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Ab durch die Mitte! Wie zu Zeiten der Pioniere ziehen Husky-Gespanne durch die weißen Wüsten des Yukon und Alaskas. Aus Spaß am Wettbewerb nehmen harte Männer auch Schmerzen in Kauf.

© shutterstock

"Yukon Quest": Das Heulen der Huskys

Der „Yukon Quest“ gilt als das härteste Hundeschlittenrennen der Welt. In diesem Jahr führt es von Fairbanks in Alaska nach Whitehorse in Kanada. Touristen können nicht mitmachen. Aber an vielen Orten Beobachter der rasenden Gespanne sein.

Es klang fast so, als ob die Saite einer Violine gesprungen sei.“ Hans Gatt erinnert sich genau. „Dieser metallische Ton hallte dann noch ewig in meinem Kopf nach, und ich konnte den Haarriss unter meinem Schlitten förmlich spüren.“ Dann ging alles ganz schnell. Knacken, Krachen, Eis bricht. Zunächst versinkt der Schlitten mitsamt Führer und Gepäck im Birch Creek. Dann gibt das Eis auch unter den angeschirrten Huskys nach. Irgendwann stoßen die Kufen endlich auf meterdickes Eis. Glück im Unglück auf dem sogenannten Yukon Quest, das als das härteste Hundeschlittenrennen der Welt gilt und von Fairbanks in Alaska nach Whitehorse in Kanada führt – und so manche Tücken birgt.

Das war also einer dieser tückischen Overflows. Dünn überfrorenes Strömungswasser, versteckt unter Neuschnee. Der Austro-Amerikaner Hans Gatt steckt bis zum Hals im Wasser. Viel Zeit bleibt dem Hundeschlittenführer nicht. Nach vier, fünf Minuten verliert selbst ein abgehärteter Musher, also ein Hundeschlittenführer, bei einer Wassertemperatur um den Gefrierpunkt das Bewusstsein. Irgendwie kämpft sich der mehrfache Yukon-Quest-Champion aufs feste Eis zurück, zieht Hunde und Schlitten aus dem Loch. Die Quecksilbersäule zeigt bitterkalte minus 48 Grad, die Feuerzeuge sind unbrauchbar, die Kleidung sofort stocksteif gefroren.

Seine Huskys haben es da besser mit ihrem dichten Fell. Sie schütteln sich einmal kräftig, und das war’s. Gatt hingegen zieht sich Erfrierungen dritten Grades an seinen Fingern zu, wird kurze Zeit später das Rennen quittieren müssen.

Die Fans haben es bequemer

Es hätte noch viel schlimmer kommen können, doch der Mittfünfziger hatte allem Anschein nach einen nordischen Schutzengel. Einer seiner stärksten Konkurrenten, der Deutsch-Kanadier Sebastian Schnülle, kommt zur Unglücksstelle, macht sofort Feuer und versorgt den Österreicher mit trockener Kleidung. So eine Hilfe ist selbstverständlich in Alaska und im Yukon, auch wenn sie dem gebürtigen Wuppertaler Schnülle in diesem Fall den Sieg kosten wird.

Jahr für Jahr spielen sich ähnlich dramatische Szenen ab beim „härtesten Hundeschlittenrennen der Welt“, wie der Yukon Quest auch genannt wird. Genau deshalb zieht er sowohl Musher als auch Urlauber mit Sinn für das Besondere in seinen Bann.

Die eingefleischten Fans haben es indes weit bequemer als die Teilnehmer am Rennen. Denn die Zuschauer fahren in kleinen Konvois mit geländetauglichen Allradfahrzeugen zu den sogenannten Checkpoints. Es sei denn, sie versuchen sich auch mal selbst als Schlittenführer auf einer der umliegenden Ranches, die oft auf Gäste eingestellt sind und mal mehr, mal weniger rustikale, immer jedoch nicht ganz preiswerte Unterkünfte anbieten.

