchtigkeit um bis zu 30 Prozent abnehmen. Je wärmer, umso mehr Flüssigkeit verdunstet und desto höher ist der Alkoholgehalt. Wie lange die Fässer wo im Speicher lagern, in welchen Intervallen sie die einzelnen Stockwerke durchlaufen, ob und wie der Whiskey mit dem Inhalt welcher anderen Fässer gemischt wird – all das summiert sich zu einer Vielzahl an Möglichkeiten, die Einfluss auf Geschmack und Charakteristika des Bourbons haben.

Mit seinen Karamell- und Kaffeearomen ist Noah's Mill eine Sensation

Drew bestellt zwei Bourbon, beide aus seinem Haus: einen Willett Pot Still Reserve und einen Noah’s Mill. Der Pot Still Reserve ist gut sieben Jahre gereift, 47 Prozent Alkohol. Er duftet nach Zitrone und Orange, schmeckt leicht nach Vanille mit einem Hauch von Blütenaromen. Noah’s Mill dagegen ist farblich viel dunkler. Kein Wunder bei einer Reifezeit von 17 Jahren und einem Alkoholgehalt von 57 Prozent. Geschmacklich ist er eine Sensation, mit dezenten Karamell- und Kaffeearomen.

Louisville ist mit 750.000 Einwohnern die größte Stadt in Kentucky, geprägt vom Hafen am Ohio River, der die Grenze zum Nachbarstaat Indiana markiert. Die Einwohnerzahl von einer Dreiviertel Million hat sich Louisville zur Jahrtausendwende erschlichen: durch die Vereinigung mit dem umliegenden Kreis, dem Jefferson County.

Im eigentlichen Stadtgebiet leben nur gut 250.000 Menschen. Louisville ist bekannt für das Kentucky Derby, ein Galopprennen für Vollblüter, das jedes Jahr am ersten Sonnabend im Mai stattfindet, und für den Louisville Slugger, einen Baseballschläger, den jeder zweite Batter in der National League benutzt.

"Kentucky ist etwas für raue Typen"

Ron Whitehead sitzt in der Bristol Bar in Louisvilles Ausgehviertel, den Highlands. Vor sich – was sonst: einen Bourbon. „Maker’s Mark?“, fragt Ken Norton, nachdem er kurz geschnüffelt hat. Ron nickt. Ron Whitehead macht seinem Namen alle Ehre: Seine Haare sind lang und weiß, ebenso sein Wallebart. Ron ist Dichter. Vor allem aber ist er ein Kentuckyan durch und durch: als trinkfest und wortgewandt bezeichnen sich die Männer in diesem Teil der USA. . „Kentucky ist etwas für raue Typen“, doziert er, „immer gewesen. Wir sind anders. Aber warum? Das ist das große Rätsel. Da muss irgendwas im Wasser sein. Und damit auch im Bourbon.“

Das Treffen mit Ron Whitehead hat Ken vorgeschlagen. Weil eine Rundreise durch Kentucky ohne Trinkgelage mit einem wie ihm nicht komplett ist, wie er es breit grinsend formuliert.

Rons Gedichte handeln vom Leben in Kentucky. Viel schreibt er nicht, noch seltener veröffentlicht er. Seine Abende verbringt er in Bars, wo er spontan Gereimtes für ein paar Drinks vorträgt. Anderswo in den USA würde man ihn als Gammler bezeichnen. In Louisville dagegen hat ihn ein reicher Gönner aufgenommen. In dessen viktorianischer Villa lebt Ron Whitehead als „poet in residence“.

Ron hebt sein Glas: „Wir hier in Kentucky sind Individualisten, wir lieben die schönen Dinge des Lebens. Dazu gehört auch der Whiskey. Und wir wollen immer die Besten sein. Ich bin der lebende Beweis dafür: Auch wenn ich versage, will ich wenigstens der größte Versager sein.“

Bourbon und Bücher - Tipps für Kentucky

ANREISE
SAS/United fliegen von Tegel mit mehreren Zwischenstopps nach Louisville (ab 910 Euro), Air Berlin direkt (ab 1100 Euro).

ÜBERNACHTEN
Charmant und zentral gelegen: The Meeting Houese B&B in Frankfort. Verbindet Hotel und Museum: Das 21 C in Louisville.

BOURBON-TOUREN
Alle großen Brennereien bieten Führungen inklusive Verkostungen an. Ein Muss für Whiskey-Liebhaber ist das Kentucky Bourbon Festival in Bardstown vom 13. bis 18. September. Höhepunkt ist die große Abschluss-Gala, bei der viele Brennereien ihre Bourbons vorstellen. Verköstigungen sind im Eintrittspreis ebenso enthalten wie ein mehrgängiges Menü und ein Musikprogramm.

LEKTÜRE
Zur Einstimmung empfehlen sich die Romane des in Henderson, Kentucky, lebenden Schriftstellers Joey Goebel („Heartland“, „Ich gegen Osbourne“, Diogenes), in denen er die Popkultur des Mittleren Westens karikiert.

Tom Noga

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