zum Hauptinhalt
vorarlberg

© Archiv

Österreich: Tracht der Moderne

Alte Bauernhäuser mit Schindeldächern haben Tradition in Vorarlberg. Zu langweilig, fand man. Nun setzt neue Architektur spannende Akzente

Sind Vorarlberger von allen guten Geistern verlassen? Trauen sie sich mehr? Oder zeigen sie sich einfach aufgeschlossener als ihre österreichischen Landsleute – zumindestens in Sachen Architektur? Fest steht jedenfalls, dass zwischen Bodensee und Bielerhöhe in den vergangenen Jahrzehnten auf eine Art gebaut wurde, wie man sie hier nicht unbedingt erwarten würde. Da spiegeln sich die steinernen Kirchtürme in stahlgefassten Glasfassaden, auf begrünten Flachdächern wuchert Moos, schmucklose Kuben aus hellem Holz und grauem Beton stellen sich selbstbewusst in Positur neben dunkle, altersmüde Bergbauernhäuser, die die Geschichte von Generationen in sich aufgesogen haben. Und gerade durch ihre Leichtigkeit und Frische betonen sie die düstere Würde der Schindelträger mit den rissigen Läden.

Architektur ist ein Thema im Land, ein Thema, das auch das Programm des Besuchers bereichert. Schon beim bloßen Vorbeifahren fallen die Exoten auf: Das Gemeindezentrum in Andelsbuch zitiert mit seinen vier Betonstelzen die Geschichte des alten Rathauses, in dem einst die Leiter hochgezogen wurde und die Volksverteter sich selbst erst wieder nach unten entließen, wenn sie einen Entschluss gefasst hatten. Die Werkstätten der Tischler und Zimmerer in Hittisau und Bizau wirken mit ihren flächigen Fenstern und hellen Schindeln wie perfekte Visitenkarten des Gewerbes. Und selbst die Bushäuschen sind landesweit einheitlich aus Glas und Holz gestaltet.

Die Versuche, der traditionellen Architektur etwas Zeitgemäßes entgegenzusetzen, begannen in den sechziger Jahren – ihre Wurzeln aber liegen tiefer. Schon seit Jahrhunderten verließen die Vorarlberger ihre Täler, verdienten draußen in der Welt ihr Geld und kamen mit frischen Ideen zurück. Nunmehr aber war der Lebensstandard gestiegen, man hatte Kapital, und schöner zu wohnen galt den Hiesigen schon immer als ein Lebenszweck: „Schaffa, schaffa, Hüsle baua“ heißt die Vorarlberger Variante des schwäbischen Immobilienimperativs.

Die liberale Baugesetzgebung lockte unternehmungslustige Architekten an, in den achtziger Jahren machten sich Zimmerleute und Bauingenieure als „Vorarlberger Baukünstler“ international einen Namen. Seitdem wachsen Bürohäuser, Kindergärten, Heizwerke, Fertigungshallen und Skihütten in die Höhe, die sich – und ihren Nutzern – in ungewöhnlichem Design gefallen.

Und dem interessierten Gast natürlich auch. Der steigt einschlägig im Hotel Martinspark in Dornbirn ab, Österreichs erstem Designhotel, wo in der Halle ein mannsgroßer rosa Plastikeimer zu Kunstspekulationen anregt und dessen Restaurant wie eine grüne Kogge auf Stelzen am Hauptgebäude angedockt hat. Oder er nächtigt in Bezau, im zwei Jahre alten „Blütenschloss“ des Hotel Gams. Ein gedrungener, weinroter, mit einem Lattenschirm verkleideter Rundturm empfängt ihn mitten auf der Wiese. In der „Kuschelsuite“ erwarten ihn Whirlpool, Himmelbett und Kaminfeuer, im Innenturm haben schon Hunderte ihre amourösen Erfahrungen an die schwarzen Wände gekritzelt: „Er kam, sah, und jetzt lass ich ihn nicht mehr los.“

Natürlich prunken auch Museen gern mit neuem Outfit: Im Kunsthaus in Bregenz tauchen Schindeln aus geätztem Glas die vier Etagen in ein warmes Licht. Im Frauenmuseum in Hittisau organisieren Frauen aus dem Dorf in einem 250 Quadratmeter großen, ganz in Weißtanne gehaltenen Saal weithin beachtete Ausstellungen: „1000 Frauen für den Frieden“ etwa. Oder „Tracht für Einheimische und Zweiheimische“.