Zuerst werden die Hunde versorgt

Die Feuerwache im amerikanischen Circle City, ganz in der Nähe des Birch Creek, ist einer der zahlreichen „Checkpoints“, die alle am Rennen beteiligten Hundegespanne passieren müssen. Dort wärmen sich die Musher nach Tagen in subarktischer Wildnis endlich wieder auf, stärken sich mit deftigem Elchfleischeintopf und heißem Tee, finden ein paar kurze Stunden Schlaf auf einer Pritsche oder einer Isomatte.

Allerdings: So wie ein Cowboy nach einem scharfen Ritt oder einem ganzen Tag auf der Weide zunächst sein Pferd versorgt, so kümmert sich ein Musher erst um seine Hunde, bevor er seinen eigenen Bedürfnissen nachgeht. Gottlob, die Hunde sind genügsam. Hat sich keiner verletzt oder zeigt bei einer tierärztlichen Untersuchung Anzeichen einer Erkrankung, genügt den Vierbeinern ordentlich Kraftfutter und trockenes Stroh. Dabei sind die robusten Tiere doch die eigentlichen Stars des Wettbewerbs.

Zwischen Löschgerät, Spitzhacken und Feuerschutzhelmen haben sich in der Feuerwache auch Journalisten aus allen Ecken der Welt eingerichtet, um die aktuellen Rennergebnisse an ihre Redaktionen zu senden. Und zu allem Überfluss wuseln dazwischen auch freiwillige Helfer und Aktivurlauber aus Nordamerika und Europa herum. Ja, hier in Alaska und im Yukon Territory, wo sich viele Menschen noch als Pioniere fühlen, geht so etwas noch. Die Magie des Nordens mit endloser Weite und Stille vereint alle auf friedlichste Art und Weise, die Zuneigung zu den Huskys tut ihr Übriges.

"Iron Man of the North"

Warme Pfoten, kalte Nasen. Diese beiden sind startklar für die nächste Etappe.
Warme Pfoten, kalte Nasen. Diese beiden sind startklar für die nächste Etappe.

© Marc Vorsatz

Von weit her sind die Musher über den mächtigen Yukon Strom in die 92-Seelen-Gemeinde Circle City gekommen. In Whitehorse, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Yukon Territory, begannen sie ihr großes Abenteuer eine Woche zuvor. Die 25 Teams folgen der alten Post- und Handelsroute aus Zeiten des großen Goldrauschs um 1900, die die Schürfgebiete des legendären Klondike im Zentralyukon via Alaska mit der Außenwelt verband. Fast alles lief damals über die „Schnellstraße des Goldrauschs“, den Yukon River, im Sommer per Schiff, im Herbst und Frühling per Pferdeschlitten und im eisigen Winter mit dem Hundegespann.

Es war die Ära der beinharten Einzelkämpfer wie Percy de Wolfe. Der Postunternehmer sollte als „Iron Man of the North“ in die amerikanische Geschichte eingehen. Mehr als 40 Jahre lang beförderte er Briefe zwischen Eagle in Alaska und der berühmt-berüchtigten Goldgräberstadt Dawson City in Kanada. Brachte langersehnte Kunde von Frauen, Müttern und Kindern aus der fernen Heimat zu den entwurzelten Goldschürfern, die allesamt auf das eine große Nugget hofften, das ihnen sagenhaften Reichtum und die Rückkehr als gemachter Mann versprach. Noch immer ist Percy de Wolfe die Ikone der Hundeschlittenführer von heute.

Von Whitehorse aus führt ihre erste Etappe über 100 Meilen oder 161 Kilometer zum ersten Checkpoint nach Braeburn. Nun, Spötter würden sagen, aus Whitehorse kann man nicht schnell genug wegkommen. Im milden Vancouver kursiert seit Jahrzehnten ein Witz, der Bände spricht: Eine Shoppingmall veranstaltet ein Preisausschreiben – 1. Preis: eine Woche Urlaub in Whitehorse, 2. Preis: zwei Wochen in Whitehorse, 3. Preis: drei Wochen …

