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Gespenstisch schön. Lichtspiele am Himmel erlebt man nur in kalter Jahreszeit.

© p-a

Norwegen: Die Jagd nach schönem Schein

Wer im Winter in den hohen Norden fährt, hat oft nur eins im Sinn: das Polarlicht erleben.

Die Jagdsaison ist eröffnet. Wie in jedem Winterhalbjahr. Dann reisen sie wieder an, die Wikinger der Neuzeit. Aus allen Teilen Europas versammeln sie sich am Hurtigruten-Terminal in Bergen, um mit einem der elf rot-weißen Schiffe in See zu stechen. Als Waffen tragen sie weder Schilde noch Äxte, um Norwegens Küste zu erobern, sondern empfindliche Fotoapparate mit Japanisch klingenden Namen. Gut verstaut in gepolsterten Taschen. Sie sind auf der Pirsch nach dem grünen Licht, folgen dem Schlachtruf: „Hunting the Lights.“ Längst ist das geenterte Schiff kein Langschiff mit Rudern mehr, sondern in unserem Fall die 2002 in Norwegen gebaute „Finnmarken“, die im Regeldienst mit ihren Schwesterschiffen in elf Tagen 67 Häfen ansteuert. Von Bergen im Süden des Landes bis zum Nordkap, weiter bis Kirkenes nahe der russischen Grenze und wieder zurück.

„Licht war in der Mythologie der Wikinger etwas sehr Wichtiges. Sie hatten Angst, dass nach den dunklen Wintermonaten, in denen nur noch Mond, Sterne und Polarlichter mit ihrem kalten Licht ohne Wärme den Tag erhellen, die Sonne nicht mehr zurückkehrt“, informiert Bordreiseleiterin Viana: „Sollte dies geschehen, kommt es zum Ragnarök, dem Kampf der Götter und Riesen, in dessen Folge die Welt untergeht.“ Der Weltuntergang scheint unausweichlich, denn für die nächsten Tage lautet die Wettervorhersage: Regen und Schnee. Himmel und Landschaft haben sich in einen milchgrauen Mantel gehüllt.

Bis zum Abend, wenn das Polarlicht am besten zu sehen sein soll, vertreiben sich die modernen Wikinger die Zeit mit Landausflügen. Zum Beispiel in die Jugendstil-Stadt Ålesund am Golfstrom. Nach einer Feuersbrunst im Jahr 1904 verbrannten innerhalb vom 16 Stunden 850 Häuser bis auf die Grundmauern. Drei Jahre später war die Stadt wiederaufgebaut. Junge norwegische Architekten setzten Impulse für das neue Norwegen, das 1905 von Schweden unabhängig wurde.

Am dritten Tag der Reise schält sich Trondheim aus der Nebelwand. Die Sonne versucht, die Wolken zur Seite zu schieben. Doch es fehlt ihr die Kraft. Den „Jägern des Lichts“ schwindet der Mut. Die Schiffsleitung verbreitet Optimismus: An der Rezeption werden Handzettel verteilt. Sie geben Tipps, wie die Polarlichter am besten zu fotografieren sind. „Kamera auf einen hohen Iso-Wert, Verschlusszeit auf 10 bis 30 Sekunden einstellen“, erklärt Robert aus Berlin drei hilflos dreinblickenden Hamburgerinnen: „Den Selbstauslöser benutzen. Den manuellen Fokus auf unendlich ...“ Die Hamburgerinnen entschwinden Richtung Panoramasalon und lassen für die nächsten Stunden die winterlichen Postkartenmotive vom gemütlichen Sessel aus an sich vorbeiziehen. Robert hofft derweil, endlich die Theorie in die Praxis umsetzen zu können. Doch bei dichtem Schneetreiben und eisiger Kälte lässt er auch diesen Abend statt an der Reling an der Bar ausklingen.

Im Trollfjord hat Odin endlich Mitleid mit den Passagieren

Am Nachmittag des nächsten Tages nimmt das Schiff Kurs auf die Lofoten, wo die Nordlichter am schönsten sein sollen. Es schneit unaufhörlich. Doch die Lichtjäger lassen nichts unversucht für eine sternenklare Nacht. Einige von ihnen verlassen in Stamsund das Schiff, um an einem Jølblot im Wikinger-Haus „Lofotr“ in Borg teilzunehmen. „Jølblot ist eine Opferzeremonie, um die Götter wohlwollend zu stimmen, damit sie die Sonne zurückbringen. Die Feier fand immer am dunkelsten Tag im Jahr statt“, erzählt Wikinger-Häuptling Olav: „Das ist nach heutigem Kalender der 21. Dezember.“

Die aus der Ferne angereisten Gäste sitzen in einem Raum, der nur durch wenige Kerzen beleuchtet ist. In der Mitte brennt ein Feuer. Aus dem Dunkeln taumelt eine hexenähnliche Gestalt. In der Hand schwenkt sie eine Art Weihrauchkessel und murmelt Unverständliches in das um ihren Kopf gewundene Leinentuch. Schließlich kippt sie den Inhalt des Gefäßes ins Feuer, das zischend auflodert. Nach Beendigung der Zeremonie laden der „Stammeshäuptling“ und seine Frau die Gäste ein, von Lofoten-Lamm und Mjod, einem Honigwein, zu kosten. Mit viel Met und Skål (Zuprosten) sollen die Götter gnädig gestimmt werden, damit sie den Himmel aufklaren lassen.

Und das Wunder geschieht. Während der Rückkehr zum Schiff zeigt sich über der kleinen Kirche von Svolvær schemenhaft das erste Nordlicht. So schnell wie der Dampfer vor zwei Stunden verlassen wurde, wird er jetzt gestürmt, um den besten Platz auf dem Außendeck zu bekommen. Leider ist das zaghafte Grün wieder verschwunden. Nur das gelbliche Licht der Stadt beleuchtet die schneebedeckten Berge bei der Abfahrt. Die Enttäuschung ist groß. Doch ein Jäger kann warten.

Bereits 20 Minuten später, im schmalen Trollfjord, hat Odin endlich Mitleid mit den Passagieren der „Finnmarken“. Im Theater der Natur beginnt die Lichtinstallation. Wie wehende, grüne Vorhänge schweben die Polarlichter über den Himmel. Robert und alle anderen „Jäger des Lichts“ knipsen und experimentieren bis die Chipkarten glühen oder Akkus in der Kälte streiken. Nur Isolde, eine der drei Hamburgerinnen, hat es aufgegeben, die „Aurora borealis“ zu fotografieren. Sie findet nicht die richtigen Einstellungen an der Kamera. Hätte sie Robert nur zugehört. Also beherzigt sie den wichtigsten Satz aus den Ratschlägen über die Polarlichtfotografie: „Erleben Sie die Schönheit des Nordlichts zuerst mit Ihren Augen und dem Herzen, bevor Sie es durch das Objektiv der Kamera tun.“

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