Auch die Musik sucht sich ihr passendes Ambiente: Für die Konzerte der Schubertiade in Schwarzenberg, während der es aus Gründen der Klangreinheit den Kühen des Dorfes verwehrt ist, Glocken zu tragen, ist die Angelika-Kauffmann-Halle wie geschaffen. Unter den Klängen der Lieder aus der „Schönen Müllerin“ scheinen die honigfarbenen Balken noch einmal extra zu leuchten, die Töne steigen empor zu den Holzträgern, die wie überdimensionierte Kleiderbügel das Dach schultern.

Immer wieder entdecken Reisende aufsehenerregende Bauten. So hat der Verbund „Käsestraße“ in Lingenau einen 70 Meter langen und sieben Meter hohen Betonriegel in den Berg geschoben, einen Hightech-Bunker für ein ehrwürdiges Produkt. Hinter einer Glaswand reifen im „Käsekeller“ derzeit 28 000 Laibe Bergkäse aus kleinen Sennereien heran und werden täglich von Robotern mit Salzlake bespritzt und gebürstet.

Auch Ingo Metzler hat sich in Egg ein mehr als ungewöhnliches Ensemble aus drei hintereinander gestaffelten Beton- und Glaswürfeln hingestellt. „Ich verstehe nichts von Architektur“, sagt der schlitzohrige Bauer freimütig. „Mir gefällt es, aber wichtiger ist, dass darüber geredet wird.“ In dem futuristischen Gebäude verarbeitet er Kuh- und Ziegenmolke zu Handcremes, Kurbädern und Seife. „Im Dorf meinen sie, wir haben einen Vogel. Aber wir waren auf einer Architekturausstellung in Paris, und das hat uns jede Menge französischer Kunden gebracht.“

Und natürlich spielt Architektur auch in der Gastronomie eine wichtige Rolle. In der weißgescheuerten Tischplatte des Adler in Schwarzenberg hat ein Peter Feurstein sich schon 1918 verewigt. Der Umbau der Gaststube dagegen liegt erst ein paar Jahre zurück. Jetzt packt Engelbert Kaufmann, gastronomisch mit zwei Hauben geadelt, unter der schnörkellosen Kassettendecke aus hellem Holz ein Steinpilzsülzle in den Polentamantel, gibt Schupfnudeln zur Flugentenbrust, gratiniert die Kalbsküttele mit Bergkäse und schafft so auf dem Teller, was den Tischlern rundum gelungen ist: Tradition und Moderne zu vereinen.

Ganz in heimischer Weißtanne haben auch die Moosbruggers ihren Schwanen in Bizau ausgebaut und servieren darin Küche nach Art der Hildegard von Bingen. Die Benediktinerin setzte sich im 12. Jahrhundert mit der Wirkung der Lebensmittel auf den Körper auseinander und entwickelte eine eigene Ernährungslehre. So erhält der Gast nun ein „Selleriecarpaccio auf Walnusspesto“ und erfährt dazu: „Der Sellerie ist warm. Er enthält viel Saft. Roh gegessen ist er für den Menschen nicht geeignet, weil er üble Säfte in ihm bereitet.“ Das alles kommt wenig missionarisch daher, und wer eben ein Schnitzel von dem von Frau von Bingen nicht gerade geschätzten Schwein vorzieht, bekommt auch dies serviert.

Und die Umgebung? Die Ahornstühle, die Bänke mit den leicht gewölbten Lehnen, die viereckigen Holzsäulen, die Lichtspots in der weißen Holzdecke? „Ulme und Weißtanne sind das Holz, mit dem wir uns laut Hildegard von Bingen umgeben sollen. Aber deswegen haben wir nicht so gebaut. Sondern einfach, weil es schön ist. Und weil das Auge schließlich auch Hunger hat.“

Zur Startseite