Manche Musher kommen vom Weg ab

In Richtung Braeburn geht es über den großen Strom und den Trans Canada Trail. Bereits hier sortiert sich das Feld. Vorn die Aspiranten auf den begehrten Titel, weiter hinten diejenigen mit dem eher olympischen Gedanken, bei denen nur die Teilnahme zählt. „Wenn du vorne läufst, bist du der Hase, den die Meute hetzt“, weiß Raubein Hugh Neff, Quest-Gewinner von 2012 und jeweils Zweitplatzierter von 2013 und 2014, zu berichten. „Ich bin der Hase, getrieben vom Heulen der Huskys in tiefer Nacht.“

Rotation. Auch Huskys brauchen mal einen Ruhetag und werden gefahren.
Rotation. Auch Huskys brauchen mal einen Ruhetag und werden gefahren.

© Marc Vorsatz

Anders als bei europäischen Rennen können die Schaulustigen das Geschehen nur von bestimmten Punkten aus verfolgen, nämlich immer dort, wo eine befahrbare Straße die Rennstrecke kreuzt. Da es aber kaum Autopisten gibt im hohen Norden, kommt das eher selten vor. In dem Abschnitt zwischen Whitehorse und Braeburn genau einmal, an der Takhini River Bridge, von der aus die Fans Musher und Huskys gleichermaßen lautstark anfeuern. So treffen sich die Touristen an solchen neuralgischen Punkten immer wieder, fachsimpeln und tauschen sich aus mit Informationen, wo denn eigentlich die nächste offene Tankstelle zu finden sei oder vielleicht ein beheizter Schlafplatz in einer Schule für die Nacht.

Durch Eis und Nacht jagen die Gespanne Dawson City entgegen, kämpfen gegen Berge, Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Irrungen und Wirrungen sind an der Tagesordnung. Manche Musher kommen vom Weg ab und verlieren sich im Nirgendwo. Einige schlafen selbst im Stehen bei voller Fahrt durch die klirrend kalte Nacht oder halluzinieren gar. Die flackernden Polarlichter tun ihr Übriges. „Manchmal sehe ich Geister über den Bergen tanzen, weiß nicht so recht, ob ich grad träume oder noch wach bin“, schildert der Biologe und amtierende Champion Allen Moore seine selbst gewählte Odyssee.

Nur die Hälfte der Gespanne schafft es bis nach Fairbanks

In Dawson City ist Halbzeit, und die Rennteilnehmer müssen eine 36-stündige Pause einlegen. Zeit der Regeneration für Mensch und Tier. Zeit für die Veterinäre, die American und Sibirian Huskys jetzt genauer unter die Lupe zu nehmen und kleine Blessuren zu behandeln. Zeit, seine Liebsten in den Arm zu nehmen oder für einen Plausch mit den Fans in den Saloons der alten Goldgräberstadt. Mit seinem Roman „Ruf der Wildnis“ verschaffte Jack London dem Ort einen festen Platz in der Weltliteratur.

Und noch heute glaubt mancher Besucher, einen Hauch vom längst verflogenen Geist des Goldrauschs spüren zu können. Dabei ist heutzutage lediglich einmal im Jahr zum Yukon Quest richtig was los in der 1700-Seelen-Gemeinde, die einst von 100 000 Goldgräbern im wahrsten Sinne des Wortes unsicher gemacht wurde.

Nur gut die Hälfte der Gespanne wird es am Ende über die kanadisch-amerikanische Grenze und von dort über Circle City bis nach Fairbanks schaffen. Kurz vor Toresschluss hat der Eagle Summit in den White Mountains schon so manchen Traum vom nahen Sieg zunichtegemacht. Zumindest bei jedem zweiten Quest, denn die Richtung des Rennens alterniert von Jahr zu Jahr. Hier scheiterte selbst Haudegen Hugh Neff schon einmal, als über der vegetationslosen Kuppe ein Eissturm fegte und die gefühlte Temperatur auf unerträgliche minus 80 Grad fiel.

Manchmal sind es eben nicht die gehetzten Hasen, die das Rennen machen, sondern die alten. Mit 56 Jahren fuhr der sympathische Allen Moore aus Whitefish in Alaska im vergangenen Jahr seinen zweiten Sieg in Folge ein.

Marc Vorsatz

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